Calvaire auf dem Friedhof in Guéhenno, Bretagne. (Bild: Auteurp, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Neuevangelisierung

Auf dem Kreuz­weg in der Nach­folge Christi

Wäh­rend der Fas­ten­zeit kom­men die Gläu­bi­gen zusam­men, um gemein­sam des Lei­dens Christi zu geden­ken. Die bekann­teste Form ist die Kreuz­weg­an­dacht, bei der die Chris­ten gleich­sam den Lei­dens­weg Jesu mit­ge­hen und bei Sta­tio­nen, die kon­krete Ereig­nisse der Pas­sion dar­stel­len, inne­hal­ten und sich in Gedan­ken mit Jesus vereinen.

Der Ursprung des Kreuzweges liegt in Jerusalem. Den Weg, den Jesus mit dem Kreuz tatsächlich gegangen sein soll, ist die «Via dolorosa» – «Weg der Schmerzen». Christen wollten den Leidensweg Jesu nachgehen, von seiner Verurteilung im Haus des Pilatus bis zur Kreuzigung auf Golgota. Diese besondere Form der Christusnachfolge geht auf das Wort Jesu zurück: «Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach» (Mk 8,34).

Zu Beginn hielt man in Jerusalem nur an den beiden genannten Orten zum Gebet inne. Im Laufe der Zeit kamen weitere Stationen hinzu. Im 14. Jahrhundert veranstalteten die für das Heilige Land verantwortlichen Franziskaner Prozessionen auf dem Leidensweg Christi. Pilger brachten diese Andachtsform in ihre Heimatländer, wo der Leidensweg Jesu mithilfe von schlichten Kreuzen, Bildern und Plastiken nachgestellt wurde. Der erste Kreuzweg wurde durch den heiligen Álvaro de Córdoba (oder Zamora) nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land in dem von ihm gegründeten Kloster Santo Domingo de Scala Coeli in Córdoba (Spanien) errichtet.

Von zwei zu vierzehn oder mehr Stationen
Im 16. Jahrhundert veröffentlichte der ursprünglich aus Delft stammende katholische Priester Christian Kruik van Adrichem die Schrift «Jerusalem, sicut Christi tempore floruit, et suburbanorum, insigniorumque historiarum eius brevis descriptio» (1584). Darin beschreibt der Autor – der übrigens nie in Jerusalem war – einen Kreuzweg mit zwölf Stationen. Er gibt auch die Entfernungen zwischen den Stationen an, wie sie seiner Meinung nach in Jerusalem tatsächlich waren, «damit jeder Christ an beliebigem Orte, auch innerhalb seiner vier Wände, im Gang oder im Garten» den Kreuzweg Jesu nachvollziehen kann. Das Buch erschien auf Böhmisch, Deutsch, Englisch, Holländisch, Italienisch, Polnisch und Spanisch und erlangte eine grosse Verbreitung.

Diese zwölf Stationen, die sich im heutigen Kreuzweg wiederfinden, waren: 1. Verurteilung durch Pilatus; 2. Kreuzauflegung; 3. Erster Fall; 4. Begegnung mit der Mutter; 5. Hilfe Simons; 6. Veronika reicht Jesus das Schweisstuch; 7. Zweiter Fall; 8. Weinende Frauen; 9. Dritter Fall; 10. Entkleidung; 11. Kreuzannagelung; 12. Kreuzaufrichtung.

1625 kamen die Ereignisse nach dem Tod Jesu (Kreuzabnahme und Grablegung) durch den spanischen Franziskaner Antonius Daza hinzu. Im Kreuzweg fehlen aber wesentliche Ereignisse der Passion wie die Todesangst, Gefangennahme oder Geisselung.

Der heilige Leonardo da Porto Maurizio führte ein Abbild der Grabeskirche in Jerusalem als 15. Station ein. In einigen Barockkirchen in Süddeutschland bildet die Kreuzauffindung durch Kaiserin Helena die 15. Station. Aber auch die Darstellung des leeren Grabes oder der Auferstehung Christi sind in Kirchen zu finden.

Daneben waren in Böhmen, Schlesien und Polen Kreuzwege verbreitete, welche die gesamte Leidensgeschichte Jesu abbildeten und bis zu 30 Stationen umfassten. Jener von Římov (Tschechien) ist heute noch erhalten: Am Palmsonntag gedenken die Gläubigen an 25 Stationen auf einem Weg von etwa vier Kilometern dem Leiden Christi.
 


Vom Privileg der Franziskaner zur weltweiten Verbreitung
Dem erwähnten heiligen Leonardo da Porto Maurizio (1676–1751) verdanken wir die Verbreitung des Kreuzweges. Der Volksmissionar aus Italien soll selbst an der Errichtung von über 500 Kreuzwegen beteiligt gewesen sein. Papst Clemens XII. erkannte 1731 diese Form des Kreuzweges als kanonisch an und erteilte den Franziskanern das Privileg, Kreuzwege zu errichten. Der heilige Leonardo konnte später Benedikt XIV. (1740–1758) davon überzeugen, dass es sinnvoll wäre, möglichst viele Kirchen mit einem Kreuzweg auszustatten. So erteilte der Papst allen Kirchen das Recht, einen Kreuzweg zu errichten.

Der heilige Leonardo baute in seinem letzten Lebensjahr mit päpstlicher Erlaubnis Kapellen mit den vierzehn Kreuzwegstationen in die Arena des Kolosseums ein. Damit rettete er es von der Zerstörung, denn das Kolosseum war durch ein Erdbeben beschädigt und die Steine wurden für den Bau von Palästen genutzt. Papst Benedikt XIV. mauerte daraufhin das Kolosseum zu und erklärte es zur Kirche. Als 1870 Rom die Hauptstadt Italiens wurde, liess die Stadtregierung den Kreuzweg entfernen. Erst 1964 nahm Papst Paul VI. die Tradition des Kreuzwegs im Kolosseum wieder auf.

Sieben Fälle, Kalvarienberge und Sacri Monti
Im deutschen Sprachgebiet entwickelte sich zunächst ein Kreuzweg mit sieben Stationen. Dieser führte durch das Dorf oder über Felder, wobei an Kreuzen oder Andachtshäuschen einer Station des Leidensweges Christi in Jerusalem gedacht wurde. Die Anzahl wird auf den Einfluss der sieben Horen des Stundengebetes zurückgeführt oder auch auf die sieben Stationskirchen in Roms, in denen in der Karwoche die Stationsgottesdienste gefeiert wurden. Dieser Kreuzweg wurde auch die «sieben Fälle Jesu» genannt, da die Gläubigen bei jeder Station auf die Knie fallen. Vergleichbare Andachtsformen waren die Sieben Stillstände, die Sieben Blutvergiessungen Jesu oder die Stationenwege zu den Sieben Schmerzen Mariens (Via Matris).

Eine weitere Form des Passionsgedenkens waren die Kalvarienberge, lebensgrosse Nachbildungen des Leidens Christi an einem erhöhten Ort. Oft bestehen sie nur aus einer Kreuzigungsgruppe, sie können aber auch mehrere Skulpturengruppen des Leidensweges umfassen. In der Bretagne (Frankreich) finden sich Kalvarienberge, die in einer einzigen Skulptur unter einer aufragenden Kreuzigungsgruppe vollplastisch Szenen der Heilsgeschichte und des Lebensweges Jesu darstellen. Die Kalvarienberge entstanden Ende des 15. Jahrhunderts in Italien. Besonders die «Sacri Monti» in Norditalien sind eindrücklich. Nördlich der Alpen waren die Kalvarienberge vor allem während der Gegenreformation von grosser Bedeutung.
 

Der Kreuzweg hilft bei der Betrachtung des Leidensweges Christi, weil er konkrete Ereignisse des Leidens und Sterbens Christi plastisch vor Augen führt. Er endet mit der Grablegung, denn er wird während der Fastenzeit gebetet – Ostern ist noch weit weg. Es gilt, den Tod auszuhalten. Ein Gottesdienst endet üblicherweise mit dem Segen. Dieser entfällt bei der Kreuzwegandacht und zeigt so an, dass der Weg noch nicht zu Ende ist, dass der Tod nicht das letzte Wort haben wird.
 

Der Kreuzweg mit seinen vierzehn Stationen

1. Station: Jesus wird zum Tode verurteilt (Mt 27,11-26; Mk 15,15f; Lk 23,24f; Joh 19,16)
2. Station: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern (Joh 19,17)
3. Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz (wird nicht in der Bibel erwähnt)
4. Station: Jesus begegnet seiner Mutter (wird nicht in der Bibel erwähnt)
5. Station: Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz zu tragen (Mt 27,32, Mk 15,21; Lk 23,26)
6. Station: Veronika reicht Jesus das Schweisstuch (wird nicht in der Bibel erwähnt)
7. Station: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz (wird nicht in der Bibel erwähnt)
8. Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen (Lk 23,27-31)
9. Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz (wird nicht in der Bibel erwähnt)
10. Station: Jesus wird seiner Kleider beraubt (Mt 27,35; Mk 15,24; Lk 23,34; Joh 19,23f)
11. Station: Jesus wird ans Kreuz genagelt (Mk 15,24; Lk 23,33)
12. Station: Jesus stirbt am Kreuz (Mt 27,50; Mk 15,37; Lk 23,46; Joh 19,30)
13. Station: Jesus wird vom Kreuz genommen und in den Schoss seiner Mutter gelegt (nur Kreuzabnahme in der Bibel erwähnt, Mk 15,46; Lk 23,53; Joh 19,38)
14. Station: Der heilige Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt (Mt 27,57–60; Mk 15,46; Lk 23,53; Joh 19,40–42)


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


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