Cyprien und Daphrose Rugamba im Jahr 1992. (Bild: Karel Dekempe, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Weltkirche

Daphrose und Cyprien Rugamba – Ein Leben für Ver­ge­bung und Versöhnung

Wir beschlies­sen unsere Serie zu seli­gen und hei­li­gen Ehe­paa­ren mit einem Paar aus unse­rer Zeit. Cyprien und Daphrose Rugamba setz­ten den eth­ni­schen Unru­hen in ihrem Hei­mat­land Ruanda die christ­li­che Bot­schaft von Ver­söh­nung und Barm­her­zig­keit ent­ge­gen und bezahl­ten ihren Ein­satz mit dem Leben. Ihr Selig­spre­chungs­pro­zess wurde 2015 eröffnet.

Am 6. April 1994 wird in Ruanda das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Juvénal Habyarimana abgeschossen. Nur 30 Minuten später beginnt der Völkermord an den Angehörigen der Tutsi-Minderheit, der innerhalb von 100 Tagen rund 800 000 Menschenleben fordert. Unter den Toten sind das Ehepaar Cyprien und Daphrose Rugamba mit sechs ihrer Kinder.

Cyprien Rugamba wird 1935 im Süden Ruandas geboren und gehört den Hutu an. Er tritt 1954 ins Priesterseminar ein, verlässt es aber 1959 wieder, da er durch die Lektüre von philosophischen Existenzialisten den Glauben verliert. So studiert er Geschichte in Burundi und Belgien.

Cyprien verliebt sich unsterblich in Xavérine, die aus der gleichen Region stammt, und sie verloben sich. Im Jahr 1963 wird sie zusammen mit Familienmitgliedern bei ethnischen Unruhen ermordet. Aufgrund der Verlobung ist er an die Familie von Xavérine gebunden und heiratet 1965 ihre 21-jährige Cousine Daphrose Mukansanga, die als Lehrerin arbeitet und zur Ethnie der Tutsi gehört. Diese arrangierte Ehe steht zu Beginn unter keinem guten Stern. Die Liebe zu seiner verstorbenen Verlobten überschattet die junge Ehe. Eine Schwester von Cyprien, die mit ihnen im gleichen Haushalt lebt, bezichtigt Daphrose der schwarzen Magie. In der Folge packt Cyprien eines Tages kommentarlos die Sachen von Daphrose, setzt sie ins Auto und bringt sie zu ihrer Familie zurück. Das gemeinsame Kind bleibt bei ihm. Die Verstossung der Ehefrau ist nicht nur eine Schande für die betroffene Frau, sondern auch für ihre ganze Familie.

Nach acht Monaten und einer Familienmediation nimmt Cyprien seine Frau wieder auf. Aber die Versöhnung bleibt fragil. Sie haben mehrere gemeinsame Kinder, doch er betrügt Daphrose immer wieder und zeugt dabei ein uneheliches Kind.

Atheist mit vielfältigen Talenten
Cyprien macht sich einen Namen als Historiker, aber auch als Poet, Musiker und Komponist. Er besingt die Werte der Kultur des Landes, predigt die Einheit, prangert Korruption an und preist die Gerechtigkeit. Seine Lieder werden heute noch im Radio gespielt.
1974 erhält er die prestigeträchtige Anstellung als Direktor des «Institut National de recherche scientifique» (Nationalinstitut für wissenschaftliche Studien) in Butare. Cyprien liebt die Kultur seines Landes und fördert sie – ungeachtet der ethnischen Spannungen, die es schon länger gibt. Er gründet das «Amasimbi nʼAmakombe Ballet», das sich dem traditionellen ruandischen Tanz widmet und alle ruandischen Ethnien vereint. Als Dichter wird er zu einem der führenden Experten für die ruandische Sprache Kinyarwanda.
Durch das Studium der Kultur seines Landes kommt er zur Überzeugung, dass Ruanda eins ist: eine Kultur, eine Sprache, ein Volk. Dieser Ansicht bleibt er bis zu seinem Tod treu und versucht, auch andere davon zu überzeugen.

Während Cyprien sich gesellschaftlich für gegenseitige Wertschätzung und Respekt einsetzt, steigert sich sein Atheismus bis zur unverhohlenen Abscheu gegen den katholischen Glauben. Als sein Sohn Serge geboren wird, besucht er seine Frau und das Neugeborene. Doch sobald sein Blick auf das Kruzifix an der Wand fällt, reisst er es herunter und zerbricht es.

Daphrose ist eine tiefgläubige Frau. Sie bleibt stark im Glauben und erträgt alles geduldig, denn sie glaubt an die Heiligkeit der Ehe. Mit Erlaubnis ihres Mannes besucht sie mit ihren zehn Kindern die Heilige Messe und betet mit ihnen. Ein Herzensanliegen ist die Bekehrung ihres Ehemannes.

Erstaunliche Bekehrung bringt einen Neuanfang
Die entscheidende Wende im Leben des Paares erfolgt 1982, nach 17 Jahre Ehe. Cyprien erkrankt schwer: Migräne, Gleichgewichts- und Sehstörungen. Er kann oft nicht mehr gehen, liegt viele Stunden völlig entkräftet am Boden. Die Ärzte sind ratlos. Daphrose kümmert sich aufopfernd um ihn. Schliesslich fliegt Cyprien zur Behandlung nach Belgien. Doch im Flugzeug erfährt er eine Kraft und spürt, wie alle Beschwerden ihn verlassen. In Belgien angekommen ist er geheilt. Sein Sohn Dorcy erzählt: «Er kam als anderer Mensch aus Belgien zurück.» Cyprien weiss, dass er dies alles dem Gebet seiner Frau zu verdanken hat. Er ist beeindruckt, dass sie ihn in seiner Krankheit gepflegt hat, trotz allem, was er ihr angetan hat. «Deshalb soll ihr Gott auch mein Gott sein.»

Kurz darauf hat Cyprien ein Bekehrungserlebnis, als er dabei ist, ein Lied zu komponieren. «Ich komponierte ein Lied für Gott. Ich nahm ihn als den grossen König an, der mich in seinem Reich empfängt», erzählt er später in einem Interview.

Seine Bekehrung wird zu einem Neubeginn für das Paar. Cyprien bittet seine Frau um Vergebung für sein früheres Verhalten. Daphrose vergibt ihm und nimmt sogar sein uneheliches Kind in der Familie auf. «Meine Mutter lächelte jetzt immer», erinnert sich Dorcy. Das Ehepaar wird unzertrennlich. Sie verstehen sich ohne Worte, ergänzen sich und strahlen eine tiefe Freude aus.
Cyprien schliesst sich Daphrose in der Charismatischen Erneuerung an. Er möchte seine Talente in den Dienst der Evangelisierung stellen. Sie gründen gemeinsam mehrere Gebetsgruppen und engagieren sich in der Ehepastoral – aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen können sie glaubwürdig für Versöhnung in der Ehe eintreten.
 


Gefährlicher Einsatz für die Schwachen und für die Einheit
1989 hört Cyprien im Gebet eine Stimme: «Ich möchte mit dir, mit deinem Leben, ein Werk der Erlösung schaffen.» Drei Mal hört er diese Worte. Im gleichen Jahr besuchen Cyprien and Daphrose anlässlich ihres 25. Hochzeitstages Paray-le-Monial (F) und lernen die Gemeinschaft «Emmanuel» kennen. Hier finden sie ihre geistliche Heimat.

In Ruanda nehmen derweil die politischen Spannungen zu. Cyprien verliert – vermutlich wegen seines Einsatzes für die Einheit – seine Anstellung. Die Familie zieht nach Kigali. Mehr denn je spricht Cyprien in seinen Liedern von Einheit, Liebe, Vergebung und Versöhnung. Es ist seine Form der Evangelisierung. Er setzt sich öffentlich dafür ein, dass in den Ausweisen die Ethnien nicht mehr erfasst werden. Dieser Einsatz für die Einheit ist wahrscheinlich der Grund, dass er auf eine Liste von Personen gesetzt wird, die beseitigt werden sollen.

Während im Norden des Landes gekämpft wird, gründet das Paar am 23. September 1990 die erste Gemeinschaft von «Emmanuel» in Ruanda. In diesem Klima der Unsicherheit widmen sich Daphrose und Cyprien der Evangelisierung, der Barmherzigkeit und dem Dienst an den Armen. Sie reisen durch das Land, organisieren Wochenendseminare für Ehepaare und unterrichten in Gebetsgruppen. Immer wieder sagen sie den Menschen: «Ihr seid weder Hutu noch Tutsi noch Twa, ihr seid Brüder und Schwestern. Ihr gehört keiner Partei an, nur der Partei Jesu.»
Um die finanziell prekäre Situation der Familie aufzubessern, eröffnet Daphrose ein kleines Geschäft. Hier stehlen ihr Strassenkinder die Kartoffeln. Mit ihrem christlichen Blick sieht sie keine Diebe, sondern kluge Kinder, die Hilfe brauchen. Auf ihre Bitte stimmt Cyprien zu, ein Zentrum für Strassenkinder zu eröffnen.

Im April 1993 erlaubt der Erzbischof von Kigali Cyprien und Daphrose, in ihrem Haus eine kleine Kapelle mit Tabernakel einzurichten. Dieser Ort wird zum Mittelpunkt des Familienlebens. Vor dem Tabernakel verbringt die Familie ihre letzte Nacht.

Die letzten Stunden
Am Abend vor seinem Tod übt Cyprien mit seinem Chor. Sie singen ein Lied, das vom Einzug ins himmlische Jerusalem handelt. Doch er ist mit der Art, wie das Lied gesungen wird, nicht einverstanden. Er bricht ab und sagt: «Nein, so geht das nicht. Ich zeige euch jetzt, wie ich ins himmlische Jerusalem eintreten werde.» Und er beginnt zu tanzen.

Daphrose und Cyprien ist ihre gefährliche Lage bewusst. Sie sind entschlossen zu bleiben, da sie die Kinder im Zentrum nicht im Stich lassen möchten; sie überlegen sich, ihre eigenen Kinder in Sicherheit zu bringen, doch die Ereignisse überschlagen sich. Die Familie verbringt die Nacht vom 6. auf den 7. April 1994 in der Kapelle im Gebet, während in der Umgebung bereits Schüsse zu hören sind. Cyprien ruft am Morgen seinen Freund an, den ehemaligen Premierminister Sylvestre Nsanzimana und bittet ihn um Schutz. Dieser sagt ihm seine Hilfe zu – er wird zu spät kommen.

Gegen 10.30 Uhr tauchen Soldaten der Präsidentengarde bei den Rugambas auf. Ihr Anführer fragt Cyprien: «Bist du noch immer Christ?» Dieser antwortet: «Ja, ich bin überzeugter Christ. Mein Tanzkostüm ist vorbereitet. Wenn der König mich ruft, werde ich tanzend in den Himmel kommen.» Daphrose bittet, Christus ein letztes Mal verehren zu dürfen. Als Antwort erhält sie einen Schlag mit dem Gewehrkolben, der ihr vermutlich das Schlüsselbein bricht. Ein Soldat schiesst auf den Tabernakel, die konsekrierten Hosten werden über den ganzen Boden zerstreut. Die Familie wird gezwungen, sich im Garten in zwei Reihen aufzustellen, dann eröffnen die Soldaten das Feuer. Mit ihren Eltern werden Emérita (22), Serge (19), Cyrdy (16), Dacy (12), Cyrdina (10) und Ginny (7) ermordet. Ebenso sterben die Cousine Gabriella Zitoni (5) und eine Hausangestellte. Ein weiterer Sohn kann sich tot stellen und überlebt leicht verletzt.

Im September 2015 werden die Seligsprechungsprozesse von Cyprien Rugamba und Daphrose Mukansanga von Thaddée Ntihinyurwa, dem Erzbischof von Kigali, getrennt eröffnet. Als der Ruf aufkommt, dass die beiden als Märtyrer gestorben sind, werden am 14. Mai 2018 mit Erlaubnis der «Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse» die beiden Verfahren in ein einziges Märtyrerverfahren überführt und auch ihre ermordeten Kinder sowie ihre ebenfalls getötete Nichte einbezogen. Die diözesane Phase des Prozesses wird am 23. September 2021 während einer Messe in Kigali unter dem Vorsitz von Kardinal Antoine Kambanda abgeschlossen. «Die Familie Rugamba war ein Licht in der totalen Dunkelheit; sie war ein Licht der Liebe in Zeiten des Hasses und die Familie förderte Einheit und Liebe», so Kardinal Kambanda.
 

Cyprien Rugamba wird 2018 posthum von der ruandischen «Nationalkommission für Einheit und Versöhnung» der Titel «Zeuge der Einheit» verliehen.

1995, ein Jahr nach dem Tod von Daphrose und Cyprien, nimmt das Strassenkinderzentrum seine Arbeit wieder auf. Es heisst heute «Centre Cyprien et Daphrose Rugamba».

Die Gemeinschaft «Emmanuel» in Ruanda bestand 1994 aus rund 100 Mitgliedern. Heute bildet die Gemeinschaft in Ruanda mit über 1200 Mitglieder die zweitgrösste Gruppe der Gemeinschaft nach Frankreich.

«Ich werden tanzend in den Himmel einziehen». Film über das Ehepaar Rugamba

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


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Bemerkungen :

  • user
    Agnes Eilinger-Weibel 29.11.2024 um 15:37
    So ein starkes, berührendes Zeugnis unsrer Tage, für die Heiligkeit der Ehe, die Wirksamkeit des Gebets füreinander, den gelebten Glauben bis zum Maryrium!!
    Ich bin tief beeindruckt. Danke ganz herzlich dafür Frau Schärer.