Die Frage nach der Herz-Jesu-Verehrung in der Bibel ist nicht der Versuch, eine historisch junge Andachtsform nachträglich mit Schriftbelegen zu legitimieren. Vielmehr offenbart die exegetische Betrachtung, dass die Grundstrukturen dieser Frömmigkeit tief in der biblischen Offenbarung, insbesondere im Neuen Testament, verwurzelt sind. In der Heiligen Schrift ist das «Herz» mehr als ein blosses Organ. Es symbolisiert das Zentrum des Menschen, seinen inneren Konzentrationspunkt, von dem aus Denken, Fühlen und Wollen gesteuert werden (vgl. Spr 4,23; Mt 12,34-35; Lk 6,45; Röm 10,10; Eph 3,17). Es ist der Sitz des religiös-sittlichen Lebens. Das Neue Testament bezeugt dies in zahlreichen Stellen: Das Herz steht für die innersten Gedanken des Menschen (vgl. Mt 11,29; 24,48; Röm 10,6) und bildet den Gegensatz zum bloss äusserlich sichtbaren Verhalten (vgl. Mt 15,18; Mk 7,6; 1 Thess 2,1; 2 Kor 5,12). Die neutestamentliche Offenbarung macht deutlich, dass sich im Herzen Wort und Glaube, Gnade und Hören begegnen. Deshalb wird ein Christ als ein «innerer Herzensmensch» bezeichnet (vgl. 1 Petr 3,4; Eph 3,16f; Röm 7,22; 2 Kor 4,16).
Besonders bedeutsam erscheint das Herz Jesu im Licht der Evangelien und der apostolischen Schriften: Jesus spricht selbst davon, dass er «demütig und von Herzen sanftmütig» ist (vgl. Mt 11,29). In Lk 24,32 bekennen die Jünger von Emmaus, dass ihr Herz in ihnen brannte, als der Auferstandene ihnen die Schrift auslegte. Paulus spricht vom «Licht des Evangeliums» (vgl. 2 Kor 4,6) und vom «Glauben im Herzen» (vgl. Röm 10,10), wodurch die zentrale Bedeutung des Herzens für das christliche Leben erneut unterstrichen wird.
Das Herz Jesu: Zentrum der Heilsgeschichte
Die gesamte Heilsgeschichte zielt auf das Herz des Menschen. Von dort aus will Gott den Menschen erlösen, erneuern und vergöttlichen. Dies zeigt sich besonders in der Liturgie, die – analog zur Heiligen Schrift – «von Herz zu Herz» geschieht. In dieser Perspektive kann die biblische Sprache als Schlüssel für ein vertieftes Verständnis der Herz-Jesu-Verehrung dienen. Die theologische Auseinandersetzung mit dem Herzen Jesu, geprägt vom Rationalismus, hat sich oft schwergetan, das Symbol des Herzens Jesu in seiner Tiefe zu erfassen. Dennoch bleibt die Herausforderung für Theologie und Volksfrömmigkeit bestehen: Beide müssen sich am Wort Gottes erneuern und das wahre Verständnis des «Herzens» im biblischen Sinne neu aneignen. Denn Gott will so verstanden werden, wie er sich in Jesus Christus geoffenbart hat – von Herz zu Herz. Am Brennpunkt des Karfreitagsereignisses haben die Kirchenväter viele Psalmen auf das Herz Jesu bezogen, insbesondere die Klagepsalmen wie Psalm 22 oder 69. Diese Psalmen drücken in prophetischer Weise die Tiefe des göttlichen Erbarmens aus, das sich im durchbohrten Herzen Jesu offenbart.
Obwohl die biblischen und patristischen Grundlagen für die Verehrung des Herzens Jesu früh angelegt sind, entwickelte sich die Herz-Jesu-Verehrung als spezifische Andachtsform vor allem im Mittelalter und in der Neuzeit. Einen entscheidenden Impuls gab die Mystikerin Margareta Maria Alacoque (1647–1690), die Visionen hatte, in denen ihr das Herz Jesu als brennende Liebe Gottes für die Menschheit offenbart wurde. In ihrer seiner Offenbarung empfahl Christus die Feier eines Herz-Jesu-Festes, das von Papst Clemens XIII. im Jahr 1765 offiziell eingeführt wurde. Die Herz-Jesu-Verehrung fand insbesondere durch die Jesuiten eine weltweite Verbreitung und wurde ein zentrales Element der katholischen Frömmigkeit. Die Enzyklika «Haurietis Aquas»[1] (1956) von Papst Pius XII. hob die theologische Tiefe der Herz-Jesu-Verehrung hervor und stellte sie in den Kontext der biblischen Offenbarung und der kirchlichen Tradition.
Ein moderner Ausdruck der Herz-Jesu-Verehrung findet sich in der Spiritualität der Heiligen Faustyna Kowalska (1905–1938), die in ihrer Vision das Herz Jesu als Quelle der Göttlichen Barmherzigkeit erkannte. In ihren Offenbarungen, die zur Verbreitung des Festes der Göttlichen Barmherzigkeit führten, zeigt sich eine tiefe Verbindung zwischen dem durchbohrten Herzen Jesu am Kreuz und dem göttlichen Erbarmen. Besonders die aus dem Herzen Jesu strömenden Strahlen erinnern an das Blut und Wasser aus Joh 19,34. Wenn auch das Bild des Barmherzigen Jesus oftmals kitschig daherkommt,[2] so ändert dies nichts daran, dass die Herz-Jesu-Verehrung tief in der biblischen Heilsgeschichte verwurzelt ist. Sie ist kein zufälliges Frömmigkeitsphänomen, sondern Ausdruck einer zentralen theologischen Wahrheit: Die Liebe Gottes offenbart sich in der Wunde des geöffneten Herzens Jesu, aus der Heil und Erlösung für die Welt fliessen.
[1] Vgl. www.vatican.va/content/pius-xii/de/encyclicals/documents/hf_p-xii_enc_15051956_haurietis-aquas.html
[2] In der frühen Herz-Jesu-Verehrung, insbesondere nach den Visionen der heiligen Margareta Maria Alacoque, wurden Darstellungen verbreitet, die das Herz Jesu als eigenständiges Objekt in der Hand Jesu oder gar losgelöst von seinem Körper zeigten. Dies sollte die brennende Liebe Christi symbolisieren, wurde jedoch theologisch problematisch, da es von der realen Menschheit Jesu abstrahierte. Das «Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung» untersagte 1765 die Darstellung des Herz Jesu als isoliertes Herz in der Hand Jesu. Papst Pius XII. geht in seiner Enzyklika «Haurietis Aquas» auf solche Darstellungsfragen indirekt ein (vgl. HA 16-18; 52-55).
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