Nun konnte sie endlich das leben, was sie sich schon lange ersehnt hatte. Hier hörte sie in ihrem Innern immer wieder die Stimme des Herrn und erhielt von ihm Wegweisung. Das Wesentliche zeichnete sie auf und legte es ihrem Beichtvater und geistlichen Begleiter, dem belgischen Franziskaner Silverius van den Broek OFM vor. Ihr bescheidenes und verborgenes Leben wäre wohl ganz unbekannt geblieben, wenn er ihr nicht verordnet hätte, ihr Leben und ihre inneren Eingaben aufzuzeichnen.
So begann Sr. Maria im Januar 1940 in einem kleinen Heft die inneren Worte des Herrn zu notieren. 14 Abschnitte waren es im Jahre 1940. Im darauffolgenden waren es mehr als 180, und im Sterbejahr, das nur ein halbes Jahr dauerte, waren es bereits 480.
Mit diesen Aufzeichnungen hat sie uns ein wertvolles Dokument ihrer tiefen Geistigkeit hinterlassen. Dadurch fanden und finden nicht wenig Menschen im Kloster und in der Welt geistliche Nahrung. Sie beschreibt darin ihren Berufungsweg und ihre Offenbarungen Jesu.
Hören auf den Herrn
Sie befand sich in ihrem verborgenen Klosterleben in einem ständigen Hören. Hier lag der Schlüssel ihres Lebens: im Hören und Handeln, im «Schema Israel». Dazu schrieb Hans Urs von Balthasar im Vorwort der Ausgabe ihrer Biographie von 2020:
«Ihr fundamentales Thema ist das des ‹Inneren Hörens› auf die Stimme des Herrn. Dieses Hören ist ein zentraler Akt der christlichen und biblischen Kontemplation […] Gott spricht in sanfter Weise […] Er kann auch, wie es in den Heften von Sr. Maria von der Heiligsten Dreifaltigkeit gesagt ist, ohne Klang der Stimme sprechen, im Schweigen, und doch versteht die Seele, was Gott sagen will […] Die geistliche Intensität jedoch, mit der diese Stimme ertönt, lässt unser Ohr aufmerken, sicherlich nicht nach aussen, sondern zu unserem eigenen Inneren, wo sie auf dieselbe Weise spricht.»
Sr. Maria von der Heiligsten Dreifaltigkeit befand sich in ihrem kurzen, aber intensiven Klosterleben in einem ständigen Hören: Hören auf Gottes Stimme in seinem Wort, in der Eucharistie, in den Mitmenschen, in ihrem eigenen Herzen.
In ihrem einfachen klösterlichen Alltag war Sr. Maria eifrig bestrebt, den Willen Gottes herauszuhören und ihn auch zu tun. Davon sind ihre Tagebuchaufzeichnungen ein Beweis. Ihre Aszese und ihre Frömmigkeit blieben stets vernunftgeleitet. Durch das Mitwirken der Gnade Gottes überwand die Dienerin Gottes mehr und mehr verschiedenste Hindernisse in ihrer Seele und schuf so weiten Raum und Möglichkeit für eine wachsende Fülle des Lebens und des Wirken Gottes. Ihre Aufzeichnungen sind dafür ein wertvolles Dokument. Sie geben Klosterleuten und Laien Bestätigung ihrer christlichen Berufung in der heutigen Welt.
3. Aufzeichnung
«Meine kleine Braut, mache Mir zum Geschenk: jedes überflüssige Wort, das du verschweigst, jeden Gegenstand, der nicht unentbehrlich ist, auf den du jedoch verzichtest, obwohl er erlaubt wäre, jede Müdigkeit und jedes Leiden, das die anderen nicht ahnen und das du verbirgst, um mir deine Liebe zu beweisen, und weil Ich so sehr deiner Gaben bedarf!»
Nach ihrer ersten Profess am 29. August 1940 (5. Aufzeichnung)
«Du bist Mein; – du bist ganz Mein […] Geh nicht fort. Bleibe bei Mir, in Mir, Ich verlasse dich nie. Ich habe so lange auf dich gewartet.
Die einzige Wirklichkeit ist: Ich liebe dich und Ich behüte dich. Für jetzt und ewig. Alles andere muss man mit Sanftmut und Geduld ertragen. Es sind nur flüchtige Bilder, die an dir vorüberziehen. Aber Ich bleibe. Ich liebe dich und Ich behüte dich.»
Sr. Maria war sich selbst gegenüber sehr kritisch. Ja, sie zweifelte oft daran, dass diese innere Stimme wirklich von Jesus komme. Ihr geistlicher Begleiter zweifelte aber nicht daran. Ja, er machte ihr Mut, auf diese Stimme zu lauschen und ihr zu folgen.
Die Opferseele
Am Schluss der jährlichen Exerzitien erhielt sie am 8. Dezember 1941 von ihrer Äbtissin die Erlaubnis, das «Gelübde der Opferseele» abzulegen. Gerade dieses Gelübde könnte bei uns Heutigen Widerstand wecken. Dazu meint Hans Urs von Balthasar in seinem Vorwort:
«Gegen Ende der Hefte wird immer drängender auf ein ‹voeu de victime› (Opfergelübde) hingewiesen als auf das, was der Herr vor allem wünscht. Und zwar, wie an einer Stelle ausdrücklich gesagt wird, nicht allein in kontemplativen Klöstern, sondern in allen Ständen, mitten in der Welt. Der Begriff ‹Opferseele› macht uns misstrauisch. Betrachtet man näher, was in diesen Heften damit gemeint ist, so kann unser Misstrauen schwinden. Es geht nicht um die freiwillige Übernahme eines Höchstmasses an sühnendem Leiden, sondern an einem Höchstmass an Bereitschaft und Widerstandslosigkeit für alle Verfügungen Gottes. Der Mensch gelobt nicht (wie es zuweilen geschah), immer das Vollkommenere zu tun, sondern immer – (wie das Jawort Marias es meinte) –geschehen zu lassen, was Gott will, und was natürlich das Vollkommenste ist.»
Immer wieder wurde Sr. Maria von ihrer gebrechlichen Natur eingeholt. Wie sie damit umging, zeigt, dass sie eine wahrhafte Schülerin des heiligen Franz und der heiligen Klara war: kein Jammern, kein Hadern.
Am 17. Juni 1942 musste sie erneut das Bett hüten. Sie sprach vom baldigen Tode. In ihrem Tagebuch schrieb sie zum letzten Mal: [Jesus, der zu ihr spricht:] «Ich kann dich heilen, sobald Ich will, wenn Ich es will; aber Ich habe dich gerufen, willst du?» Ihre Antwort: «Ja, mein Herr Jesus, ja!»
Am 25. Juni hatte sie eine schwere Nacht. Die Schwestern riefen ihren Beichtvater, der ihr die Sterbesakramente spendete. Bei vollem Bewusstsein empfing sie diese und diktierte zwei kurze Briefe, einen an ihren Vater, den anderen an ihre Schwester Alice. Ihr «Transitus»[2] war ohne jeglichen Todeskampf.
«Selig, die im Frieden alles leiden, von dir o Höchster werden sie gekrönt.» Diese Worte ihres Ordensgründers Franziskus haben sich an ihr in besonderer Weise bewahrheitet. Sie starb um 14.30 Uhr. «Ja, mein Herr Jesus, ja!» Ihr Leben in der Verborgenheit des Klosters zu Jerusalem war wahrhaft im Leiden und Opfern ein stellvertretendes Sein für all die vielen Menschen, die Christus und seine Kirche noch nicht kennen. Ihr Leben und Sterben war ein Ganzopfer für die Rückkehr aller Christen zur Einen Kirche. Ihr Leben war wie ein Weizenkorn. Nun in die Erde gelegt, wird es zu seiner Zeit Frucht bringen.
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