Cristo Redentor in Rio de Janeiro. (Bild: Pavel Špindler/Wikimedia)

Hintergrundbericht

Christ­kö­nigs­fest – Zei­chen gegen mensch­li­che Selbstvergötterung

Am 20. Novem­ber fei­ert die Kir­che das Christ­kö­nigs­fest, das nach der Lit­ur­gie­re­form des Zwei­ten Vati­ka­num zugleich den Abschluss des Kir­chen­jah­res bil­det. Vor fast 100 Jah­ren wurde die­ses Hoch­fest ein­ge­führt, nach­dem das Ende des Ers­ten Welt­krie­ges auch das Ende der Mon­ar­chien in Europa ein­ge­läu­tet hatte.

Totalitäre Ideologien machten sich zusehends daran, das dadurch entstandene Macht- und Orientierungs-Vakuum zu füllen. Mit geradezu prophetischer Hellsicht sah Papst Pius XI. voraus, welche Katastrophen die Menschheit heimsuchen würden, sollte es diesen Ideologien gelingen, ihre menschenfeindlichen Ziele in die Tat umzusetzen. Mit seiner am 11. Dezember 1925 unterzeichneten Enzyklika «Quas primas» wollte Pius XI. deshalb diesen destruktiven Kräften ein wirkmächtiges Zeichen entgegensetzen. Er begründete die Einführung des Christkönigsfestes ausdrücklich mit der Notwendigkeit, den zerstörerischen Kräften der Moderne Einhalt zu gebieten und die Katholikinnen und Katholiken zu ermutigen, nicht lauwarm zu werden gegenüber geistigen Fehlentwicklungen ihrer Zeit.

Nicht nur diktatorische Systeme, sondern auch Demokratien
Wie wichtig die Worte des Heiligen Vaters waren, zeigte sich in den Folgejahren, als nationalsozialistische und kommunistische Theorien, die dem christlichen Menschenbild diametral entgegenstehen, in einigen Ländern zur herrschenden Staatsdoktrin wurden. Auch wenn diese totalitären Systeme sicherlich einen Höhepunkt dieser intellektuellen Irrwege bildeten, so sind sie gleichwohl in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, der aufzeigt, dass sich dahinter eine Geisteshaltung verbarg, von der weite Teile des 19. und 20. Jahrhunderts beherrscht wurden. In der Tat waren es leider nicht nur die diktatorischen Systeme, die menschenverachtende Gesetze erliessen, sondern gerade auch die liberalen Demokratien. Eugenische Gesetze zur Verhinderung der Zeugung «minderwertiger Menschen», imperialistische Aussenpolitik und eine Wirtschaftspolitik, die das individuelle Gewinnstreben zum einzig relevanten Richtmass erklärte, gehörten auch zu den geistigen Merkmalen der damals noch jungen Demokratien. Wenn wir einige Ideologien unserer Zeit betrachten, die das Lebensrecht von Ungeboren und teilweise auch Lebenden negieren, biologische Fakten über die Geschlechtlichkeit des Menschen relativieren und den Menschen mehr und mehr auf seine Rolle als Produktionsfaktor und Konsument reduzieren, gibt es wenig Grund, auf unsere Vorfahren hochmütig herabzublicken. Das menschliche Geschlecht leidet seit Jahrhunderten unter einer Erbsünde, die sich am Ende des Mittelalters und am Anfang der Neuzeit immer stärker der Köpfe der Menschen bemächtigte.

Legalität heisst nicht automatisch Legitimität
Die theologische Diskussion, inwiefern Gottes Handeln an die Vernunft gekoppelt ist oder aber sein Wille die einzige Richtschnur bezüglich der Frage darstellt, ob eine Handlung in sich gut oder schlecht ist, griff im Laufe der Jahrhunderte immer mehr vom theologischen Binnenraum auf die zunehmend säkularen Staatsphilosophien über. Der Voluntarismus, der die Möglichkeit des Menschen, mit seiner Vernunft Gottes Handeln zu verstehen, massiv relativiert oder ganz negiert, hat im Lauf der fortschreitenden Säkularisierung den allmächtigen und nicht hinterfragbaren Willen Gottes durch denjenigen des Menschen ersetzt. Wenn in politischen Diskussionen jedes auch noch so gegen die menschliche Vernunft und Moral gerichtete Gesetz deshalb seine Rechtfertigung findet, weil es demokratisch verabschiedet wurde, wird offensichtlich, wie stark die heutige Gesellschaft einem Voluntarismus anheimgefallen ist, der zum Antipoden des katholischen Naturrechts geworden ist.

Wie wenig sich auch Intellektuelle wie die gesamte Öffentlichkeit dieser Tatsache bewusst sind, zeigen die Reaktionen auf die Regensburger Rede des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Man stürzte sich auf ein Zitat über den Islam, das gar nicht im Zentrum des Textes stand, ohne die scharfe und vernichtende Kritik zu erkennen, welche die Rede am westlichen Geistesleben seit der Neuzeit übte. Wenn der Wille des Menschen über alle sittlichen Normen gestellt wird, fallen alle Schranken, die uns vor der Barbarei trennen. Die Gedanken des früheren Papstes müssen uns alle sensibilisieren, die Demokratie nicht als Prozess zu verstehen, der automatisch das Richtige hervorbringt, weil der Wille der Mehrheit angeblich nicht fehlgehen kann. Es gilt, den Kurzschluss «Legalität = Legitimität» zu verhindern, indem wir als Einzelne die Wahrheit suchen und sie in die Demokratie hineintragen.

Ebenso müssen die Bischöfe, Priester und Laien in der Schweiz sich bewusst sein, dass der synodale Prozess, der nun beschritten wird, keinen Wettbewerb um die Mehrheit der Stimmen darstellen darf. Papst Franziskus hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Kirche kein politisches System ist, sondern vom Heiligen Geist geleitet werden muss. Die Bischöfe, die nun gelenkte Umfragen und nicht das Evangelium als Richtlinie für ihr Handeln nehmen, verharren in der voluntaristischen Erbsünde und führen dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch die ihnen anvertrauten Gläubigen in die Irre.

Gott definiert sich über seine Liebe
Das Christkönigsfest am Ende des Kirchenjahres zeigt uns auf, wer und wie der wahre Herrscher der Welt ist. Christus ist kein König, der willkürlich handelt und uns seinen Willen aufzwingt, als wären wir seelenlose Automaten. Die Menschwerdung Gottes und sein Leiden am Kreuz machen nur Sinn, weil Gott uns als freie Wesen erschaffen hat, über die er nicht willkürlich verfügt, da seine Liebe zu uns Menschen ihm dies verwehrt. Wie schön sind die Worte des Alten Testamentes, in denen Gott seine Reue offenbart, den Menschen zu strafen, als dieser Gottes Willen missachtet hatte. Gott definiert sich nicht über seinen allmächtigen Willen, sondern über seine Liebe, und er gibt den Menschen die Möglichkeit, seinen Willen durch ihre Vernunft zu erkennen. Wie gross ist hierzu der Kontrast zu den Theorien einiger heutiger Theologinnen resp. Theologen und Bischöfe, die eine falsch verstandene Autonomie des Individuums ins Feld führen, um auch jede noch so unsinnige Handlung dadurch zu rechtfertigen, dass sie vermeintlich selbstbestimmt sei. Wenn Gottes Wille zu dem, was von ihm in Liebe erschaffen wurde, nicht in Widerspruch geraten darf, dann gilt dies umso mehr für den Willen des Menschen. Die Vorstellung, man könne das eigene Geschlecht durch eine Willensäusserung ändern, wie es die Genderideologie propagiert, ist vielleicht ein auf die Spitze getriebener Voluntarismus, agiert jedoch im gleichen Geiste wie der Glaube, jedes auch noch so unethische Gesetz werde dadurch gut, weil der Wille einer Mehrheit dieses befürworte, oder die ökonomische Meinung, dass jeder Tauschhandel, wenn zwei Parteien diesen mit ihrem Willen befürworten, ein gerechter sei. Es ist eine traurige Tatsache, dass die gängigen politischen und ökonomischen Theorien heutzutage Kinder eines gegen das christliche Gottes- und Menschenbild gerichteten Voluntarismus sind. Noch trauriger ist es, wenn nun einige Bischöfe in der Schweiz und Deutschland die kirchliche Lehre ebenfalls einem solchen Voluntarismus opfern wollen.

Das Christkönigsfest ist ein sichtbares Zeichen, wie Gott seine Herrschaft ausübt und welche Würde uns Menschen zukommt. Gott ist kein uns ferner König, der mit Willkür agiert, sondern ein liebender Vater, den wir durch die Menschwerdung seines Sohnes erkennen können.


Daniel Ric


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Bemerkungen :

  • user
    stadler karl 20.11.2022 um 11:08
    Der Voluntarismus ist halt ein sehr vielfältiger Begriff, der nicht nur über die Zeit verschiedenste Bedeutungen aufweist, sondern auch in verschiedenen Disziplinen (Sozialwissenschaften, Theologie oder Philosophie) teilweise verschiedenartig verstanden wurde. Zurecht sprechen Sie die hochinteressante Rede, die Benedikt damals in Regensburg hielt, an und weisen völlig richtig darauf hin, dass diese gänzlich unangemessen instrumentalisiert und auf in verfälschender Weise als Votum gegen den Islam hingestellt wurde. Leider haben sich auch Intellektuelle und Vertreter der Theologenschaft im Westen an dieser unschönen Kampagne beteiligt. Aber eine gewisse Spitze lag sicher gegen den Wissenschafts- und philosophischen Positivismus und den Relativismus. Ratzingers impliziter Schluss, dass eine positivistisch begründete Ethik leichter zu entwürdigenden und die menschliche Würde missachtenden Zuständen führen würde als eine aus einem Offenbarungsglauben heraus abgeleitete Ethik, erscheint, aus einer nichtchristlichen Optik betrachtet, dennoch etwas gewagt. Bezüglich Offenbarungslehre halte man sich als Beispiel nur vor Augen, wie letztlich zentralste Glaubensbestandteile, das Bekenntnis von Nicäa, das im Grunde, wenn ich dies richtig sehe, zumindest offiziell ja heute noch gilt, zustande kam und wie die Position von Arius, der eigentlich sehr nachvollziehbar bezüglich der Natur Christi argumentierte, letztlich durch den kontingenten kaiserliche Einfluss von Konstantin verworfen, beziehungsweise die "Wesenseinheit" von Jesus mit Gott zum Glaubensbestandteil erhoben wurde.
    Die Wurzeln, dass gesichertes Wissen um die Zusammenhänge der Natur als Quelle für ethische Einsichten und daraus abgeleitete Handlungsmaximen dienen, reichen eigentlich viel weiter zurück als bis in die Neuzeit. Bereits in der alten Stoa, welche um Jahrhunderte älter ist als das Christentum, welche sich allerdings auch bewusst war, dass es fast unmöglich ist, solch gesichertes, abschliessendes Wissen zu erreichen, um nicht letztlich dennoch im Reich der Meinungen zu verharren, war in sokratischer Tradition der Auffassung, dass die wichtigste Voraussetzung für die Tugend und das Bemühen um "Gutes" das Wissen bildet. Und die Stoa, ebenso wenig wie der zu ihr in Konkurrenz stehende Epikureismus, waren keineswegs Bewegungen, die Philosophie, die Stoa insbesondere auch Logik und Ethik, auf einem niederen Niveau betrieben. Selbst Kant liess sich von der Stoa im Bereich seiner praktischen Philosophie nicht unerheblich beeinflussen. Gewisse Elemente moderner Menschenrechtstheorien, wie z.B. die Idee eines kosmopolitischen Wertstatus aller Menschen, führen sich in erster Linie auf die Stoa zurück, also weiter als auf das Christentum.
    Aber auch Ausformungen des philosophischen Positivismus, wie er im letzten Jahrhundert starken Einfluss besass, oder Persönlichkeiten wie Wittgenstein, die gewiss alle weite Teile der Offenbarungslehre nicht teilen,
    waren jedoch weit davon entfernt, auch nur im Ansatz eine Geistesverwandtschaft mit Ideologien wie dem Nationalsozialismus einzugehen. Teilweise mussten sie ja vor diesem fliehen, genauso wie manche ihrer geistigen Antipoden, z.B. Adorno oder Horkheimer von der Frankfurter Schule.
    • user
      Daniel Ric 22.11.2022 um 14:56
      Lieber Herr Stadler, es stimmt, dass der Begriff Voluntarismus das gleiche Problem aufweist, wie viele andere Begriffe, die im Laufe der Zeit immer wieder in verschiedenen Gebieten verwendet wurden. So häufig eingesetzt, um gewisse Positionen zu kennzeichnen, verlor er an Schärfe. Ich teile aber die Auffassung des Staatsrechtlers Carl Schmitt, wonach viele Begriffe der Staatslehre säkularisierte theologische Begriffe sind. Es ist meines Erachtens sicherlich so, dass die Vorstellung, die Volksgesamtheit könne nach Belieben Gesetze erlassen, eine Frucht des Glaubens ist, Gottes Wille ist der Vernunft des Menschen entzogen.
      Ihr Argument, die Philosophiegeschichte habe gezeigt, dass man auch ohne die christliche Offenbarungslejre zu einer Ethik gelangen kann, die nicht in die Barbarei mündet, erachte ich als richtig. Ich sehe hier aber keinen Widerspruch zu den Gedanken vom emeritierten Papst Benedikt und anderen Vertretern einer katholischen Philosophie. Gott hat dem Menschen eine Vernunft geschenkt, mit der er die Grundzüge einer gerechten Moral erkennen kann. Er muss sich eben gerade nicht blindlings Gottes Willen unterwerfen, sondern Gott lässt ihn einsehen, weshalb gewisse Gebote und Verbote richtig sind. Es ist jedoch nicht mit der Vernunft alleine getan, da die kalte und instrumentalisierte Verwendung derselben - hier liegt ein grosser Verdienst von Adorno, Horkheimer und Marcuse - auch zu moralisch total schlechten Handlungen führen kann. Gerade die Frankfurter Schule sehe ich als Bereicherung für die katholische Sozialphilosophie. Wittgenstein hingegen gehört für mich wie der ganze Kreis der analytischen Sprachphilosophie zum Niedergang der Philosophie im 20. Jahrhundert. Aus dieser Schule ist nichts herausgekommen, was nicht bereits von Wilhelm von Humboldt, Kant oder Denkern der Antike ausgesagt wurde. Ihren Aussagen über die Antike kann ich zustimmen, wobei ich die Gegenfrage aufwerfe, wie es sein kann, dass Menschen in dieser Achsenzeit (Jaspers) plötzlich ihr Denken nicht mehr so stark auf den eigenen Stamm bzw. das eigene kleine Gemeinwesen bezogen haben, sondern kosmopolitisch. Wie schwierig dies für die conditio humana ist, zeigen die vergangenen zwei Jahrhunderte und auch unsere heutige Zeit, die stark von Nationalismus und kulturellem Überlegenheitsgefühl geprägt war und immer noch ist. Die Unfähigkeit, andere Perspektiven einzunehmen, wird meines Erachtens sogar von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schlimmer. Weltumspannendes Denken ohne die eigenen Interessen des Stammes bzw. heute der Nation in den Vordergrund zu rücken, ist keine Stärke der heutigen Welt - weder in Ost noch West. Daher glaube ich, in der Tugend, über die eigenen Interessensgrenzen hinaus denken und philosophieren zu können, eine göttliche Gnade zu sehen. Aber endgültig beweisen kann ich Ihnen dies natürlich nicht.