(Bild: Vidar Nordli Mathisen/Unsplash)

Hintergrundbericht

«Bit­tet also den Herrn, Arbei­ter für seine Ernte auszusenden»

Am Sonn­tag begeht die Kir­che den «Welt­ge­bets­tag um geist­li­che Beru­fun­gen». Seit 60 Jah­ren bit­tet sie am «Gut-​Hirt-​Sonntag» um geweihte Män­ner und Frauen, die Chris­tus radi­kal – von radix (Wur­zel) – nach­fol­gen möchten.

Papst Paul VI. führte während des Zweiten Vatikanischen Konzils den Weltgebetstag um geistliche Berufe ein. In seiner Radioansprache vom 11. April 1964 sagte er: «Das Problem der ausreichenden Zahl von Priestern geht alle Gläubigen unmittelbar an: Nicht nur weil davon die religiöse Zukunft der christlichen Gesellschaft abhängt, sondern auch weil dieses Problem der präzise und unerbittliche Indikator für die Vitalität des Glaubens und der Liebe der einzelnen Pfarrgemeinden und Diözesen sowie Zeugnis für die sittliche Gesundheit der christlichen Familien ist. Wo Priester- und Ordensberufungen in grosser Zahl erblühen, dort lebt man grossherzig nach dem Evangelium.»

Auch wenn die Sprache in unseren Ohren veraltet klingen mag – der Inhalt ist es nicht.

Durch die Taufe sind alle Gläubige priesterlich. Sie «üben ihr Priestertum als Getaufte dadurch aus, dass sich jeder gemäss seiner eigenen Berufung, an der Sendung Christi, des Priesters, Propheten und Königs, beteiligt» (KKK 1546). Der Priester (Amtspriestertum) steht dabei im Dienst dieses gemeinsamen Priestertums; er soll den Gläubigen helfen, ihre Taufgnade zu entfalten. So ist das Amtspriestertum «eines der Mittel, durch die Christus seine Kirche unablässig aufbaut und leitet» (KKK 1547).
Beim Letzten Abendmahl hat Jesus Christus das Sakrament der Eucharistie eingesetzt und gefordert: «Tut dies zu meinem Gedächtnis» (Lk 22,19). Dieser Auftrag war konkret an die Apostel gerichtet und wurde von ihnen getreu übernommen und später weitergegeben («apostolische Sukzession»). Indem wir in der Eucharistie Christus selbst empfangen, ist sie «Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens» (Lumen Gentium 11).
Die Sendung des Priesters zum Aufbau der Kirche ist unersetzlich.

Jesus selbst hat Menschen in seine vorbehaltlose Nachfolge berufen. Schon früh gab es Christinnen und Christen, die die Lebensform Jesu nachahmten und arm, ehelos und ganz dem Willen Gottes gehorsam lebten. Unter dem Wirken des Heiligen Geistes entwickelte sich das geweihte Leben im Lauf der Geschichte weiter und es entstanden neue Formen. Heute kennen wir kontemplative und aktive Klöster, religiöse Gemeinschaften, Säkularinstitute, gottgeweihte Jungfrauen, geweihte Witwen sowie Eremitinnen und Eremiten. Sie alle sind Abbilder Jesu Christi: Die Personen des geweihten Lebens, die sich ganz der Kontemplation widmen, verweisen auf Jesus, der auf dem Berg oder in der Einsamkeit betete. Die geweihten Frauen und Männer in sogenannten aktiven Orden zeigen Jesus Christus, der das Reich Gottes verkündigte oder Kranke heilte. Die Mitglieder von Säkularinstituten leben in der Welt und von der Welt ausgehend und durchdringen sie wie ein Sauerteig mit dem Geist des Evangeliums (vgl. Vita consecrata 32).

Gleichzeitig weist das geweihte Leben mit seinem Leben auf das kommende Reich Gottes hin. «Das geweihte Leben kündigt die künftige Zeit an und nimmt sie gewissermassen vorweg, wenn jenes Himmelreich, das schon jetzt im Keim und im Geheimnis gegenwärtig ist, zur Vollendung gelangt ist, und die Kinder der Auferstehung nicht mehr heiraten, sondern sein werden wie die Engel Gottes» (Vita consecrata 32).

So hält das geweihte Leben die Botschaft des Evangeliums lebendig und weist gleichzeitig auf die künftige Welt hin. Damit spornen sie sich gegenseitig, aber auch alle Gläubigen zur Heiligkeit an, die Jesus Christus von uns fordert: «Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist» (Mt 5,48).
 


Die Kirche, der Leib Christi, braucht Priester und Frauen und Männer des geweihten Lebens. Es ist deshalb notwendig, um Berufungen zu bitten. Jesus selbst sagte: «Die Ernte ist gross, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden» (Mt 9,37). Papst Benedikt schrieb in seiner Botschaft zum Weltgebetstag um Geistliche Berufungen 2013: «Wenn ein Jünger Jesu den göttlichen Ruf annimmt, sich dem priesterlichen Dienst oder dem gottgeweihten Leben zu widmen, zeigt sich darin eine der reifsten Früchte christlicher Gemeinschaft, die hilft, mit besonderer Zuversicht und Hoffnung auf die Zukunft der Kirche und ihr Engagement der Evangelisierung zu schauen.»

Beruf oder Berufung?
Die «Fachstelle Information kirchliche Berufe des Vereins IKB» benannte den Tag in den vergangenen Jahren mit «Weltgebetstag für kirchliche Berufe», aktuell kurz und knapp mit «Weltgebetstag Berufungen».

Der Leiter der Fachstelle, Alex Mrvik-Emmenegger, schreibt im Vorwort zu den Unterlagen:
«Früher lag der Akzent stärker darauf, für zukünftige Priester und Ordensleute zu beten. Nachdem das Konzil die allgemeine christliche Berufung Kraft unserer Taufe und Firmung betont hatte, konnte sich auch das Gebetsanliegen wandeln. Es ist wichtig, dass jeder Mensch den Ruf hören kann, sich vom Geist Gottes berühren und ermutigen lässt und ganz seiner Berufung folgen kann, ob in der Familie, in der Kirche oder in der Arbeit. So wird Gottes Reich ein Stück unserer Wirklichkeit.»

In seinem als «Bischofswort» oder «Geleitwort» bezeichneten Text bleibt Bischof Felix ebenfalls ausweichend vage: Ausgehend vom Wort «Berufungen» denkt er über das «Hören» nach und endet mit den Worten: «All diese Dimensionen, die ein Hören im Sinne der Bibel auszeichnen, betreffen die geistliche Berufung als einen nicht endenden Prozess des aufmerksamen Hinhörens. Das Beten für Berufungen im kirchlichen Dienst kann unter dem diesjährigen Motto besonders akzentuiert ein Beten für die Bereitschaft dazu sein, dass Menschen in unterschiedlichsten Situationen Gottes Ruf hinhörend nachspüren.»

Die Kollektenansage erklärt, dass der Verein «Information kirchliche Berufe» ein Motor für die Berufungspastoral der Deutschschweiz sei, mit den Schwerpunkten: Werbung für kirchliche Berufe, Weiterentwicklung und Vernetzung von Ausbildungsmöglichkeiten, Berufsberatung für Neu- und Quereinsteigende in kirchlichen Berufen. Da der Auftrag der IKB, Menschen auf der Suche nach einem geweihten Leben zu begleiten, nicht erwähnt wird, muss davon ausgegangen werden, dass das geweihte Leben unter «kirchliche Berufe» subsummiert wurde.

Ein Beruf kann zugleich eine Berufung sein, aber eine Berufung darf nie einfach ein Beruf sein. Die Berufung durchdringt den ganzen Menschen, wird zu seinem Wesen; eine Berufung kennt keine Arbeitszeiten. Schaut man sich hingegen die Stelleninserate für Priester, «Seelsorgerinnen» oder Katecheten an, werden fachliche und soziale Kompetenzen erwartet, aber normalerweise keine Freude an Gott und seiner Botschaft, geschweige denn eine Gottesbeziehung.

Für Menschen zu beten, die einen Dienst in der Kirche übernehmen, ist sicher sinnvoll. Das Kernanliegen des Weltgebetstages geht aber darüber hinaus. Es geht dabei nicht primär um die allgemeine Berufung, die wir durch die Taufe erhalten haben: Die Entfaltung der Taufgnade ist ein täglicher Auftrag an jeden Einzelnen. Leider wird auch Papst Franziskus in seiner Botschaft zu diesem Tag dem Anspruch des Evangeliums, Christus in ungeteilter Hingabe nachzufolgen, nicht gerecht. Aber gerade indem wir um Priester und Menschen des geweihten Lebens beten, fördern wir unsere eigene Berufung.

Wir brauchen überzeugte und überzeugende Menschen, die ihr Leben ganz in den Dienst Gottes stellen und so am Reich Gottes mitbauen. Wir brauchen Frauen und Männer des geweihten Lebens, die uns durch ihr Sein und Tun täglich Jesus Christus und sein kommendes Reich vor Augen stellen. Wir brauchen Priester, die uns durch die Spendung der Sakramente heiligen, stärken und Gott näherbringen; die uns helfen, unsere Taufgnaden zu entfalten und in den Dienst der Kirche zu stellen.

«Die Ernte ist gross, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden» (Mt 9,37).

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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  • user
    Stefan Fleischer 30.04.2023 um 05:46
    Ja, der «Gut-Hirt-Sonntag» ist ein "gutes" Beispiel dafür, wie sich unsere Kirche in den letzten Jahrzehnten geändert (verweltlicht) hat. Wie ich das erlebt habe, habe ich einmal so beschrieben:

    https://www.stefanfleischer.ch/PAPI/EINZELTEXTE/guthirt.html