Das Sturmtief über der Katholischen Kirche lässt sich auch an der Verfassung der «Päpstlichen Akademie für das Leben» ablesen. (Bild: Roland Graf/Swiss-cath.ch)

Hintergrundbericht

Der Nie­der­gang der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben

Wäh­rend rund 13 Jah­ren zeich­nete sich die «Päpst­li­che Aka­de­mie für das Leben» (lat.: «Pon­ti­fi­cia Aca­de­mia pro Vita» PAV) aus durch ihre Stel­lung­nah­men und Publi­ka­tio­nen, die der För­de­rung und dem Schutz des mensch­li­chen Lebens dien­ten. Nun scheint sie nur noch ein Schat­ten ihrer selbst zu sein.

Im Jahr 1994 gründete der inzwischen heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. die Päpstliche Akademie für das Leben (PAV). Sie befasst sich mit der Förderung und dem Schutz des menschlichen Lebens und gab etliche Stellungnahmen zu aktuellen bioethischen Themen heraus. Einige Beispiele seien hier genannt: «Reflexionen über die Klonierung» (1997), «Respekt für die Würde der Sterbenden» (2000), die «Erklärung über die Herstellung sowie die wissenschaftliche und therapeutische Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen» (2000) und «Moralische Überlegungen zu Impfstoffen, für deren Produktion Zellen von abgetriebenen Föten verwendet werden» (2006). Nach der Jahrestagung gab es jeweils kurze Statements, wie z. B. über das christliche Gewissen zur Unterstützung des Rechts auf Leben (2007). Die PAV scheute sich nicht, dezidiert für den Lebensschutz einzutreten und das zeitnah. Selbstverständlich wurde die Morallehre der Katholischen Kirche angewandt, besonders auch die Moralenzyklika «Veritatis splendor» sowie die Enzyklika «Evangelium vitae». Die in die PAV berufenen Mitglieder mussten gemäss Art. 6 der Statuten einen Treueeid ablegen, wonach sie die Grundsätze des Wertes des Lebens und der Würde des Menschen in Übereinstimmung mit dem Lehramt fördern und verteidigen. Ein öffentlicher und bewusster Widerspruch zu diesen Grundsätzen zog den Verlust der Mitgliedschaft nach sich.

Leitete die Diskussion über die Organspende den Niedergang ein?
Das einzige Thema, das nicht zu einer öffentlichen Erklärung oder einer Stellungnahme der PAV führte, war die Organentnahme am Lebensende. Im November 2008 veranstaltete die PAV unter ihrem Präsidenten Mons. R. Fisichella eine Tagung, die sich mit der Organspende als «Geschenk für das Leben» auseinandersetzte. Mitveranstalter waren die «Internationale Vereinigung katholischer Ärzte» (FIAMC) und das «Centro Nazionale Trapianti» – das italienische Pendant zu «Swisstransplant». Offizielle Sponsoren des Anlasses waren die Firma «Novartis» und das «Centro Nazionale Trapianti». In seiner Ansprache vom 7. November 2008 an die Kongressteilnehmer erklärte Papst Benedikt XVI., es müsse sicher sein, dass Organe «ex cadavere» entnommen werden. Zudem betonte er: «In einem Bereich wie diesem darf es nicht den geringsten Verdacht auf Willkür geben, und wo die Gewissheit noch nicht erreicht sein sollte, muss das Prinzip der Vorsicht vorherrschen.» Seine Ansprache und jene der Referenten wurden 2009 im Fachjournal Transplantation publiziert. Unter den Referenten gab es keine Kritiker der Hirntod-Definition. Letztere organisierten unmittelbar vor der nächsten Jahresversammlung der PAV (20. bis 21. Februar 2009) ebenfalls in Rom eine internationale Tagung zum Thema Hirntod. Etliche Mitglieder der PAV, hochrangige Vertreter des Vatikans sowie Theologen, Ethikerinnen und Ärzte setzten sich mit dem heiklen Thema auseinander. Nach einem Bericht der Tagespost vom 24. Februar 2009 sprach sich nach intensiven Diskussionen eine Mehrheit gegen die Hirntod-Definition aus – «in dubio pro vita»; ein zweiter Bericht in derselben Ausgabe resümierte, die Debatte sei offen. Eine öffentliche Stellungnahme der PAV blieb aus. Hingegen hatte die «Päpstliche Akademie für die Wissenschaften», die ganz anders zusammengesetzt ist, das Hirntodkonzept bereits an einer Tagung 2006 befürwortet, sicher auch aufgrund einer Ansprache des heiligen Johannes Paul II., der zur damaligen Zeit noch nicht über die Erkenntnisse verfügte, die später das Hirntod-Kriterium immer mehr infrage stellten. In einem Statement gegenüber Kritikerinnen und Kritikern bekräftigte die «Päpstliche Akademie für die Wissenschaften» 2008 ihren Standpunkt und bestätigte ihn 2012 noch einmal.

Für 2012 plante die PAV eine Tagung über verantwortungsvolle Stammzellenforschung, die auch über die induzierten pluripotenten Stammzellen diskutieren sollte. Sie wurde kurzfristig abgesagt. Stattdessen gab es vor der Jahresversammlung 2012 eine öffentliche Veranstaltung zum Thema «Diagnose und Behandlung der Unfruchtbarkeit». Die Artikel dazu sind ebenfalls in einem Fachjournal erschienen, im International Journal of Gynecology & Obstetrics. Schwerpunktmässig wurden bei der Veranstaltung die Techniken der Reproduktionsmedizin thematisiert, welche die Kirche bekanntlich als ethisch verwerflich beurteilt. Nur in einem Vortrag ging es um die Natürliche Familienplanung, in einem weiteren um die psychologischen und ethischen Implikationen. Zurückhaltend und doch klar und deutlich erklärte Papst Benedikt XVI. damals in seinem Grusswort: «Die Demut und Klarheit, mit der ihr diese Problematik tiefgehend untersucht und weshalb ihr angesichts der Faszination der Technologie der künstlichen Befruchtung von manchen eurer Kollegen für rückständig gehalten werdet, verdient Ermutigung und Unterstützung. [...] Gebt nie der Versuchung nach, das Wohl von Menschen zu behandeln, indem ihr es auf ein rein technisches Problem verkürzt! Die Gleichgültigkeit des Gewissens gegenüber dem Wahren und dem Guten stellt eine gefährliche Bedrohung für einen wissenschaftlichen Fortschritt dar.»

Aufgrund manipulierter Diskussionsmöglichkeiten nach den einseitigen Vorträgen war für Prof. Josef Seifert die Veranstaltung insgesamt so niveaulos, dass er in einem offenen Brief an Mons. Don Ignacio Carrasco den Rücktritt des Vorstandes der PAV forderte. Es sollte anders kommen: Die lehramtstreuen Mitglieder der PAV verloren mit dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. am 28. Februar 2013 ihren wichtigsten Rückhalt.

Absetzung aller Mitglieder und neue Statuten durch Papst Franziskus
Im Jahr 2016 reorganisierte Papst Franziskus die PAV mit neu erlassenen Statuten und entliess sämtliche Mitglieder. Gemäss § 5 lit. b verpflichten sich alle neuen Mitglieder, «die Prinzipien über den Wert des Lebens und die Würde der menschlichen Person zu fördern und zu verteidigen. Sie interpretieren dies in einer Weise, die mit dem Lehramt der Kirche übereinstimmt». Allerdings müssen die Mitglieder keine entsprechende Erklärung mehr unterschreiben. In der Enzyklopädie Wikipedia wird dieser Umstand wie folgt kommentiert: «In diesem Zusammenhang schaffte der Papst auch die aus der Amtszeit Joseph Kardinal Ratzingers als Glaubenspräfekt stammende Verpflichtung der Mitglieder dieser Gliederungen ab, bei der Aufnahme einen die Gewissensfreiheit [sic!] beschränkenden Treueeid zu unterschreiben, der sie auf bestimmte moraltheologische Ansichten festlegte.» Neuer Akademiepräsident wurde der italienische Kurienerzbischof Vincenzo Paglia.
 

Der Arbeitsbereich umfasst seither zusätzlich die Geschlechter- und Generationenforschung sowie die individuellen Schutzrechte, die «Humanökologie» und das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt. Die Akademie arbeitet mit den Dikasterien der römischen Kurie zusammen, vorrangig mit dem Staatssekretariat und dem damals neu errichteten «Dikasterium für Laien, Familien und Leben». Es war absehbar, dass sich die PAV mit diesem überladenen Themenspektrum verzetteln würde.

Die Akademie tagte vom 5. bis 7. Oktober 2017 erstmals unter der neuen Zusammensetzung. Papst Franziskus reduzierte die Anzahl der Mitglieder drastisch. Von den bisherigen 164 Mitgliedern wurden 33 wieder für fünf Jahre zu ordentlichen Mitgliedern ernannt. Dazu kamen 18 neue ordentliche Mitglieder. Nicht mehr ernannt wurden die Philosophieprofessoren Robert Spaemann und Josef Maria Seifert. Einzig der deutsche Arzt und Theologe Manfred Lütz vertritt weiterhin den deutschsprachigen Raum in der Akademie als ordentliches Mitglied.

Höchst bedenkliche Ernennungen und laue Stellungnahmen
Wenn man einige der neu ernannten Mitglieder näher betrachtet, startete die neu aufgestellte Akademie unter schlechten Vorzeichen. Die Ernennung des anglikanischen Theologen Nigel Biggar wurde u. a. vom Präsidenten von HLI-USA, Father Shenan J. Boquet, kritisiert. Demnach vertrat Biggar im Magazin «Standpoint» (Juli/Aug. 2011) die Ansicht, Abtreibungen bis zur 18. Schwangerschaftswoche sollten legal sein, weil dies der früheste Zeitpunkt sei, zu dem Gehirntätigkeit und damit Bewusstsein gegeben sei. Vorher sei der Status des Fötus «ungewiss». Von zwei weiteren Mitgliedern wurden kontroverse Positionen bekannt: Rabbi Avraham Steinberg ist der Ansicht, dass der Embryo in den ersten 40 Tagen noch keinen menschlichen Status haben soll. Maurizio Chiodi, Professor für Moraltheologie, hat sich im «Päpstlichen Rat für die Familie» im Vorfeld zur Bischofssynode über die Familie im Jahr 2014 für Kontrazeption und künstliche Befruchtung ausgesprochen.

Als am 24. Juni 2022 das Oberste Gericht der USA das Urteil Roe vs. Wade aus dem Jahr 1973 aufhob, durfte man erwarten, dass die PAV vorbehaltlos ihre Genugtuung über diesen Entscheid bekunden würde. In ihrer Medienmitteilung bezieht sie sich auf die US-Bischöfe, gibt aber nur einen kurzen Schlussabschnitt ihres Statements wieder mit dem Aufruf zur Heilung der Wunden und der Überwindung sozialer Spaltungen. Vom Klartext der US-Bischöfe übernahm die Akademie hingegen gar nichts: «Fast fünfzig Jahre lang hat Amerika ein ungerechtes Gesetz durchgesetzt, das es einigen erlaubte, darüber zu entscheiden, ob andere leben oder sterben können; diese Politik hat zum Tod von zig Millionen von Kindern im Mutterleib geführt, Generationen, denen das Recht verweigert wurde, überhaupt geboren zu werden. [...] Wir danken Gott heute, dass der Gerichtshof diese Entscheidung nun aufgehoben hat. Wir beten, dass unsere gewählten Vertreter nun Gesetze und politische Maßnahmen erlassen, die die Schwächsten unter uns fördern und schützen.»

Am 22. Oktober 2022 wurde die italienisch-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato von Papst Franziskus zum ordentlichen Mitglied ernannt. Dazu wurde massive Kritik geäussert, weil sie sich als entschiedene Befürworterin der Abtreibung und der UN-Agenda 2030 betätigt. Die PAV rechtfertigte die Ernennung, weil es wichtig sei, «einen konstanten und fruchtbaren interdisziplinären, interkulturellen und interreligiösen Dialog» zu fördern, da sie «ein Organismus für Studium und Forschung» sei. § 5 lit. B der Statuten ist somit zur Makulatur geworden. Akademien und Bioethikkommissionen, welche die Lehre der Kirche auf aktuelle bioethische Herausforderungen anwenden sollen, müssen nicht mit Mitgliedern gegensätzlicher Positionen besetzt werden. Es ist überhaupt kein Problem, solche Fachleute zur Anhörung vorzuladen, um die eigenen Argumente zu schärfen. Die Naivität, um nicht zu sagen Scheinheiligkeit, ist hier mit Händen zu greifen: Man stelle sich vor, der Parteivorstand der SP würde ein SVP-Parteimitglied in ihre Gremien aufnehmen, um sich mit den Argumenten der SVP vertraut zu machen! So etwas ist völlig undenkbar, aber in kirchlichen Kreisen im analogen Sinn gang und gäbe.

Unter den gegebenen Umständen wird man vergeblich auf klare Analysen und Stellungnahmen der PAV zu höchst aktuellen Trends warten: Denken wir an die Organtransplantation, die in Belgien nach Euthanasie durchgeführt wird oder an die genetischen Manipulationen von menschlichen Embryonen mittels der Technik CRISPR. Für uns Lebensschützerinnen und Lebensschützer ist es wohl besser, künftig die Webseite der US-Bischöfe (www.usccb.org) zu konsultieren als jene der PAV.


Dieser Artikel wird im HLI-Report 117 abgedruckt.


Roland Graf
swiss-cath.ch

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Dr. Roland Graf ist Pfarrer in Unteriberg und Studen (SZ). Er hat an der Universität Augsburg in Moraltheologie promoviert und war vor seinem Theologiestudium als Chemiker HTL tätig.


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    Anna W. 24.02.2023 um 05:55
    Es macht sehr, sehr traurig....was hier aufbauend eine wichtige Stimme für das Leben war... stirbt langsam zu einer Stimme, die dem immer näher kommt.

    Zitat
    Demnach vertrat Biggar im Magazin «Standpoint» (Juli/Aug. 2011) die Ansicht, Abtreibungen bis zur 18. Schwangerschaftswoche sollten legal sein, weil dies der früheste Zeitpunkt sei, zu dem Gehirntätigkeit und damit Bewusstsein gegeben sei. Vorher sei der Status des Fötus «ungewiss».

    Danke Roland Graf, dass du immer wieder deine Stimme mutig erhebst für das Leben,
    Danke Daniel Ric für Ihre Ermutigung
  • user
    Daniel Ric 23.02.2023 um 18:18
    Es ist die Aufgabe jedes Katholiken, die kirchliche Position in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen. Vor allem die Laien sollen sich dieser Würde bewusst sein. Das Zweite Vatikanum ruft die Laien auf, christliche Positionen in der Gesellschaft zu verteidigen und zu verbreiten. Auch wenn die Päpstliche Akademie für das Leben interne Probleme hat, sollte dies den einfachen Katholiken nicht entmutigen, für den Lebensschutz einzutreten. Grundsätzlich glaube ich, dass Adakemien in der heutigen Zeit ohnehin einen schweren Stand haben. Der normale Katholik liest ja keine Fachzeitschriften und sein Glaubensleben bleibt meistens unberührt durch die Diskussionen, die in der Forschung durch Gelehrte geführt werden. Wichtig wäre es, die katholische Lehre in der Katechese sowie in den Bibelauslegungen zu vermitteln. Auch muss man auf die Missstände aufmerksam machen, welche die moderne Lebenspraxis mit sich gebracht hat. So viele Kinder und Jugendliche leiden unter den jetzigen Umständen. Menschen werden ihre Lebensweise erst dann hinterfragen, wenn sie merken, dass diese sie langfristig unglücklich macht. Die katholische Moral bürdet dem Individuum kurzfristig Verzicht auf, führt aber langfristig (und damit meine ich nicht nur das ewige Leben, sondern auch das irdische) zum Glück.