Deutsche Fahne. (Bild:fdecomite/flickr)

Mit spitzer Feder

Am deut­schen Wesen soll die Welt genesen

Vol­taire, der Phi­lo­soph der fran­zö­si­schen Auf­klä­rung schlecht­hin, fand gegen Ende sei­nes Lebens zu einer bemer­kens­wer­ten Erkennt­nis: Seine eige­nen phi­lo­so­phi­schen Höhen­flüge und vor allem sei­ner Anti­po­den wollte er auf den Boden der prak­ti­schen Lebens­kunst und intel­lek­tu­el­len Selbst­be­schei­dung zurück­füh­ren, ver­kör­pert in dem Satz: «Lasst uns für unser Glück sor­gen, in den Gar­ten gehen und ihn kultivieren.»

Schade nur, dass diese Maxime nicht am östlichen Ufer des Rheins angekommen ist. Dort wird nicht der eigene Garten beackert, sondern gleich die ganze Welt zum Betätigungsfeld deutschen Selbstbewusstseins deklariert.

Jüngstes Beispiel: Am 7. März 2023 kommt es in der Paulus-Akademie in Zürich zu einer Premiere. Die deutsche Filmemacherin Henriette Borkmann zeigt ihre ARD-Dokumentation «Die katholische Krise und die Frauen». Co-Autorin: die Wuppertalerin Heike Fink. Dabei handelt es sich um eine noch nicht ausgestrahlte ARD-Produktion. Die Paulusakademie sowie der Deutsche Raphael Rauch von kath.ch dürfen sich gemäss Selbstdeklaration rühmen, den Film als erste der Öffentlichkeit zu präsentieren – gemeinsam laden sie zur «Welt-Premiere» ein.

Dieser den ganzen Globus in Beschlag nehmende Fokus steht beileibe nicht als solitär in der Landschaft, reiht sich vielmehr bündig ein in die leidige Tradition «Am deutschen Wesen soll die Welt genesen».

Mitten in der Flüchtlingswelle 2015 verkündete Katrin Göring-Eckart urbi et orbi: «Wir sind Weltmeister der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe.» Da wollen selbstredend auch Exponentinnen der Kirchenszene nicht hintanstehen: «Der synodale Weg hat Weltgeschichte geschrieben», frohlockte die Theologin Dorothee Sattler, als die Mehrheit der Deutsche Bischofskonferenz beschlossen hatte, die Frage des Zugangs von Frauen zu kirchlichen Weiheämtern auf den Prüfstand zu stellen.

In der vordersten Reihe der deutschen Weltgeist-Propheten trompetete – wie könnte es anders sein – auch Raphael Rauch unüberhörbar mit: In einem kath.ch-Beitrag jubelte er die deutsche SRF-Religionsjournalistin Judith Wipfler flugs zur «Madame Weltethos» hoch.

Woher – so die bange Frage – die nicht enden wollende Kaskade deutscher Menschheitsbeglückungen, von denen niemand auf der Welt etwas wissen will? Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass hier eine Art Kompensationskomplex am Werk ist – dies vor dem Hintergrund der singulären Erfahrungen des 2. Weltkrieges, insbesondere des Holocausts. Der Historiker Heinrich August Winkler hat in seinem Standardwerk «Wie wir wurden, was wir sind» diese Metamorphose vom Prügelknaben zum selbst ernannten Musterknaben messerscharf analysiert.

Doch so düster die Lage auch scheint, das Dichterwort Hölderlins spendet Rat und Trost: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» Das Rettende, es kommt daher in Gestalt des Wolfgang Schäuble, seines Zeichens einer der prägendsten Politiker der deutschen Nachkriegszeit. In einem ZDF-Gespräch mit Markus Lanz vom 14. Dezember 2022 schärfte er seinen Landsleuten ein: «Wir sind Welt-Spitze in der moralischen Besserwisserei.» Auf dass sein Weckruf in deutschen Landen laut erschalle!


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Ferdi23 17.02.2023 um 14:24
    Der Inn kommt ja auch aus der Schweiz. Wenn da irgend etwas aus dem Unterinntal zurückkommt, darf man es
    durchaus differenziert ansehen.
  • user
    Martin Meier-Schnüriger 15.02.2023 um 11:39
    Bei allen Vorbehalten, die wir Schweizer unseren Nachbarn aus dem "grossen Kanton" entgegenbringen, sollten wir gerade in diesen Tagen nicht übersehen, was aus Deutschland auch an Gutem gekommen ist. Zwischen Braunau am Inn und Marktl am Inn liegen knapp 20 km und doch Welten! Der deutsche Papst Benedikt XVI. wiegt bei weitem all die Kleingeister auf, die es überall auf der Welt, auch in der Schweiz, gibt.