Zeitgenössische Stimmen reduzieren den bedeutendsten Lobpreis des Poverello auf blosse Naturmystik. Damit wird just dessen Kern verkannt. Denn wohl steht die Schöpfung im Zentrum des Sonnengesangs, doch Franziskus versteht ihn als Dankeshymnus an Gott, ihren Schöpfer. Jede der neun Strophen beginnt mit der Einleitung «Gelobt seist Du, mein Herr». So auch das Lob auf die Erde:
«Gelobt seist Du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt
und vielfältige Früchte hervorbringt
und bunte Blumen und Kräuter.»
Und wie alle grossen Werke der Weltliteratur, sei es Homers Odyssee oder Goethes Faust, ist auch diese «Magna Charta der Bewahrung der Schöpfung» nicht an einem Tag entstanden, sondern durchlief vielmehr verschiedene Phasen. Man geht heute davon aus, dass erst in einer späteren Phase die Friedensstrophe hinzukam; die letzte Strophe soll Franziskus auf dem Sterbebett verfasst haben.
«Gelobst seist Du, mein Herr,
durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig jene, die er findet in Deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.»
Gerade diese beiden Strophen sind von brennender Aktualität. Tatsächlich werden uns tagtäglich am Fernsehen und in den Sozialen Medien Bilder des Grauens aus Bürgerkriegen und zwischenstaatlichen Konflikten vor Augen geführt – und handkehrum wird der eigene, unausweichliche und ganz persönliche Tod in unserer Gesellschaft verdrängt, buchstäblich totgeschwiegen.
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