Antonia de Oviedo Schöntal. (Bild: CamiVani, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Kirche Schweiz

Anto­nia de Oviedo Schön­thal – zwi­schen Königs­hof und Prostituierten

1822 kommt in Lau­sanne Anto­nia Maria Vic­to­ria Juana zur Welt, die Toch­ter einer Schwei­ze­rin und eines spa­ni­schen Flücht­lings. Sie wird Gou­ver­nante am spa­ni­schen Königs­hof und fin­det ihre Beru­fung unter Pro­sti­tu­ier­ten in Madrid. Ein wei­te­res Por­trät in unse­rer Serie über starke Frauen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts leben die drei Schwestern Susanna, Sophie und Anita Schönthal gemeinsam in Lausanne. Nach dem Vorbild ihrer Mutter gewähren sie Menschen grosszügig Gastfreundschaft. 1812 kommt der Spanier Antonio de Oviedo auf der Flucht vor der Aufständen in dem von Napoleon besetzten Spanien nach vielen Entbehrungen in die Schweiz und findet Aufnahme bei den Schwestern. Aus der Aufnahme wird zwischen Antonio und Susanna Liebe; sie heiraten am 20. Juli 1819. Die Geburt einer Tochter am 16. März 1822 macht das junge Glück komplett. Das Mädchen wird wenige Tage später auf den Namen Antonia Maria Victoria Juana getauft.

Als Antonia mit 13 Jahren die Erstkommunion empfängt, ist sie allein: Ihr Vater war auf Arbeitssuche nach England ausgewandert, wo er schwer erkrankte. Seine Frau reist vorübergehend zu ihm und pflegt ihn bis zu seinem Tod am 21. Juni 1835.

Durch ihre Mutter erhält Antonia eine umfassende Erziehung und wird von ihr ins Glaubensleben eingeführt. Als sie in ein Internat in Fribourg eintritt, wird sie für ihren Sprachenreichtum, ihr Wissen und ihr tadelloses Verhalten gelobt.

Unter Reichen und Mächtigen
Bereits mit 16 Jahren tritt Antonia ihre erste Stelle an: Sie wird Gouvernante der 10-jährigen Rosalía Caro Álvarez de Toledo, der Tochter der Markgrafen von La Romana und späteren Herzogin von Medina Sidonia. In der Begleitung der Familie sammelt sie in Genf, Mailand und Florenz erste Berufserfahrungen. Bei ihrer Rückkehr nach Fribourg muss sie feststellen, dass sich die Familie in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Sie eröffnet ein Mädcheninternat, das sie jedoch bereits sechs Jahre später wieder schliessen muss, da die Familien angesichts des Sonderbundkrieges 1847 beginnen, ihre Töchter nach Hause zu holen.

Inzwischen ist ihr Ruf als hervorragende Erzieherin über die Grenze hinaus bekannt und sie erhält ein Stellenangebot als Erzieherin für die drei Töchter von Maria Christina von Bourbon-Sizilien, der Königinmutter von Spanien.[1] Antonia reist im Januar 1848 nach Madrid und bleibt dort die nächsten zwölf Jahre, bis ihre letzte Schülerin, Cristina Muñoz y Borbón, heiratet. Antonia selbst hat mehrere Heiratsanträge erhalten, doch ihr Wunsch, ganz Gott zu gehören, ist stärker als alle Verliebtheit.

Antonia lässt sie sich in Rom nieder, wo sie zwei Jahre lang bleibt und sich missionarisch betätigt, unter anderem als Vizepräsidentin des von José M. Benito Serra gegründeten apostolischen Werks zur Unterstützung der Auslandsmissionen.
 


Die Verwirklichung eines Traums
Pater José M. Benito Serra (1811–1886) war Benediktiner des Klosters in Santiago de Compostela. Aufgrund der von der Mendizábal-Regierung verfügten Generalexlaustration verliess er Spanien und setzte sein monastisches Leben im Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit in Cava (Provinz Salerno, Italien) fort. Im Wunsch missionarisch zu wirken, stellte er sich der «Kongregation für die Verbreitung des Glaubens» (heute «Dikasterium für die Evangelisierung) zur Verfügung und wurde nach Australien entsandt. 1847 wurde er zum Bischof von Victoria ernannt. Anfang 1862 nahm der Heilige Stuhl seinen Rücktritt an und er kehrte nach Spanien zurück. An seinem Wohnort Madrid engagiert er sich in verschiedenen apostolischen Werken und besucht immer wieder Spitäler. Hier trifft er Prostituierte, die wegen Geschlechtskrankheiten behandelt werden. Ihr Schicksal trifft ihn ins Herz – ihr Leben zählt nichts und sie werden von der Gesellschaft ausgeschlossen. Pater Serra will ihnen um jeden Preis helfen. «Wenn mir niemand hilft, werde ich es allein tun, mit der Gnade und Hilfe Gottes. Wenn alle Türen für sie verschlossen sind, werde ich eine für sie öffnen, die sie retten kann.»

Aufgrund seiner Erfahrungen in der Mission ist er geschickt im Knüpfen von Kontakten zu Institutionen und im Beschaffen von Ressourcen. Für ihn ist klar, dass Antonia María de Oviedo Schönthal, die inzwischen auch in Madrid lebt, die geeignete Person ist, um ihn in seinem Werk zu unterstützen. Er appelliert deshalb sogar an die Königin.

Endlich die Berufung gefunden
Als Pater Serra ihr seinen Plan unterbreitet, reagiert Antonia zunächst ablehnend. Sie findet das Projekt weder für Pater Serra noch für sich selbst geeignet. Aber ihr Glaube, ihre Aufgeschlossenheit und ihr Mitgefühl bringen sie dazu, den Vorschlag zu bedenken. Sie spürt den Ruf Gottes – ihre Ängste und ihr Widerstand werden zunehmend kleiner. Sie geht auf die Strasse zu den Frauen, hört ihnen zu und erkennt, dass sich diese von allen verlassen fühlen. Sie besucht die Jungfrau vom Guten Rat in der Kirche San Isidro und nimmt darauf die Anfrage von Pater Serra mit Überzeugung an.

Am 1. Juni 1864 öffnen Pater Serra und Antonia de Oviedo die Türen des ersten Hauses in Ciempozuelos (Madrid), wo sie Frauen und junge Mädchen aufnehmen, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Im Laufe der Zeit festigt und vergrössert sich das Projekt. Aus dem Engagement entwickelt sich 1870 die Gemeinschaft der «Oblatinnen vom Allerheiligsten Erlöser» (Oblatas del Santísimo Redentor), deren Gründer Pater José M. Benito Serra und Antonia de Oviedo Schöntal sind. Antonia nimmt den Ordensnamen Antonia Maria della Misericordia an. Angesichts der Realität der Frauen mahnt Sr. Antonia: «Ich möchte, dass ihr in ihnen das Bild des Erlösers seht.»

Während 34 Jahren begleitet Sr. Antonia (ehemalige) Prostituierte und teilt mit ihnen die befreiende Botschaft des Evangeliums, das ihnen den Weg zu Würde, Hoffnung und Erlösung eröffnet. Sie selbst sieht sich immer mehr in ihrer Berufung bestärkt. «Ich bin glücklich, so sicher, dass Gott mich zu diesem Werk berufen hat, so ruhig in meiner Berufung, dass mein einziger Wunsch ist, ihm treu zu sein.»

Am 28. Februar 1898 stirbt Sr. Antonia M. de la Misericordia in Ciempozuelos (Madrid).

Antonia hatte seit ihrer Jugend ein grosses Interesse an Forschung und Büchern und wurde selbst zur Schriftstellerin. Zwischen 1836 und 1855 schreibt sie Gedichte, Dialoge und Komödien, Geschichts- und Reiseerzählungen sowie Romane und autobiographische Texte über eucharistische, kirchliche und missionarische Themen.

Bereits im November 1927 beginnt in der Erzdiözese Madrid der Informationsprozess im Hinblick auf die Seligsprechung. Am 7. Juli 1962 anerkennt Papst Johannes XXIII. ihre heroische Tugend. Ein für die Seligsprechung nötiges Wunder erhält 2005 die Approbation der «Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse» und bedarf noch der päpstlichen Approbation.
 

Das Charisma der «Oblatinnen vom Allerheiligsten Erlöser» besteht auch heute noch darin, in der Nachfolge Jesu Frauen, die Opfer von Prostitution oder anderen Formen sexueller Ausbeutung geworden sind, die Frohe Botschaft vom Reich Gottes zu bringen. Aktuell ist die Gemeinschaft in 16  Ländern in Europa (Italien, Portugal und Spanien), Afrika, Südamerika, in den USA und auf den Philippinen tätig.


Quelle
https://hermanasoblatas.org/

 


[1] Die Kinder stammten aus ihrer zweiten Ehe mit Agustín Fernando Muñoz.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


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