Basilika Sacré Coeur in Paris. (Bild: Andrew White/Flickr, CC BY-NC 2.0)

Weltkirche

Auch ein Wahr­zei­chen von Paris: die Natio­nal­ba­si­lika Sacré-​Coeur

Weit­hin sicht­bar auf dem Märtyrer-​Hügel in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt steht die Natio­nal­ba­si­lika Sacré-​Coeur – ein schnee­weis­ser, sakra­ler Kup­pel­bau über dem Gewirr von Zehn­tau­sen­den Häu­sern. Vor 150 Jah­ren, am 16. Juni 1875, wurde der Grund­stein für die zweit­pro­mi­nen­teste Kir­che in Paris nach Notre-​Dame gelegt.

Der Montmartre («Hügel der Märtyrer») ist eine christliche Keimzelle von Paris: jener Hügel, wo der heilige Dionysius, Märtyrerbischof um 250, auf dem Richtplatz sein abgeschlagenes Haupt genommen und damit sechs Kilometer Richtung Norden gegangen sein soll. Wo er sich schliesslich niederlegte, erhebt sich heute die gotische Basilika Saint-Denis, Bischofskirche und Grablege französischer Könige. Auf dem Montmartre-Hügel liess die heilige Genoveva um 475 eine Kapelle zu Ehren von Dionysius bauen. Im 12. Jahrhundert entstand hier eine bedeutende Königsabtei der Benediktinerinnen, die 1794 in der Französischen Revolution zerstört wurde; die letzte Äbtissin endete auf dem Schafott.
Am 15. August 1534 hatte der heilige Ignatius von Loyola zusammen mit dem heiligen Franz-Xaver und weiteren Gefährten in der Krypta der Kirche die ersten Gelübde abgelegt – die Geburtsstunde des Jesuitenordens.

Montmartre behielt seinen dörflich-ländlichen Charakter, bis das von Städteplaner Georges-Eugène Haussmann (1809–1891) entfachte Baufieber die Armen von Paris zunehmend an die Stadtränder verdrängte. Die Nordseite des Montmartre mit dem sogenannten Maquis (Gestrüpp), mit seinen Höfen, Baracken und Elendsbehausungen wurde Rückzugs- und Wohnort für Diebe, Prostituierte und Kleinkriminelle.

Seit den 1880er-Jahren siedelten sich immer mehr Künstler der sogenannten Bohème hier an: Der Montmartre wird das legendäre Vergnügungsviertel von Paris.

Eucharistische Anbetung statt Absinth und Promiskuität
Dieses Klima von Absinth, Armut und Promiskuität barg ein starkes sozialrevolutionäres Potenzial. Im März 1871, nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg, entzündete sich der Aufstand der Pariser Kommune gegen die Übergangsregierung just am Montmartre; rund 30 000 Tote gab es durch Gewalt oder Hinrichtungen. Auch danach blieb das Viertel eine Brutstätte linksextremer, vor allem marxistischer Ideologien.

Der neue Pariser Erzbischof Joseph Hippolyte Guibert sah in der militärischen Niederlage von 1871 eine Strafe Gottes für Frankreichs Sünden. Ab 1872 verfolgte er die Idee einer nationalen Sühnekirche, geweiht dem «heiligsten Herzen Jesu» (sacré coeur).

Erzbischof Guibert griff damit die Visionen der Salesianerin Margareta Maria Alacoque (1647–1690) auf. Vor ihrem Tod hatte die Ordensfrau den Sonnenkönig Ludwig XIV. gebeten, ganz Frankreich dem Herzen Jesu zu weihen und dafür in Paris eine Kirche zu errichten. Nun, 200 Jahre später, sollte dieser Auftrag mit der nationalen Sühnebasilika in Erfüllung gehen.

Der Gedanke einer «christlichen Rückgewinnung» des Märtyrerhügels wurde vom Parlament ausdrücklich unterstützt. Damals war noch nicht abzusehen, dass 1905 in Frankreich eine strikte Trennung von Staat und Kirche gesetzlich verankert werden würde.

Allerdings erwies sich der lehmige Untergrund als nicht tragfähig genug. Die Stabilisierung verschlang Unsummen. So musste zur Finanzierung des Bauprojekts der Pilgerbetrieb praktisch unmittelbar, das heisst 1876, beginnen; zunächst mit einer provisorischen Kapelle.
 


Mit dem Wahlsieg der republikanischen, antiklerikalen Linken 1881 kippte die Stimmung: Léon Gambetta und der junge Georges Clemenceau störten sich an der «reaktionären» Basilika und lancierten deshalb den Eiffeltum als säkulares Gegenprojekt. Das extrem linke und antiklerikale Kabinett Combes (ab 1902) ging noch weiter: Es kappte 1904 die diplomatischen Beziehungen mit dem Papst und vollzog die strikte Trennung von Staat und Kirche. «Sacré-Coeur» wurde unter Zwangsverwaltung gestellt, eine republikanische Umwidmung drohte.

Dennoch war 1914 schliesslich der gesamte Bau fertiggestellt. Die Weihe war bereits für den 17. Oktober 1914 angesetzt, als Ende Juli der Erste Weltkrieg ausbrach. Mit dem französischen Kriegseintritt im August blieb die Nationalbasilika ungeweiht; die Zeremonie wurde fünf Jahre später, am 16. Oktober 1919, vom päpstlichen Legaten, Kurienkardinal Antonio Vico, und dem Pariser Kardinal Léon-Adolphe Amette nachgeholt. Alles, was in Frankreichs Kirche Rang und Namen hatte, nahm an der Feier teil. Die Regierung Clemenceau blieb der Feier demonstrativ fern.

Die Kunstkritik äussert sich bis heute abfällig über das Hauptwerk von Paul Abadie, der dem Markusdom von Venedig und anderen byzantinischen Kuppelkirchen wie der Hagia Sophia in Istanbul nachzueifern versuche, dabei jedoch vor allem Monumentalität und eine kühle Atmosphäre erzeuge.

Breite Zustimmung fand 2017 ein drastischer Vorschlag für den jährlichen Bürgerwettbewerb zur Stadtverschönerung: eine grosse Abrissparty. Sacré-Coeur sei eine «Warze von Versailles, die die Erinnerung an die Pariser Kommune beleidigt», irrlichterte der Antragsteller. Doch Bürgermeisterin Anne Hidalgo liess mitteilen, ein Abriss wäre gar nicht zulässig. Die Basilika sei denkmalgeschützt – und auch nicht Eigentum der Stadt, sondern der Erzdiözese Paris.


KNA/Redaktion


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