Bischof Erik Varden. (Bild: Archivo Fotográfico Universidad de Navarra, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Interview

«Das Revo­lu­tio­näre am Chris­ten­tum ist zeitlos»

Ein Gespräch mit dem neuen Vor­sit­zen­den der Nor­di­schen Bischofs­kon­fe­renz, Bischof Erik Var­den OCSO, über Mis­sion und Kirchenreform.

Dieses Interview erschien zuerst in «Die Tagespost»

Herr Bischof Varden, der neue Abtprimas der Benediktiner, Jeremias Schröder, hat die christliche Missionsarbeit verteidigt. Welche Bedeutung hat Mission in Ihrem Leben?
Eine ganz entscheidende. Es hat aber eine Weile gedauert, bis mir aufgegangen ist, was Mission eigentlich bedeutet. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gab es eine Familie, die ein beiges Auto mit der Aufschrift «Jesus ist der Herr» fuhr. Diese Art Mission fand ich damals wenig anziehend – und sie hat mit der Zeit nicht an Attraktivität gewonnen, um ehrlich zu sein. Ich weiss nicht, ob sowas eine grosse Wirkung hat.

In meinem Nachdenken über Mission änderte sich erst etwas, als ich Händels Messias gehört und später gesungen habe. Es gibt da den hinreissenden Satz «Wie schön sind die Füsse derer, die das Evangelium des Friedens verkünden». Der Gedanke, dass das Evangelium von solcher Besonderheit ist, dass es die Füsse derer, die es weitertragen, schön macht, hat mich verzaubert. Wer wollte nicht Träger von Trost und Anmut für andere sein?

«Mission» hat mit «Sendung» zu tun. Nehmen wir das «Ite missa est», mit dem jede Heiligen Messe endet, ernst, sind wir alle Missionare. Um effektiv zu sein, müssen wir vor allem anderen von der Kostbarkeit dessen überzeugt sein, womit wir ausgesendet wurden. Der Schatz, den wir tragen, ist unendlich viel grösser als wir es sind. Am sichersten sabotieren wir Mission, wenn wir uns selbstgefällig von der Illusion blenden lassen, wir selbst wären die Botschaft und nicht bloss deren unwürdige Überbringer. 

Wie bewerten Sie es, dass der Missionsauftrag im Synodalen Weg der deutschen Diözesen von einer Mehrheit von Strukturreformen abhängig gemacht wird, nach dem Motto: Erst müssen wir die Strukturen reformieren, dann kann das Evangelium wieder bei den Menschen ankommen?
Strukturen sind wichtig: Sie können Mission befeuern oder behindern. Ich habe das im monastischen Kontext gesehen. Ich habe Gemeinschaften begleitet, die in den Siebzigern gegründet wurden oder sich selbst neu erfunden haben. Diese Gemeinschaften brannten vor Eifer, zu den Ursprüngen zurückzukehren und charismenorientiert zu leben, um sich, von Regeln befreit, frisch und frei auszudrücken, und so weiter.

Eine Zeit lang ist das alles gut und schön. Man kann sich im Selbstbewusstsein sonnen, Blockaden zu brechen und der Zukunft den Weg zu bereiten. Aber nach einer Weile flaut das Hochgefühl ab, das den Wandel zunächst motivierte, und man steht vor der Herausforderung der Beständigkeit – der Beständigkeit in einem «verborgenen, arbeitsamen und gewöhnlichen» Leben, wie es die Constitutiones der Trappisten ausdrücken. Und so entdeckt man, dass gewisse Strukturen, Regeln und Bestimmungen tatsächlich authentisch dem Evangelium entsprechen und nicht zwangsläufig im Widerspruch zum Geist stehen.

Wichtig ist es, rational und verantwortungsvoll über diese Dinge nachdenken. Trotz allem bin ich kein Strukturmaximalist. Zu allen Zeiten ist das Evangelium ein Feuer gewesen, das sich ausbreitet, indem ein Herz das andere in Brand steckt. Darum müssen wir mehr als alles unser Herz behüten. Brennen unsere Herzen wirklich? Wenn nicht: Warum nicht?

Welcher Gedanke der Benediktsregel wäre aus Ihrer Sicht hilfreich für die Gläubigen, um besser zu erfassen, worin authentische Reformen bestehen?
Der Begriff «Reform» setzt eine bedeutungstragende, gesegnete, begehrenswerte «Form» voraus. In der Geschichte der Orden sind echte Reformen oft aus einem Gefühl der Verantwortung entsprungen. Nehmen Sie zum Beispiel die Zisterzienserreform des 11. Jahrhunderts. Die Quellen schildern uns die Heiligen Robert von Molesmes, Alberich und Stefan Harding – das Trio, das gemeinhin die Gründer von Cîteaux genannt wird – im regelmässigen Austausch mit gleichgesinnten Brüdern.

Noch in Molesmes besinnen sie sich auf die Gelübde, die sie abgelegt haben, und stellen konsterniert fest: Wir werden unseren Versprechen überhaupt nicht gerecht! Die Gründung von Cîteaux, das zunächst ganz einfach als das neue Kloster bekannt wird, entsprang dem Bemühen einer Handvoll gottgeweihter Männer, zu ihrem Wort zu stehen und treu zu sein. Was könnte alles geschehen, wenn wir uns heute auf diese Logik einliessen?

Denken Sie an das Gebet, das bei der Taufe über uns gesprochen wurde, als wir nach dem Bilde Christi zum Priester, Prophet und König gesalbt wurden, um auf immer als Glied seines Leibes zu leben und Anteil am ewigen Leben zu haben. Denken Sie an den Ritus der Firmung, der uns in den Geist der siebenfältigen Gaben eingetaucht hat. Denken Sie an die Erhabenheit des Ehebundes und erst recht an die Selbsthingabe derer, die in der Priester- oder Bischofsweihe Christus gleichgestaltet wurden!

Würden wir – getreu dem Zweiten Vatikanischen Konzil – zu den Ursprüngen unserer eigenen Berufung und Erwählung zurückkehren, zu unserer ureigenen Gnade, wir könnten die Welt in Brand setzen und gleichzeitig das dürre Land bewässern und fruchtbar machen – in einer christlichen Optik schliessen sich diese Bilder keineswegs aus. Um über all dies einen benediktinischen Titel zu setzen, würde ich das letzte der «Werkzeuge der geistlichen Kunst» zitieren, jenem unerschöpflichen vierten Kapitel der Regel: «An Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln.» Diese Barmherzigkeit ist in ihrer vollendeten Umsicht unbesiegbar.

Welche konkreten Reformen halten Sie für erstrebenswert?
Wenn ich auf meine Definition des Begriffs «Reform» zurückkommen darf, dann würde ich sagen, dass jene Reformen erstrebenswert sind, die uns als Einzelne und als Kirche wirklich zur forma Christi gestalten. Es sind Reformen, die uns darauf vorbereiten, mit dem heiligen Paulus sagen zu können, dass nicht mehr ich lebe, sondern Christus in mir lebt, um so die Kirche in Liebe aufzubauen. Gelungene Reformen befähigen die Gläubigen, jenes Mysterium glaubwürdig und fruchtbar zu leben, das der heilige Paulus «Leben in Christus» nennt.

Was erwarten Sie von der Weltbischofssynode im Oktober in Rom? Werden Sie daran teilnehmen?
Wie alle anderen hoffe ich inständig, dass die Synode ein Motor christlicher Erneuerung und Bekehrung sein wird; ich hoffe, dass sie das hehre Ideal des Zweiten Vatikanischen Konzils erfüllen wird, das uns die Kirche als «die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils für das ganze Menschengeschlecht» vor Augen stellte, die in Einheit mit dem Nachfolger Petri den Glauben der Kirche unverkürzt und ohne Kompromisse verkündet, auf dass die Welt glaube. Unsere Nordische Bischofskonferenz wird wie im Jahr zuvor von meinem Vorgänger Bischof Czeslaw Kozon von Kopenhagen, und unserer Generalsekretärin, Schwester Anna Mirijam Kaschner, vertreten.

Papst Franziskus hat die Reizthemen für das Treffen in Rom ausgeklammert. Können Sie das nachvollziehen?
Was reizt denn? Das wahrhaft Reizende und Revolutionäre am Christentum ist zeitlos, ewig neu, immer eine Überraschung, ja gerade anstössig: die Möglichkeit der Vergebung der Sünden, die Aussicht auf allumfassende Versöhnung, die Zerstörung des Todes, Christi Abstieg zur Hölle, sein Versöhnungsopfer, der Ruf zur Verwandlung, damit wir «Anteil an der göttlichen Natur» erhalten, wie es im 2. Petrusbrief heisst. Wenn wir darauf den Schwerpunkt legen und der Welt die ausserordentliche Hoffnung vermitteln, die wir kraft apostolischer Autorität haben, könnte es eine bahnbrechende Synode werden.

Was können Katholiken in Deutschland von den Gläubigen in Skandinavien lernen?
Es wäre albern und überheblich, wenn wir uns zu irgendjemandes Lehrer aufspielten. Wir bemühen uns zu lernen, was es heisst, Christ zu sein, Katholik zu sein, was es bedeutet, ganz Mensch zu sein. Am wichtigsten ist es heute, einander in Christi Namen zu allem Guten aufzumuntern. Der heilige Benedikt hat viel über gegenseitige Ermutigung zu sagen. Ich liebe seine Bemerkung im Kapitel 22 über die Nachtruhe der Mönche: «Wenn sie zum Gottesdienst aufstehen, sollen sie sich gegenseitig behutsam ermuntern, damit die Schläfrigen keine Ausrede haben.» Das Beispiel des guten Eifers, das wir einander schulden, möge uns davor bewahren, uns zu schläfrigen, faulen und manchmal feigen Ausreden hinreissen zu lassen.

Gibt es einen Heiligen oder eine andere Persönlichkeit der Geschichte, die für Sie ein Vorbild geworden ist?
Ganz viele! Vier davon hängen zu Hause über meinem Schreibtisch: die heilige Edith Stein, jene unvergleichliche Lehrerin der Kreuzeswissenschaft; Bischof Clemens August Graf von Galen, der es wagte, im Angesicht der Macht Wahrheit zu künden; der Diener Gottes Jérôme Lejeune, dessen Verteidigung der Unantastbarkeit des Lebens heute von entscheidender Bedeutung ist; und der griechisch-orthodoxe Bischof Meletios Kalamaras, von dem der Ausspruch stammt, dass «Anthropozentrismus die Kirche tötet» – eine Aufforderung zu einem kollektiven sursum corda.

Daneben lese ich immer wieder Ida Friederike Görres – sie ist so erfrischend! Oft denke ich daran, was sie in «Im Winter wächst das Brot» schreibt: «Immer, zu jeder Zeit, steht die irdische Kirche auch im Widerspruch zu ihrem andern und eigentlichen Wesen. Immer ist sie reformbedürftig, immer sind gerade ihre besten Kinder, die Heiligen, unglücklich über sie und rufen liebend und leidend nach Umkehr und Busse.» Die Frage ist: Ist mein Aufschrei «liebend und leidend»? Bin ich bereit, den Imperativ zur Heiligkeit anzunehmen?
 

Originalbeitrag in «Die Tagespost»


Die Tagespost


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Bemerkungen :

  • user
    Stefan Fleischer 07.10.2024 um 10:32
    "dass «Anthropozentrismus die Kirche tötet» "
    Wie wahr! Zu neuer Blüte kann die Kirche nur erwachen, wenn sie zum, "Theozentrismus", zu Gott, von dem sie sich heute so wit entfernt hat, als Zentrum und Ziel des ganzen kirchlichen Lebens zurück kehrt.