Unlängst wurde berichtet, dass aus der Aargauer Landeskirche[1] im Jahre 2024 nur halb so viele Menschen ausgetreten sind wie im Vorjahr. Die Austrittszahlen bewegten sich nun wieder auf der Höhe der Jahre 2020 bis 2022, hiess es in einer Medienmitteilung. Die Aargauer Landeskirche gehört mit Basel-Stadt und Solothurn seit Jahren zu den Spitzenreitern bei den Kirchenaustritten[2]. In keinem anderen Kanton treten im Verhältnis zur Gesamtzahl an Katholiken so viele Menschen aus der Kirche aus. Da die Ortskirche im Aargau keine Steuern von juristischen Personen erhält, sondern sich mit Steuern von natürlichen Personen begnügen muss, mag die Nachricht, dass weniger Menschen als im Vorjahr ausgetreten sind, den Verantwortungsträgern der staatskirchenrechtlichen Körperschaften wie ein Licht am Ende des Tunnels erscheinen. Betrachtet man diese vermeintlich positive Schlagzeile jedoch sachlich, verblasst jede Hoffnung auf eine Stabilisierung der Mitgliederzahlen sehr schnell. Im Jahre 2024 sind insgesamt 4923 Menschen ausgetreten. Im gleichen Jahr sank die Gesamtzahl der Katholiken von 188 970 auf 184 083.[3] Prozentual bedeutet dies auch im Jahre 2024 einen Rückgang der Mitglieder von etwas mehr als 2,5 Prozent. Ende 2021 waren noch 201 499 Menschen Mitglied der katholischen Landeskirche gewesen. Auf die letzten drei Jahre bezogen sank die Mitgliederzahl also um 8,6 Prozent.
Mitgliederschwund bei den Protestanten noch grösser
Wer wie der frühere Landeskirchenpräsident Luc Humbel all seine Hoffnungen auf Pseudo-Reformen setzt[4] und meint, eine Anpassung der kirchlichen Lehre an den Zeitgeist würde die Kirchenbänke, die Mitgliederlisten und damit auch die Bankkonten der Kirchgemeinden füllen, muss enttäuscht feststellen, dass die ganze Situation bei der Reformierten Kirche noch schlimmer aussieht. Die Reformierte Kirche hatte Ende 2024 noch 133 560 Mitglieder (Ende 2023: 138 123 Mitglieder), was einem Verlust von 3,3 Prozent entspricht. Ende 2021 verzeichneten die reformierten Mitchristen noch 148 701 Angehörige: 10,2 Prozent der Mitglieder haben während der letzten drei Jahre, in denen die Medien fast ausschliesslich auf die Katholische Kirche einprügelten, den Austritt erklärt. Nur eine ideologische Verblendung kann angesichts dieser Zahlen weiterhin postulieren, eine Änderung der Weihevoraussetzungen, eine Revision der katholischen Sexualmoral oder sonstige Relativierungen der katholischen Lehre könnten die Rettung bringen.
Wenn man davon ausgeht, dass das «positive» Jahr 2024 Richtmass für die kommenden Jahre sein wird, dann bedeutet dies konkret, dass ein jährlicher Mitgliederrückgang von zweieinhalb Prozent eine Halbierung der Gesamtzahl der Aargauer Katholiken in 25 bis 30 Jahren bewirkt. Die heute mehr als 180 000 Katholiken werden durch Austritte, Todesfälle und «Nichteintritte» (Ausbleiben von Kindertaufen)) im Jahre 2055 auf 90 000 schrumpfen. Bei der reformierten Landeskirche wird eine jährliche relative Verkleinerung von 3,3 Prozent in 30 Jahren zu einem Rückgang von 64 Prozent auf ca. 50 000 Mitglieder führen. Die beiden Landeskirchen werden nur noch rund 140 000 Menschen repräsentieren, also wahrscheinlich weniger als 20 Prozent der Gesamtbevölkerung des Kantons.
Der einzelne Katholik muss nun die Tugend aufbringen, diese Entwicklung nüchtern hinzunehmen und die notwendigen Schlüsse zu ziehen, ohne in einen Defätismus zu versinken. Denn dieser massive Rückgang sagt mehr über die Bereitschaft bzw. Weigerung der Individuen aus einer Institution anzugehören als über die Aussagekraft zur Glaubenspraxis. Vor 50 Jahren gehörte es dazu, als guter Schweizer Bürger auch Mitglied einer Landeskirche zu sein – unabhängig von der eigenen Gottesbeziehung. Durch die wachsende Anonymität der Gesellschaft und die Tatsache, dass es keinen sozialen Druck mehr gibt, sich auf dem Papier als Christ auszuweisen, geschieht der Austritt oft still und ohne grosse innerliche Überzeugung – genauso wie man jahrelang zuvor ohne innerliche Überzeugung Mitglied war. Der entscheidende Faktor für den Austritt ist das ersparte Geld der Kirchensteuern, auch wenn dies aus Scham in Umfragen verschwiegen wird.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Ehrlich gesagt habe ich seinerzeit als junger Verfassungsrat, Zeit meines Doktorexamens, den Antrag auf Trennung von Kirche und Staat u.a. bei Anerkennung der christlichen Feiertage, Gott in der Verfassung, religiöses Brauchtum, Zusammenarbeit der Ortskirchen jeweils mit der polit. Gemeinden, lange Ubergangsfrist beim Systemwechsel uzsw. nur gestellt, damit über diese Sache vom Verfassungsgeber grundsätzlich diskutiert werde. Kirchensekretär Werner Huber und der hervorragende Bullingerkenner, der ref. Pfarrer und später die Verfassung unterschreibender Verfassungsratspräsident Pfarrer Immanuel Leuschner haben, auch ehrlich gesagt, das bisherige aargauische System mit damals sehr guten und zutreffenden Argumenten verteidigt. Es gab auch systemimmanente Verbesserungen, und meine damalige Bemerkung, im 50 Jahren werde indes diese Epoche so oder so mal ablaufen, war zumindest grundsätzlich kein dummes Geschwätz, mit dem ins Protokoll aufgenommenen Bekenntnis, die Kirche Jesu Christi werde jenseits von "Landeskirche" bleiben bis ans Ende der Welt. Dazu kann ich heute noch stehen. Doch wurde mir damals von einem CVP-Grossrat, der als Witwer später verdienstvoller Priester wurde, "Moskau einfach" empfohlen, und als Quittung für dieses Engagement wurde meine Arbeit betr. Heiligenforschung und Mystik von kath. Bildungshhäusern über Jahrzehnte boykottiert, meine immer selbst bezahlten Forschungen über Pädophilie- und Sex-Skandale von Geistlichen ("Der Fall Federer") inbegriffen.
Die Thematik des dualen Systems und allfällige Änderungen desselben bis hin zu dessen Ersetzung muss natürlich taktvoll und mit historischem Bewusstsein angegangen werden. Dass übrigens mein bestdokumentiertes Buch über die Pädophilieaffäre des Priesters und Schriftstellers Heinrich Federer im (vorläufigen) Bericht betr. Aufarbeitung der Skandalfälle nicht mal im Literaturverzeichnis erwähnt ist, spricht für das Anfänger-Niveau dieser offiziell beauftragten uneingearbeiteten Historikerinnen.