Neuerscheinungen

Bedroh­tes Über­le­ben im Zweistromland

Der Irak gilt als die «Wiege der Zivi­li­sa­tion» – und behei­ma­tet seit der Antike ein leben­di­ges Chris­ten­tum. Jetzt erscheint zum ers­ten Mal eine Gesamt­dar­stel­lung des Chris­ten­tums im Irak. Das Buch von Mat­thias Kopp schil­dert detail­reich des­sen bewegte Geschichte und der­zei­tige Tragödie.

Der Irak ist aus der öffentlichen Wahrnehmung fast verschwunden. Stattdessen prägen der Nahost-Konflikt und die Entwicklungen in Syrien das Bild der Krisenregion. Ein neues Buch widmet sich nun der Religionsgeschichte an Euphrat und Tigris – aus der Perspektive der bedrohten christlichen Minderheit. Das zu Beginn dieser Woche erschienene Buch «Iraks christliches Erbe. Vom Überleben im Zweistromland» ist die bislang einzige Gesamtdarstellung des irakischen Christentums von seinen biblischen Anfängen bis zur gefährdeten Gegenwart. Und sie stellt eindringlich die Frage nach der Zukunft.

Autor Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, befasst sich seit Jahrzehnten mit dem politischen und religiösen Geschehen im Nahen Osten. Über die Nahost-Diplomatie des Vatikans, die einen Schwerpunkt des Buches ausmacht, hat er etliche Publikationen vorgelegt. Für das Vorwort konnte der Verfasser Papst Franziskus persönlich gewinnen.

Irakischen Christen droht das Ende
Matthias Kopp nennt seine Arbeit, mit der er 2024 im Fach Theologie promovierte, eine «Hommage an die Christinnen und Christen, die ihr Christsein im Irak bis heute leben». Und er macht deutlich: Das Christentum im Zweistromland steht nach Jahren der Verfolgung und Massenabwanderung vor seinem Ende. Ohne eine politische Wende droht es zu verlöschen.

Das Buch skizziert zunächst die historischen Linien zur Zeit des Alten Testaments und entwickelt dann die gesamte 2000-jährige Christentumsgeschichte im Irak. Sie beginnt mit dem frühen Mönchtum und den ersten Konzilien, geht über die Zeit arabischer, mongolischer und turkmenischer Herrschaft bis in die Epoche von Safawiden, Persern und Osmanen.

Die verschiedenen religiösen Bekenntnisse werden ausführlich dargestellt; insbesondere die oft komplizierten und prekären Wege der assyrischen Kirche, der Alten Apostolischen Kirche des Ostens, der seit dem 17. Jahrhundert mit Rom unierten Chaldäer und der lateinischen Kirche selbst zeichnet Kopp mit grosser Faktenfülle nach. Die Geschichte der nichtchristlichen Gruppen, der verfeindeten Sunniten und Schiiten, der Jesiden oder Zoroastriern findet ebenfalls Erwähnung.

Fokus auf der jüngeren Geschichte
Den weitaus meisten Raum nimmt die von Gewalt geprägte Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert ein. Nach über einem Jahrtausend als oft bedrängte, aber beharrliche Minderheit beginnt hier der Weg der Christen in den drohenden Untergang. Seit der britischen Mandatszeit nach dem Ersten Weltkrieg galten sie häufig als Vorhut des Westens, wurden aber auch für ihr Engagement im Gesundheits- und Bildungsbereich geschätzt.

Eine verstärkte Islamisierung des Staates setzt bereits unter dem Baath-Regime Saddam Husseins ein.

Derweil bemühte sich gerade die Friedensdiplomatie von Papst Johannes Paul II. vergeblich, die Golfkriege von 1991 und 2003 zu verhindern. Während der Golfkrieg von 1991 von der UNO gutgeheissen wurde und die Befreiung des zuvor vom Irak besetzten Kuwait zum Ziel hatte, wurde der Golfkrieg von 2003 nur von den USA und Grossbritannien geführt. Dies mit der Begründung, dass der irakische Diktator Saddam Hussein Massenvernichtungsmittel produziere und mit al-Qaida gemeinsame Sache mache. Diese Begründung konnte auch nach dem Krieg nie verifiziert werden. Heute gilt es als gesichert, dass die USA primär aus geopolitischen Gründen (Sicherung der Erdölversorgung) handelte. Im Vatikan war man sich dieser prekären Begründung bewusst; insbesondere befürchtete man, dass dieser Krieg zu einem Massenexodus der irakischen Christen führen könnte, was sich in der Tat bewahrheitete.

Die Genese und den Aufstieg der sunnitischen Terrormiliz «Islamischer Staat» (ISIS/IS) ab 2013 untersucht Matthias Kopp eingehend und beleuchtet akribisch die apokalyptische Gewaltorgie der Islamisten gegen Christen und Jesiden bis zur IS-Niederlage 2017. Hunderttausende flohen vor Massakern und Verfolgung, uralte christliche Kulturgüter wurden zerstört.

Papstreise 2021 als Signal der Hoffnung
Dagegen setzte Papst Franziskus mit seiner Irak-Reise im März 2021 ein Hoffnungszeichen. Der Autor widmet den letzten Teil seines Buches dem dreitägigen Besuch, der die dramatisch schrumpfende christliche Gemeinschaft ermutigen und den Dialog mit den herrschenden Schiiten stärken sollte. Das Treffen von Papst Franziskus mit dem Oberhaupt der Schiiten, Grossajatollah Ali al-Sistani, in Nadschaf und eine interreligiöse Begegnung an Abrahams Heimatort Ur beschworen den Geist von Toleranz und Gemeinsamkeit. Matthias Kopp nennt die Reise, die er Station für Station analysiert, «historisch», wenngleich darauf Ernüchterung gefolgt sei – denn Bagdad tue kaum etwas für die zerstörten christlichen Gemeinden.

«Der Irak von morgen wäre zukunftsfähig und mit einer Perspektive von dauerhafter friedlicher Koexistenz ausgestattet, wenn es gelingen würde, die tiefen Gräben des grassierenden Konfessionalismus zu überwinden», resümiert Matthias Kopp. Sie aber liege in weiter Ferne. Das fundamentale Problem bleibe die extreme Abwanderung. Laut Schätzungen leben von den einst rund 1,5 Millionen Christinnen und Christen noch weniger als 250 000 im Zweistromland. Ohne das Christentum jedoch, das Kopp als «Motor einer Vergebungs- und Versöhnungsgeschichte» für unverzichtbar hält, drohe der einstigen Wiege der Zivilisation ein unwiederbringlicher Identitätsverlust.
 

Matthias Kopp ist Theologe, Archäologe und Journalist. Nach Tätigkeiten bei Radio Vatikan, im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und beim Weltjugendtag 2005 ist er seit 2009 Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz.
 

Matthias Kopp, Iraks christliches Erbe – Vom Überleben im Zweistromland, Verlag Herder, Freiburg 2025, 872 S., ISBN 978-3-451-02437-5. Link


KNA/Redaktion


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Sei der Erste, der kommentiert