Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) überwacht und schützt die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundrechte. Dazu zählen der Schutz des Lebens, das Folterverbot, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, Religions- und Gewissensfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäusserung, Achtung des Privatlebens, das Diskriminierungsverbot sowie das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Jeder und jede kann sich kostenfrei an den EGMR wenden, wenn die Klage auf nationaler Ebene erfolglos blieb.
«Die Urteile des Gerichtshofs haben viele Leben gerettet, tausende Leben verändert und dazu beigetragen, unsere Gesellschaften und Demokratien besser zu machen», ist Gerichtspräsidentin Siofra O'Leary überzeugt. Mehr als eine Million Klagen sind in den vergangenen Jahrzehnten eingegangen. Die Richterinnen und Richter haben in mehreren zehntausend Fällen entschieden.
Doch in Feierlaune ist derzeit in Strassburg niemand. So wird es auch keinen Festakt geben, wenn am 1. November das 25-Jahr-Jubiläum als festinstallierter Gerichtshof ansteht (bis dahin war das 1959 gegründete Gericht immer nur zeitweise zusammengekommen).
Ein Grundproblem hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr verschärft. Die Entscheidungen des EGMR sind zwar völkerrechtlich bindend und alle Europaratsstaaten haben sich zur Umsetzung verpflichtet, jedoch hat der Gerichtshof keine Handhabe, die gefällten Urteile auch umzusetzen: Er ist auf die Kooperation der jeweiligen Staaten angewiesen.
Dem Europarat gehören aktuell an: Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Moldau, Monaco, Montenegro, Niederlande, Nordmazedonien, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Schweden, Schweiz (seit 1963), Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ukraine, Ungarn, Zypern.
Appelle des Europarats, der Träger des Gerichtshofs ist, muten fast hilflos an). Im Blick etwa auf Russland, Türkei, Aserbaidschan oder die Ukraine, die zwar vielfach wegen Menschenrechtsverstössen verurteilt wurden, aber Entscheidungen kaum oder nur sehr zögerlich umsetzten. Entsprechend landen auch immer wieder Fälle in Strassburg, die in ähnlicher Form eigentlich längst entschieden wurden. Schlicht, weil die betreffenden Staaten die kritisierten Missstände nicht behoben haben.
Der russische Überfall auf die Ukraine brachte den endgültigen Bruch mit Moskau: Russland wurde aus dem Europarat ausgeschlossen. Russischen Bürgerinnen und Bürgern ist damit der Gang zum Menschenrechtshof verwehrt, sofern nicht der Sachverhalt, um den es geht, vor dem Stichtag (16. September 2022) liegt. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verurteilte den Angriffskrieg aufs Schärfste. Am 15. März 2022 hatte Russland seinerseits mit sofortiger Wirkung den Austritt aus dem Europarat angekündigt.
Erschwert wird die Arbeit des Gerichtshofs, dem 46 Richterinnen und Richter – je einer je Europaratsmitgliedsstaat – angehören, auch durch die chronische Mittelknappheit. Der Jahresetat liegt bei etwa 75 Millionen Euro, was laut Gericht für die wachsende Zahl von Verfahren kaum ausreicht. Auch hier gelingt es seit Jahren nicht, sichere Grundlagen zu schaffen.
Gerichtspräsidentin O'Leary formulierte zuletzt einen dringlichen Appell: Europa sei an einem kritischen Moment seiner Geschichte angelangt. Deshalb entscheide sich gerade jetzt, ob die Menschenrechtskonvention als internationale Verpflichtung auf Menschen- und Freiheitsrechte auch die Sicherheit und Freiheit künftiger Generationen in Europa schützen werde.
In jüngerer Zeit wurde die Schweiz in zwei Fällen verurteilt. In beiden Fällen wurde die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gerügt, weil die Beschwerdeführer (zwei Väter) keine Möglichkeit hatten, Entscheide der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) anzufechten. Dies, obwohl die Mütter den Wohnsitz des gemeinsamen Kindes ins Ausland verlegt hatten.
Gemäss Statistik der Jahre 1959 bis 2022[1] ergingen am meisten Urteile des EGMR gegen die Türkei (3900) gefolgt von Russland (3500). An dritter Stelle steht Italien mit 2493 Urteilen, von denen jedoch 1205 die Länge der Gerichtsverhandlungen betrafen. Gegen die Schweiz ergingen in diesem Zeitraum 223 Urteile; in 84 Fällen wurde die Schweiz freigesprochen.
[1] https://www.echr.coe.int/documents/d/echr/stats_violation_1959_2022_eng
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Das Konzept der individuellen Menschenrechte basiert auf der Annahme der Autonomie und formalen Gleichheit aller Menschen unabhängig von Ethnie, Kulturkreis, Geschlecht, Religion bzw. Weltanschauung. Diese Fundamentalrechte müssen von der jeweiligen Gesellschaft, freilich mit notwendigen Modifikationen, ggf. gegenüber dem Staat institutionell verteidigt werden. Diese Voraussetzungen sind in praktisch keinem islamischen Land gegeben, obwohl, bis auf Saudi-Arabien, alle die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" der UN vom 10. 12. 1948 wenigstens unterschrieben haben. Saudi-Arabien, das Haupt der "Organization of the Islamic Conference" (OIC) mit seinen 57 Mitgliedsstaaten, lehnt individuelle Menschenrechte immer noch sogar offiziell ab.
1993 bildeten vormoderne Staaten der OIC, China und andere asiatische Staaten auf der Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte eine unheilige Allianz gegen Menschenrechte und machten die Konferenz zu einer Kundgebung gegen dieselben. Der Vertreter Syriens verlangte aus Gründen der Souveränität offen die Streichung des Antifolter-Paragraphen aus dem Schlussdokument. Nach den Jahresberichten von Amnesty International werden die Menschenrechte in keinem einzigen Staat der OIC respektiert. In der Arabischen Charta der Menschenrechte von 2004[1] wird die Scharia zwar nicht direkt erwähnt, wohl aber die Kairoer Erklärung[2] (Maßgeblichkeit der Scharia) und verschiedene grundlegende internationale Menschenrechtsdokumente. Sie trat 2008 in Kraft. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit und aus anderen Gründen hat diese Charta keine praktische Bedeutung.