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Hintergrundbericht

Bun­des­rat als Erfül­lungs­ge­hilfe der Transplantationslobby

Am 21. August 2024 endet die Frist für die Ver­nehm­las­sung zur revi­dier­ten Trans­plan­ta­ti­ons­ver­ord­nung. Human Life Inter­na­tio­nal (HLI) Schweiz lehnt die geplante elek­tro­ni­sche ID (E-​ID) für das Organ­spen­de­re­gis­ter in der vor­ge­se­he­nen Form ab. Zudem ver­langt die Orga­ni­sa­tion ein­mal mehr den sofor­ti­gen Stopp der Organ­ent­nah­men nach anhal­ten­dem Herz-​Kreislaufstillstand. Eine Stu­die, die mit Schwei­nen durch­ge­führt wurde, bestä­tigt, dass diese Organ­ent­nah­me­art in der Schweiz ille­gal ist.

Man erhält nur lapidare Antworten auf Fragen zu illegalen Organentnahmen nach anhaltendem Herz-Kreislaufstillstand: Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und Swisstransplant wimmeln immer ab; ebenso erging es bisher den Parlamentarierinnen bei ihren Anfragen bzw. ihrer Motion beim Bundesrat (19.4569, 20.3784, 23.7528, Motion 23.4054).

Für die potenziellen Organspenderinnen und -spender ist es wichtig zu wissen, dass in der Schweiz zwei unterschiedliche Organentnahmearten am Lebensende praktiziert werden.

Bei 57 % der Fälle erfolgt die Organentnahme nach einer schweren Hirnschädigung (DBD). Der Kreislauf dieser Patienten wird mit intensivmedizinischen Mitteln aufrecht erhalten. Die Patienten werden als hirntot erklärt, wenn die geprüften Hirnreflexe abwesend sind und ein weiterer Test das anzeigt. Das entspricht dem klassischen Hirntodkriterium, das in Art. 9 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes umschrieben ist: «Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind.» Für die anschliessende Organentnahme im Rahmen einer mehrstündigen Operation besteht in der Regel kein Zeitdruck, denn die Organe werden bis zur Operation weiterhin durchblutet.

Illegale Organentnahmen nach anhaltendem Herz-Kreislaufstillstand

Ganz anders ist das bei den 43 % der anderen Fälle (DCD). Aufgrund der aussichtslosen medizinischen Prognose wird entschieden, die lebenserhaltenden Geräte abzuschalten. Der Herzstillstand wird abgewartet. Tritt dieser ein, wird das Herz in einer fünfminütigen No-touch-Phase unter Ultraschall beobachtet. Anschliessend werden in der Schweiz Reflexe geprüft, die für das Hirntodkriterium gelten. Dann folgt unmittelbar unter grösstem Zeitdruck die mehrstündige Operation für die Entnahme der Organe. Allerdings erfolgt die sogenannte Todesfeststellung nur mit einer Pseudodiagnostik. Wenn kein Blut fliesst, sind diese Reflexe nämlich ohnehin abwesend. Diese Diagnostik wurde durch die SAMW eingeführt, um die Organentnahme nach Herz-Kreislaufstillstand auch unter Art. 9 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes unterzubringen. In Deutschland ist diese Organentnahmeart wegen der Unsicherheit der Todesfeststellung verboten.

Nun kommt in der Schweiz in Kombination mit dem anhaltenden Herz-Kreislaufstillstand eine weitere höchst umstrittene Technik zur Anwendung. Das ist die sogenannte normothermische regionale Perfusion (NRP). Unmittelbar nach der Pseudo-Todesfeststellung wird ein externer Kreislauf hergestellt, der wieder sauerstoffhaltiges Blut im Körper des Organspenders zirkulieren lässt. Bevor dieser Kreislauf in Gang gesetzt wird, platzieren die Chirurgen einen Ballon in die Arterie (Aorta thoracica descendens), um die «Reperfusion des Gehirns mit sauerstoffhaltigem Blut zu verhindern (vgl. Modul IX des Swiss Donation Pathway S. 18). Davon sollen insbesondere die Leber und andere Organe profitieren. Manche Transplantationsmediziner führen nicht einen Ballon in die Arterie (Aorta thoracica descendens), sondern klemmen statt dessen die zum Gehirn führenden Arterien ab. Diese Techniken widerlegen selbst den irreversiblen Ausfall der Hirnfunktionen nach Herz-Kreislaufstillstand. Mit dem Platzieren des Ballons in die Arterie oder mit dem Abklemmen soll nämlich verhindert werden, dass die Durchblutung des Gehirns während der regionalen Perfusion (NRP) wiederhergestellt wird. Würde dies geschehen, könnte es zu einer sogenannten Autoreanimation kommen, das heisst, Funktionen des Gehirns wie z. B. die Schmerzempfindung könnten zurückkehren [Transpl Int 33 (2020) 76-88, hier 85]. Als Mitunterzeichner dieser Publikation figurierte übrigens Franz Immer, CEO von Swisstransplant.

Bei den Recherchen ist HLI-Schweiz auf eine Studie gestossen, welche ein Experiment mit 16 Schweinen beschreibt und die obigen gravierenden Bedenken bestätigt. Es wurde der Effekt des Abklemmens der Aorten, die zum Gehirn führen, mit anschliessender NRP getestet. Bei allen Schweinen wurde ein Herz-Kreislaufstillstand erzeugt. Nach einer Wartezeit von acht Minuten wurde nur bei der Hälfte der Tiere die Halsschlagadern abgeklemmt, bei den andern nicht. Alle Schweine wurden anschliessend wieder mit sauerstoffhaltigem Blut versorgt (NRP). Bei den acht Schweinen, bei denen die Aorten nicht abgeklemmt waren, wurden EEG Aktivitäten gemessen, d. h. Zeichen für Hirnaktivitäten. Bei sechs dieser Schweine traten zudem spontane agonale Atembewegungen in der Form von Keuchen auf. Die Autoren hielten fest, dass bei dieser Schweinegruppe ohne Abklemmen durch NRP die Hirnaktivität zurückkehrte, während das bei der Gruppe, bei denen die Aorten abgeklemmt waren, nicht der Fall war. Damit wurde der Beweis erbracht, dass acht Minuten Herz-Kreislaufstillstand für den irreversiblen Ausfall des Gehirns eindeutig nicht genügen (Transplantation 106 (2022) 1763-1769). Damit ist die Diskussion in Fachkreisen erst Recht in Gang gekommen (vgl. Am J Bioethics 24 (2024) 1-93), während die SAMW und Swisstransplant von der Problematik nichts wissen wollen. Bei den Staatsanwaltschaften der Kantone Zürich, Bern und Waadt mit den betreffenden Transplantationszentren wurden im Jahr 2023 Strafanzeigen eingereicht, doch keine davon scheint das Problem ernst zu nehmen.

Was bedeutet das Abklemmen der Arterien bzw. das Einführen des Ballons zur Verhinderung der Durchblutung des Gehirns der Organspender aus ethischer Sicht? Diese Handlung verursacht erst den Hirntod, der durch Art. 9 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes vorausgesetzt wird. Der Hirntod wird durch diese Handlung erst sichergestellt! Um es drastisch auszudrücken: Es käme praktisch auf dasselbe hinaus, wenn man die sterbenden Organspender nach dem fünfminütigen Herz-Kreislaufstillstand strangulieren würde, um den übrigen Körper wieder mit sauerstoffhaltigem Blut versorgen zu können und um möglichst frische Organe transplantieren zu können!

Vorbereitende medizinische Massnahmen bis der Widerspruch feststeht

Der Bundesrat hält es nicht einmal für nötig, in den Erläuterungen zu erklären, was unter «vorbereitende medizinische Massnahmen» verstanden wird. Details dazu werden die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) aufführen, die bis Ende 2024 SAMW-intern einer Revision unterzogen werden. Diese Richtlinien werden dann Bestandteil der Transplantationsverordnung im Anhang 1a. Wie weit solche Massnahmen gehen, bestimmt allein die SAMW, bzw. deren Senat, der die Vorschläge einer Subkommission entgegennimmt. Darin dürften jene Experten eine Hauptrolle spielen, die in der Transplantationsmedizin und/oder in einem Organspendenetzwerk involviert sind. Das Parlament hat dazu nichts zu sagen und der Bundesrat pflegt diese Richtlinien unverändert zu übernehmen. Im erläuternden Bericht werden die vorbereitenden medizinischen Massnahmen wie folgt umschrieben: «Massnahmen, die vor der Organentnahme durchgeführt werden, haben keinen Nutzen für die spendende Person, sind jedoch unabdingbar, um die Funktionen der Organe zu erhalten» (Bericht S. 3). Im Organspendeausweis von Swisstransplant werden dazu drei Punkte genannt.

  1. Eine bereits begonnene künstliche Beatmung wird weitergeführt.
  2. Medikamente, die den Kreislauf unterstützen und den Hormonhaushalt regulieren, werden verabreicht.
  3. Blutproben für Laboruntersuchungen werden entnommen. Die Ergebnisse dienen dazu, die Funktionen der Organe zu überprüfen.

In den aktuell geltenden SAMW-Richtlinien heisst es noch: «Sind keine nächsten Angehörigen vorhanden oder können diese nicht rechtzeitig erreicht werden, ist die Durchführung von vorbereitenden medizinischen Massnahmen vor dem Tod nicht erlaubt.» Wir haben es dem revidierten Transplantationsgesetz von 2022 zu verdanken, dass dem nicht mehr so sein wird, sobald es in Kraft getreten ist bzw. schon vorher, wenn die revidierte Richtlinien der SAMW in Kraft treten. Die Vernehmlassung dazu dürfte im Dezember 2024 stattfinden. Wer weiss, vielleicht lässt sich die SAMW sogar dazu hinreissen, Massnahmen zu erlauben, die derzeit ausdrücklich noch verboten sind: z. B. das Setzen einer arteriellen Kanüle oder die Durchführung einer mechanischen Reanimation oder die experimentelle Positionierung des Ballons für die spätere NRP, wie das in Spanien praktiziert wird. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre sorgt sich die SAMW weniger um die Organspender, sondern hauptsächlich um die optimale Versorgung der Spenderorgane zum Zweck der Transplantation. Als Beispiel sei an die Halbierung der Wartezeit nach Herz-Kreislaufstillstand von 10 auf 5 Minuten im Jahr 2017 erinnert. Die SAMW fand es damals nicht einmal nötig, die Ärzteschaft darüber zu informieren (SAeZ 98 (2017) 1447-1448).

Höchst bedenklich ist die in Art. 8 der Transplantationsverordnung vorgesehene Dauer der vorbereitenden medizinischen Massnahmen: vor dem Tod der Patientin oder des Patienten während längstens 48 Stunden, nach dem Tod während längstens 72 Stunden. Was höchst problematisch ist: Die vorbereitenden Massnahmen dürfen laut Transplantationsgesetz bereits während der Abklärung des Widerspruchs durchgeführt werden, müssen dann aber abgebrochen werden, wenn ein Widerspruchsbeleg zum Vorschein kommt. Wer nicht einen Organspendeausweis mit seinem ablehnenden Entscheid auf sich trägt und/oder den Angehörigen eine entsprechende Patientenverfügung griffbereit hinterlassen hat, riskiert, tagelangen unnötigen und belastenden Massnahmen unterworfen zu werden.

Bundesrat will die E-ID für das Organspenderegister einführen

Die Authentifizierung der Personen beim Organspenderegister will der Bundesrat mit einer elektronischen ID (E-ID) abwickeln, obwohl eine solche per Volksabstimmung am 7. März 2021 mit 64,4 % abgelehnt wurde. Offenbar will er nun über das elektronische Organspenderegister Druck für die Einführung einer alternativen E-ID ausüben, die der Bund führen soll und deren gesetzliche Grundlage noch nicht vorhanden ist. HLI-Schweiz lehnt die Einführung der E-ID generell ab, insbesondere auch, weil das zunächst zu einer Zweiklassengesellschaft führen würde. Für die Datensicherheit solcher Einträge ohne E-ID hat der Bund ohnehin zu sorgen. Es ist offensichtlich, dass letztlich ein Obligatorium der E-ID angestrebt wird, das wegen ihrer vielfältigen Anwendungen (Käufe via Internet etc.) dem Staat eine Überwachung der Bürgerinnen und Bürger bis in die privatesten Angelegenheiten ermöglichen würde.

Für die Organspendekampagne sollen pro Jahr 2,5 Millionen verschleudert werden

Angesichts des Informationsgehalts der bisherigen Organspende-Kampagnen ist die geplante Erhöhung des Budgets um 1 Million Franken pro Jahr hinausgeworfenes Geld. HLI-Schweiz verlangt, dass sich der Informationsgehalt der Organspende-Kampagne im Organspendeausweis sowie bei der Eintragung ins Organspenderegister gerade auch im Hinblick auf die Einführung der Widerspruchsregelung massiv verbessert.

Nach Art. 61 Abs. 1 und 2 Bst. a des Transplantationsgesetzes hat nämlich der Bund den Auftrag, über die gesetzliche Regelung und die Praxis, namentlich über die Darstellung der Voraussetzungen der Entnahme korrekt und umfassend zu informieren. In der noch nicht in Kraft getretenen Fassung ist das in Bst. d. festgehalten.

TransMedics® OCS mit pulsierendem Herzen nach der Organentnahme im Betrieb – Video des Herstellers

Link zum aktuellen Organspendeausweis von Swisstransplant

 


Roland Graf
swiss-cath.ch

E-Mail

Dr. Roland Graf ist Pfarrer in Unteriberg und Studen (SZ). Er hat an der Universität Augsburg in Moraltheologie promoviert und war vor seinem Theologiestudium als Chemiker HTL tätig.


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Bemerkungen :

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    Claudio Tessari 16.08.2024 um 12:56
    Leider kann man heute der Medizin fast nicht mehr trauen, es geht nur noch um das grosse Geld. Die Pharma Lobby ist eine der mächtigsten Lobbys und leider steht ihr auch viele sogenannte rechte oder konservative Politiker nahe. Für mich als gläubigen Christen kommt Organspende oder Organannahme nicht in Frage.
    • user
      Hansjörg 16.08.2024 um 13:51
      Viele Menschen sind sehr froh um die heutige Medizin und haben grosses Vertrauen in die Mitarbeitenden der Spitäler.
      Sogar der Papst geht bei seinen Krankheiten ins Spital um sich helfen zu lassen.
      • user
        Sandra 19.08.2024 um 17:37
        Viele Menschen sind extrem enttäuscht von der Medizin. Und einfach die Definition von Tod zu ändern damit man diesen die Organe entnehmen kann ist nicht Menschlich.
    • user
      Stefan Fleischer 16.08.2024 um 16:39
      Das Problem ist m.E.
      - die Überspezialisierung
      - die Überdigitalisierung
      - der daraus resultierenden administrative Mehraufwand
      beziehungsweise
      Die Fallbehandlung nach dem Motto: "Es ist etwas geschehen, es muss etwas geschehen!" welche die einzelnen Krankheiten ins Visier nimmt, aber den Patienten als Person, als Ganzes, sträflich vernachlässigt.
      Mit dieser Methode lasen sich immer neue Einkommensquellen erschliessen.
    • user
      Gabriella 19.08.2024 um 17:38
      Organentnahme ist für mich Mord.