Am 6. April 1994 wird in Ruanda das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Juvénal Habyarimana abgeschossen. Nur 30 Minuten später beginnt der Völkermord an den Angehörigen der Tutsi-Minderheit, der innerhalb von 100 Tagen rund 800 000 Menschenleben fordert. Unter den Toten sind das Ehepaar Cyprien und Daphrose Rugamba mit sechs ihrer Kinder.
Cyprien Rugamba wird 1935 im Süden Ruandas geboren und gehört den Hutu an. Er tritt 1954 ins Priesterseminar ein, verlässt es aber 1959 wieder, da er durch die Lektüre von philosophischen Existenzialisten den Glauben verliert. So studiert er Geschichte in Burundi und Belgien.
Cyprien verliebt sich unsterblich in Xavérine, die aus der gleichen Region stammt, und sie verloben sich. Im Jahr 1963 wird sie zusammen mit Familienmitgliedern bei ethnischen Unruhen ermordet. Aufgrund der Verlobung ist er an die Familie von Xavérine gebunden und heiratet 1965 ihre 21-jährige Cousine Daphrose Mukansanga, die als Lehrerin arbeitet und zur Ethnie der Tutsi gehört. Diese arrangierte Ehe steht zu Beginn unter keinem guten Stern. Die Liebe zu seiner verstorbenen Verlobten überschattet die junge Ehe. Eine Schwester von Cyprien, die mit ihnen im gleichen Haushalt lebt, bezichtigt Daphrose der schwarzen Magie. In der Folge packt Cyprien eines Tages kommentarlos die Sachen von Daphrose, setzt sie ins Auto und bringt sie zu ihrer Familie zurück. Das gemeinsame Kind bleibt bei ihm. Die Verstossung der Ehefrau ist nicht nur eine Schande für die betroffene Frau, sondern auch für ihre ganze Familie.
Nach acht Monaten und einer Familienmediation nimmt Cyprien seine Frau wieder auf. Aber die Versöhnung bleibt fragil. Sie haben mehrere gemeinsame Kinder, doch er betrügt Daphrose immer wieder und zeugt dabei ein uneheliches Kind.
Atheist mit vielfältigen Talenten
Cyprien macht sich einen Namen als Historiker, aber auch als Poet, Musiker und Komponist. Er besingt die Werte der Kultur des Landes, predigt die Einheit, prangert Korruption an und preist die Gerechtigkeit. Seine Lieder werden heute noch im Radio gespielt.
1974 erhält er die prestigeträchtige Anstellung als Direktor des «Institut National de recherche scientifique» (Nationalinstitut für wissenschaftliche Studien) in Butare. Cyprien liebt die Kultur seines Landes und fördert sie – ungeachtet der ethnischen Spannungen, die es schon länger gibt. Er gründet das «Amasimbi nʼAmakombe Ballet», das sich dem traditionellen ruandischen Tanz widmet und alle ruandischen Ethnien vereint. Als Dichter wird er zu einem der führenden Experten für die ruandische Sprache Kinyarwanda.
Durch das Studium der Kultur seines Landes kommt er zur Überzeugung, dass Ruanda eins ist: eine Kultur, eine Sprache, ein Volk. Dieser Ansicht bleibt er bis zu seinem Tod treu und versucht, auch andere davon zu überzeugen.
Während Cyprien sich gesellschaftlich für gegenseitige Wertschätzung und Respekt einsetzt, steigert sich sein Atheismus bis zur unverhohlenen Abscheu gegen den katholischen Glauben. Als sein Sohn Serge geboren wird, besucht er seine Frau und das Neugeborene. Doch sobald sein Blick auf das Kruzifix an der Wand fällt, reisst er es herunter und zerbricht es.
Daphrose ist eine tiefgläubige Frau. Sie bleibt stark im Glauben und erträgt alles geduldig, denn sie glaubt an die Heiligkeit der Ehe. Mit Erlaubnis ihres Mannes besucht sie mit ihren zehn Kindern die Heilige Messe und betet mit ihnen. Ein Herzensanliegen ist die Bekehrung ihres Ehemannes.
Erstaunliche Bekehrung bringt einen Neuanfang
Die entscheidende Wende im Leben des Paares erfolgt 1982, nach 17 Jahre Ehe. Cyprien erkrankt schwer: Migräne, Gleichgewichts- und Sehstörungen. Er kann oft nicht mehr gehen, liegt viele Stunden völlig entkräftet am Boden. Die Ärzte sind ratlos. Daphrose kümmert sich aufopfernd um ihn. Schliesslich fliegt Cyprien zur Behandlung nach Belgien. Doch im Flugzeug erfährt er eine Kraft und spürt, wie alle Beschwerden ihn verlassen. In Belgien angekommen ist er geheilt. Sein Sohn Dorcy erzählt: «Er kam als anderer Mensch aus Belgien zurück.» Cyprien weiss, dass er dies alles dem Gebet seiner Frau zu verdanken hat. Er ist beeindruckt, dass sie ihn in seiner Krankheit gepflegt hat, trotz allem, was er ihr angetan hat. «Deshalb soll ihr Gott auch mein Gott sein.»
Kurz darauf hat Cyprien ein Bekehrungserlebnis, als er dabei ist, ein Lied zu komponieren. «Ich komponierte ein Lied für Gott. Ich nahm ihn als den grossen König an, der mich in seinem Reich empfängt», erzählt er später in einem Interview.
Seine Bekehrung wird zu einem Neubeginn für das Paar. Cyprien bittet seine Frau um Vergebung für sein früheres Verhalten. Daphrose vergibt ihm und nimmt sogar sein uneheliches Kind in der Familie auf. «Meine Mutter lächelte jetzt immer», erinnert sich Dorcy. Das Ehepaar wird unzertrennlich. Sie verstehen sich ohne Worte, ergänzen sich und strahlen eine tiefe Freude aus.
Cyprien schliesst sich Daphrose in der Charismatischen Erneuerung an. Er möchte seine Talente in den Dienst der Evangelisierung stellen. Sie gründen gemeinsam mehrere Gebetsgruppen und engagieren sich in der Ehepastoral – aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen können sie glaubwürdig für Versöhnung in der Ehe eintreten.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Ich bin tief beeindruckt. Danke ganz herzlich dafür Frau Schärer.