Im Jahr 876 schenkte Karl der Kahle der Kathedrale in Chartres den «Schleier der Jungfrau Maria» (Voile de la Vierge), den sie bei der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel getragen haben soll. Damit besitzt Chartres eine der wichtigsten Reliquien des Abendlandes. Nachdem die bestehende Kathedrale in der Nacht vom 7. auf den 8. September 1020 Opfer eines Brandes geworden war, beschloss der damalige Bischof von Chartres, Fulbert, eine neue Kathedrale zu bauen. Aus einem Brief von ihm an Wilhelm V. von Aquitanien weiss man, dass die Krypta 1014 fertiggestellt wurde.
1194 wütete erneut ein Feuer in der Kathedrale und die Gläubigen glaubten die heilige Reliquie bereits verloren. Doch die Domherren hatten sich mit der Reliquie in die Saint-Lubin-Kapelle der Krypta geflüchtet, wo noch Mauern eines früheren Baus standen. Nach drei Tagen konnten sie –zusammen mit dem kostbaren Schleier – gerettet werden.
Der Pilgerstrom hörte nie auf, selbst dann nicht, als die Kathedrale zweckentfremdet wurde, wie z. B. während der Französischen Revolution. Bereits 1850 wurden 50 000 Besucher gezählt.
1000 Jahre gelebter Glaube
Für P. Emmanuel Blondeau, Rektor der Kathedrale, ist Chartres einzigartig. «Kennen Sie andere Orte, an denen seit 1000 Jahren das Gleiche geschieht? In Chartres wird seit 1000 Jahren weiterhin Gott gedankt, die Jungfrau Maria geehrt und allen Menschen ermöglicht, etwas zu erleben, das mit innerer Wandlung zu tun hat.»[1] Niemand kann die Kathedrale von Chartres betreten, ohne emotional, spirituell oder zumindest ästhetisch ergriffen zu sein. Viele fragen sich, wie die Baumeister des Mittelalters ein solches Bauwerk errichten konnten. Für den Rektor stellt sich eine andere Frage: «Wie kann man heute vermitteln, dass diese gotische Kathedrale, die so hoch und so schön ist, eine Bibel aus Stein und Glas ist?»
Die Krypta von Chartres ist nach jener des Petersdoms in Rom die längste in Europa. Jeder Flügel ist 80 m lang und mit dem Chorumgang misst die gesamte Länge mehr als 200 Meter. Die Krypta ist mit Glasfenstern ausgestattet, was viele Pilger überrascht. Hier befindet sich auch das Taufbecken. In früheren Zeiten durften nur die Getauften die Oberkirche betreten; die anderen blieben in der Krypta. Nach der Taufe wurde der Christ aufgerufen, den Weg zum Licht, nach oben zu gehen, in die Kathedrale, in der Jesus Christus real gegenwärtig ist.
Während des Jubiläumsjahres wird in der Krypta ein «Weg der Bekehrung» angeboten. Bekehrungen erlebt P. Emmanuel Blondeau in der Kathedrale häufig: Alle zwei Wochen erhält er eine neue Anfrage für das Katechumenat. «Letzte Woche habe ich einen 42-jährigen Mann kennengelernt. Er kam zufällig in die Kathedrale und ging dann in Frieden wieder hinaus. Er kam mehrere Male wieder und hatte jedes Mal das gleiche Gefühl. Seine Verwandten rieten ihm, sich mit einem Priester zu treffen. Und hier ist er, ohne jegliche christliche Sozialisierung, und bittet um die Taufe! Das ist das Werk der Jungfrau Maria, das ich täglich erlebe.»
Das Jubiläumsjahr: Besucher in Pilger verwandeln
Auch wenn die Kathedrale 1000 Jahre alt ist, so bleibt sie jung durch die täglich gefeierte Liturgie. P. Emmanuel Blondeau zeigt sich begeistert: «Am Gründonnerstag zelebriere ich an einem Altar aus dem 18. Jahrhundert, mit einem Tabernakel aus dem 12. und einem Ziborium aus dem 21. Jahrhundert: wie schön! Kunsthistoriker wären vielleicht empört über diese Mischung aus romanischer, barocker und zeitgenössischer Kunst: Aber es ist durch die Jahrhunderte hindurch dieselbe Eucharistie, derselbe Herr, der gefeiert wird.»
Der Rektor der Kirche hat grosse Hoffnungen und ein hohes Ziel für das Jubiläumsjahr. P. Emmanuel Blondeau erlebt, dass viele Besucherinnen und Besucher von der Kathedrale beeindruckt sind und hier einen tiefen Frieden verspüren. Doch: «Wer kann ihnen helfen, zu entschlüsseln, dass der empfundene Friede, die entdeckte Freude, das Licht: das ist Christus? Ästhetische Emotionen und Neugierde sind schöne Eingangstüren, um an Gott zu glauben. Ich möchte von der Emotion zu dieser Tiefe gelangen und die 1,5 Millionen Besucher in Pilger verwandeln! Sie sollen Maria und das Geheimnis der Menschwerdung entdecken, das sie uns als Gnade präsentiert.»
Informationen zum Jubiläumsjahr https://www.cathedrale-chartres.org/millenaire/
[1] Das Interview mit P. Emmanuel Blondeau in voller Länge (auf Französisch) https://eglise.catholique.fr/sengager-dans-la-societe/patrimoine-et-art-sacre/553382-1000-ans-de-la-crypte-de-notre-dame-de-chartres/
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Denn die wahren Freunde des Volkes sind weder Revolutionäre noch Neuerer sondern TRADITONSGETREUE.
Heute wird die marianisch gelebte Spiritualität selbst vom Teil des Klerus nicht mehr hochgeschätzt, ja sogar belächelt. Doch die Kirche erneuert sich NUR an Hand der Muttergottes, auf den knien vor dem ALLERHEILIGSTEN.