In der Tat bemerkenswert, denn die Kirchenleitung der «Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz» wollte sich dem sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen stellen. «Reformierte planen grosse Studie zum Missbrauch», titelte die Zeitung «reformiert.» auf der Frontseite in ihrer jüngsten Ausgabe.
Doch es sollte ganz anders kommen. Obwohl im Gegensatz zur ursprünglichen Vorlage nur eine «Missbrauchsstudie light», sprich eine sogenannte Dunkelfeldstudie in Form einer aktuellen Umfrage zur Debatte stand, lehnte das Kirchenparlament das Vorhaben ab. Eine Aufarbeitung der sexuellen Missbräuche in der protestantischen Kirche der Schweiz ist damit in weite Ferne gerückt. Stattdessen erging die Aufforderung an den Bund, eine landesweite, gesamtgesellschaftliche Missbrauchsstudie durchzuführen. Die «NZZ am Sonntag» bezeichnete dieses sich bereits im Vorfeld der Abstimmung abzeichnende Szenario als «Ablenkungsmanöver von den Fällen in den eigenen Reihen».
Mit einem Ablenkungsmanöver der besonderen Art wartete der «Tages-Anzeiger» auf. In der Printausgabe nach dem Tag der Abstimmung (12. Juni 2024) wurde der überkonfessionell relevante Entscheid des Kirchenparlamentes bzw. die vorausgehende Missbrauchsdebatte totgeschwiegen. Im Gegenzug thematisierte der «Tages-Anzeiger» in grosser Aufmachung die Weigerung der Schweizer Ordensfrauen, die auf drei Jahre angesetzte Folgestudie zum sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche mitzufinanzieren. Eine riesige Karikatur auf der Frontseite musste als Aufreisser für die Story herhalten («Bei Katholiken kommt es zum Bruch zwischen Ordensfrauen und -männern»).
Ein sachlicher Grund, weshalb dieser Beitrag just am Tag nach dem Negativ-Entscheid des protestantischen Kirchenparlamentes zur Missbrauchsaufarbeitung publiziert wurde, ist schlicht nicht auszumachen. Es sei denn, dem morgen Freitag beginnenden Klostermarkt im Hauptbahnhof Zürich soll damit sein Auftritt vermiest werden.
So oder so: Mit dieser Desinformationspolitik hat sich der «Tages-Anzeiger» seinen hart erarbeiteten Spitznamen «Tages-Anlüger» ehr- und redlich verdient.
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