Selbstredend blieb auch die Stiftsschule Einsiedeln in ihrer langjährigen Geschichte nicht von Umbrüchen und Krisen verschont. Erinnert sei hier etwa an die 68er-Bewegung mit ihrer Ablehnung jeglicher, auch kirchlicher Autorität. Über Jahre erzählte Thomas Hürlimann – Sohn des genannten berühmten Vaters – mit Stolz, wie er mit 15 Jahren an der Stiftsschule einen «Club der Atheisten» mitbegründet habe. Durch eine Luke hätten sie einen Papierflieger in die Klosterkirche mit dem rebellischen Pamphlet «Religion ist der Wille zum Winterschlaf» fliegen lassen.
2001 wurde das Internat, Herzstück einer jeden Klosterschule, geschlossen. Internate seien nicht mehr zeitgemäss, meinten manche. Sie sollten sich irren. Die 2007 erfolgte Neueröffnung des Internats erwies sich alsbald als ausgesprochen erfolgreich.
Seit einigen Jahren hat nun eine Neubesinnung auf das Erbe benediktinischer Spiritualität stattgefunden. Seither verzeichnet die der humanistischen Bildung verpflichtete Stiftsschule einen verblüffenden Aufschwung. Einer der beiden Schulseelsorger, Pater Thomas Fässler, erklärte gegenüber «swiss-cath.ch» die Gründe für die neue Blüte der Stiftsschule.
P. Thomas, erzählen Sie uns kurz etwas über die jüngere Geschichte der Stiftsschule Einsiedeln.
Meines Erachtens gehört es zur DNA eines Benediktinerklosters, eine Schule zu haben. Wir haben das Gefühl, dass wir so etwas von dem, was wir täglich erleben, was zu einem gelungenen Leben beiträgt, weitergeben können. Deshalb führen wir seit unseren Anfängen diese Schule und haben bis in die 70er-Jahre auch alle Lehrer selbst gestellt. Aktuell sind unter den insgesamt gut 50 Lehrpersonen fünf Mönche.
Als die Zahl der eigenen Lehrer abnahm und diese durch externe Lehrerinnen und Lehrer ersetzt wurden, war man sich zunächst gar nicht bewusst, dass damit auch eine Veränderung im Charakter der Schule geschieht. Man dachte, die Schülerinnen und Schüler wüssten ja weiterhin, was das Kloster Einsiedeln ist, was in der Benediktsregel steht, sie wären kirchlich sozialisiert usw. Erst als die Zahl der eigenen Lehrer minim geworden war, kam die Erkenntnis: Wenn wir die Stiftsschule wirklich als Klosterschule im benediktinischen Geist weiterführen möchten, müssen wir jetzt etwas unternehmen.
Abt Urban entschied, eine Schulseelsorge einzurichten, welche die Aufgabe hat, die Schule in einer benediktinischen Prägung zu erhalten. Die Eltern sollten merken, dass an der Stiftsschule ein benediktinischer Geist herrscht und sie ihr Kind gerade auch wegen den entsprechend hier gelebten Grundhaltungen an unsere Schule schicken.
Die Stiftsschule gehörte also immer dem Kloster Einsiedeln?
Ja, die Trägerschaft war immer das Kloster Einsiedeln, nur haben wir weder das Know-how noch die personellen Ressourcen, um die Schule strategisch zu führen. Deshalb war es unsere Absicht, ein Gremium einzusetzen, das in unserem Sinn wirkt. Dies haben wir mit der Einrichtung des Schulrates umgesetzt. Dieser trägt – nach Vorgaben der Trägerschaft – die Verantwortung für die strategische Ausrichtung der Stiftsschule. Das fünfköpfige Gremium setzt sich aus vier externen Mitgliedern und mir als Vertreter des Klosters zusammen. Wir verfolgen gemeinsam das Anliegen, die Schule so in die Zukunft zu begleiten, dass wir den uns anvertrauen jungen Menschen alles Notwendige für ein gelungenes Leben mitgeben – und zwar ganzheitlich, nicht nur bezüglich Wissensvermittlung. Die Schulleitung setzt dann die Entscheidungen auf der operativen Ebene um.
Wichtig ist auch die Stärkung des benediktinischen Geistes. Dies wird durchaus wahrgenommen. Ich wurde beispielsweise von einem Verantwortlichen einer anderen Klosterschule nach unserem Vorgehen befragt, da auch sie ihre Schule wieder stärker benediktinisch prägen möchten.
Diese Neuorientierung stiess vermutlich nicht überall auf offene Ohren und Herzen.
Natürlich gab es zunächst auch Kritik. Mir wurde offen ins Gesicht gesagt, wir würden so die Stiftsschule kaputtmachen. Es brauchte viel Vertrauensarbeit. Inzwischen ist es uns – so scheint es mir – gelungen, davon zu überzeugen, dass eine benediktinische Prägung nicht in die befürchtete Enge führte, sondern im Gegenteil die Herzen weitet. Die Lehrerinnen und Lehrer merkten, dass das, was wir tun, Hand und Fuss hat. Sie sahen, dass wir niemanden vereinnahmen oder etwas aufdrängen wollen, dass wir keine Frömmler sind, sondern im gut benediktinischen Geist den Menschen etwas mitgeben möchten, wovon wir überzeugt sind. In den Klassen beginnt zum Beispiel der Schultag jeweils mit einer Morgenbesinnung. Hier sind die Lehrerinnen und Lehrer aber frei, wie sie diese gestalten möchten. Es geht einfach darum, den Schülern «mehr» mitzugeben als den blossen Schulstoff.
Die Stiftsschule hat in den letzten fünf Jahren einen Aufschwung erlebt …
Ja, wir sind heute an der maximalen Kapazitätsgrenze. Wir haben so viele Schülerinnen und Schüler wie noch nie, insgesamt 420. Letztes Jahr gab es auf 65 freie Plätze über 120 Anmeldungen. Wie bei allen Gymnasien ist auch bei uns der Anteil der Mädchen grösser als jener der Jungen. Wir führen inzwischen drei Klassen pro Jahrgang, doch grösser können und wollen wir nicht werden. Auch das Internat, das wir im Sommer 2001 für einige Jahre geschlossen hatten, ist mit 50 Internen bis fast auf den letzten Platz besetzt.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Lieber Pater Thomas
Herzliche Gratulation den Seelsorgern der Stiftsschule und damit der Klostergemeinschaft, wie Sie das spirituelle Klosterleben den heutigen Stiftsschülern / Schülerinnen UND deren Eltern nahebringen. Wunderbar!
Tempora mutantur nos et mutamur in illis!
Das Gebet war vor 50 Jahren noch allgegenwärtiger und anfänglich nicht hinterfragter Teil unseres Alltags, Die Teilnahme an den Gottesdiensten war im Gymnasium Pflicht, im Lyzeum theoretisch fakultativ, nachdem wir dann als religiös mündig behandelt wurden. Jedes Absenzbegehren zB von einem der Kirchengänge musste religiös, zumindest aber philosophisch begründet werden, Atheismus und Agnostizismus waren erlaubte Argumente, „kein Bock“ dagegen intellektuell verpönt. Der Lyzeumspräfekt war gleichzeitig unser Philosophie- und Griechischprofessor, der kannte (in seiner ganzen Güte und Konzilianz) argumentativ keine Gnade.
Unser Tagesablauf als Klosterschüler war noch näher am Klosterrhythmus als heute: Weckmusik 6:00, Morgengebet im Museum 6:20, Tischgebete vor / nach den 3-4 Mahlzeiten, Gebet vor der 1. Tageslektion je nach Schulfach Lateinisch, Griechisch, Französisch, zumeist Deutsch. Abendgebet wieder im Museum um 20:40.
Anfangs der 70er Jahre besuchten wir 3 Messen pro Woche: dienstags die Studentenmesse mit Kirchengesängen in der Studentenkapelle, freitags / sonntags das Frühamt bzw. das Hochamt jeweils in der Klosterkirche, hier das meiste lateinisch, mit der Liturgiereform dann vermehrt deutsch.
Als Pubertierende war uns das allerdings einerlei, wir waren einfach da, mal betend, auch träumend, besser nicht schwatzend (der Internatspräfekt stand hinter uns bewegungslos im Mittelgang), deshalb in der Stiftskirche häufig lesend im Schott, später in der Bibel, wahlweise auch im Simmel (verborgen im Bibelumschlag, JMS soll damals auf dem „Index“ gestanden haben…).
Am kurzweiligsten erlebten wir die Choralmesse am Freitag, besonders aber das sonntägliche Hochamt als aktiv den Gottesdienst mitgestaltender Sänger im Knabenchor ab 12, ich selbst im Stiftschor und in der Choral-Schola nach dem Stimmbruch. In Erinnerung bleiben mir diese Gottesdienste als an Feierlichkeit nicht zu überbietende Sonntags-Routine. Nachher gab’s das Sonntagsessen, mit Süssmost (im Bleckkrug) statt bzw. zusätzlich zum eiskalten Quellwasser (im Tonkrug).
Was mir persönlich davon geblieben ist: Die Liebe zur Katholischen Kirche (trotz allem), zu feierlichen Gottesdiensten, die Sangesfreude in Kirchen (wirklich) jeder Denomination, nur würdig muss es sein! Und immer, wenn unsere 4-8 köpfige Familie sich zum Essen trifft: Warten bis alle sitzen, 2 Sekunden innerliche Sammlung, dann das Tischgebet, bisweilen jenes aus unserem Speisesaal vor über 50 Jahren.,,
Ein lieber Gruss an die Redaktion, besonders aber an Pater Thomas und seine unter Abt Urban „vorwärts stürmenden“ jungen Mitbrüder von
Urs Dieter Schmid 66-M73