Schade nur, dass diese Maxime nicht am östlichen Ufer des Rheins angekommen ist. Dort wird nicht der eigene Garten beackert, sondern gleich die ganze Welt zum Betätigungsfeld deutschen Selbstbewusstseins deklariert.
Jüngstes Beispiel: Am 7. März 2023 kommt es in der Paulus-Akademie in Zürich zu einer Premiere. Die deutsche Filmemacherin Henriette Borkmann zeigt ihre ARD-Dokumentation «Die katholische Krise und die Frauen». Co-Autorin: die Wuppertalerin Heike Fink. Dabei handelt es sich um eine noch nicht ausgestrahlte ARD-Produktion. Die Paulusakademie sowie der Deutsche Raphael Rauch von kath.ch dürfen sich gemäss Selbstdeklaration rühmen, den Film als erste der Öffentlichkeit zu präsentieren – gemeinsam laden sie zur «Welt-Premiere» ein.
Dieser den ganzen Globus in Beschlag nehmende Fokus steht beileibe nicht als solitär in der Landschaft, reiht sich vielmehr bündig ein in die leidige Tradition «Am deutschen Wesen soll die Welt genesen».
Mitten in der Flüchtlingswelle 2015 verkündete Katrin Göring-Eckart urbi et orbi: «Wir sind Weltmeister der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe.» Da wollen selbstredend auch Exponentinnen der Kirchenszene nicht hintanstehen: «Der synodale Weg hat Weltgeschichte geschrieben», frohlockte die Theologin Dorothee Sattler, als die Mehrheit der Deutsche Bischofskonferenz beschlossen hatte, die Frage des Zugangs von Frauen zu kirchlichen Weiheämtern auf den Prüfstand zu stellen.
In der vordersten Reihe der deutschen Weltgeist-Propheten trompetete – wie könnte es anders sein – auch Raphael Rauch unüberhörbar mit: In einem kath.ch-Beitrag jubelte er die deutsche SRF-Religionsjournalistin Judith Wipfler flugs zur «Madame Weltethos» hoch.
Woher – so die bange Frage – die nicht enden wollende Kaskade deutscher Menschheitsbeglückungen, von denen niemand auf der Welt etwas wissen will? Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass hier eine Art Kompensationskomplex am Werk ist – dies vor dem Hintergrund der singulären Erfahrungen des 2. Weltkrieges, insbesondere des Holocausts. Der Historiker Heinrich August Winkler hat in seinem Standardwerk «Wie wir wurden, was wir sind» diese Metamorphose vom Prügelknaben zum selbst ernannten Musterknaben messerscharf analysiert.
Doch so düster die Lage auch scheint, das Dichterwort Hölderlins spendet Rat und Trost: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» Das Rettende, es kommt daher in Gestalt des Wolfgang Schäuble, seines Zeichens einer der prägendsten Politiker der deutschen Nachkriegszeit. In einem ZDF-Gespräch mit Markus Lanz vom 14. Dezember 2022 schärfte er seinen Landsleuten ein: «Wir sind Welt-Spitze in der moralischen Besserwisserei.» Auf dass sein Weckruf in deutschen Landen laut erschalle!
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
durchaus differenziert ansehen.