Santa Maria degli Angeli von Mario Botta auf dem Monte Tamaro TI. (Bild: montetamaro/Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

Der uner­füllte Traum von einem Kloster

Dome­nico Fon­tana, Carlo Maderno, Fran­cesco Bor­ro­mini oder Dome­nico Trez­zini – das Tes­sin hat viele berühmte Archi­tek­ten her­vor­ge­bracht. Heute fei­ert ein wei­te­rer Gros­ser die­ser Reihe sei­nen 80. Geburts­tag: Mario Botta.

Ein Zylinder, schräg abgeschnitten, darin ein Dreieck wie ein Segel als Dach: Mario Botta, Schweizer Star-Architekt, wiederholt bestimmte Grundmuster immer wieder. Seine Gebäude strahlen mit den auf das Wesentliche reduzierten Formen eine fast klösterliche Nüchternheit aus. Tatsächlich vermitteln seine Bauten eine zeitlose Ruhe.

 


Botta reduziert seine Werke nicht auf ihre Funktion wie sein Lehrmeister Le Corbusier (1887–1965). Wer eine Botta-Kirche betritt, weiss sich sofort in einem sakralen Gebäude. Gut 20 Sakralbauten hat der Architekt entworfen, darunter die Cymbalista-Synagoge in Tel Aviv und ein gutes Dutzend Kirchen und Kapellen: im Schweizer Tessin, in Italien, in Frankreich. In seiner 1995 fertiggestellten Kathedrale für die Pariser Trabantenstadt Evry greift er die von ihm so geschätzte Zylinderform auf: sandsteinrot aussen, von oben lichtdurchflutet, gekrönt mit einem Kranz von Bäumen auf dem doppelwandigen Zylinderrund. In ihrer archaischen Einfachheit hat sie die Qualität, Moden zu überdauern.
 


Alles in der Natur forme sich aus Kugel, Kegel und Zylinder, schrieb einmal der französische Maler Paul Cezanne. Botta überträgt diese Botschaft in die Architektur. Kreis und Rechteck, Quader und Zylinder, Linien und ebenmässige Bögen – mehr braucht er nicht. «Jede Architektur tritt in einen Dialog mit den landschaftlichen Eigenheiten und natürlich jedes Mal auf eine andere Art und Weise. Die Stärke der Architektur liegt nicht in ihrer Autonomie, sondern in der räumlichen Beziehung, die sie mit der sie umgebenden Landschaft herstellt», erklärte Mario Botta in einem Interview.1

Neben der Kathedrale von Evry zeigen das auch Botta-Kapellen im Tessin: in Mogno im idyllischen Lavizzara-Tal oder auf dem Monte Tamaro hoch über dem Südufer des Lago Maggiore. Wie eine Fortsetzung des Berges wächst die Monte-Tamaro-Kapelle aus dem Felsen heraus und bietet einen atemraubenden Blick auf See, Tal und Bergwelt. In der Kapelle von Mogno ist es das subtile Spiel massiver Mauern und eines schwebenden Glasdachs, festungsartiger Stärke und einer Leichtigkeit von Hoffnung durch den Glauben.
 

Im Februar 2013 wurde Botta, noch von Papst Benedikt XVI., in die Päpstliche Akademie der schönen Künste berufen. 2018 erhielt er im Vatikan den Joseph-Ratzinger-Preis. Kurienkardinal Gianfranco Ravasi, damals Präsident des Päpstlichen Kulturrates, lobte Botta für die theologische Dimension seiner Ästhetik. In seiner Architektur erweise sich Religiosität als «Stachel im Fleisch» einer säkularen Kultur.

Backstein, Porphyr, Marmor in unterschiedlichen Farben: Die Ruhe, die Bottas Gebäude in ihrem Inneren verbreiten, schafft der Architekt mit unterschiedlichsten Materialien; nicht nur in Kirchen, sondern etwa auch im «Museum of Modern Art» in San Francisco oder der «Stadt- und Landesbibliothek» in Dortmund. Auch bei Wohnhäusern greift er oft auf den runden oder halbrunden Grundriss zurück.
 


Wiederaufbau dagegen ist seine Sache nicht. Zur originalgetreuen Restaurierung der Pariser Kathedrale Notre-Dame sagt er: «Wiederherstellen ist immer ein Verrat.» Die Gemeinschaft müsse entscheiden, bis zu welchem Punkt sie Verrat begehen will. Man könne nicht «die Vergangenheit wieder errichten und mit der Sprache der Vergangenheit bauen», sondern nur «mit der Kultur unserer Zeit».

Dabei sind auch Bottas Gebäude nicht immer unumstritten. In seiner Heimat, dem Tessin, kam es in den 90er-Jahren zunächst zu einer Unterschriftensammlung gegen sein Projekt der gestreiften Zylinderkirche «Johannes der Täufer» in Mogno. Auch in Turin regte sich Widerstand gegen seine als zu teuer kritisierte Kirche Santo Volto, eröffnet 2006.

Seine Bauten fügen sich in ihre Umgebung ein und bleiben doch Fremdkörper. Er selbst sagte einmal in einem Interview, sie entsprächen «in ihrer kompakten Form wahrscheinlich dem Bedürfnis des Menschen nach Geborgenheit; einem Gefühl, das in unserer heutigen Welt, in der der Alltag immer härter wird, wieder eine der wichtigsten Anforderungen an Architektur ist».

Von Botta gibt es auch Möbel, Utensilien und Gebrauchsgegenstände, die seine Formensprache ebenfalls aufnehmen. Und ein echter Botta-Entwurf muss nicht unerschwinglich sein: Ein Schweizer Mineralwasser wird in einer Plastikflasche mit seinem Design vertrieben.

Zu seinem 75. Geburtstag 2018 machte sich Botta wohl selbst so etwas wie ein Geburtstagsgeschenk: das «Theater der Architektur» in seiner Geburtsstadt Mendrisio, ein zylindrisches, fensterloses Amphitheater. Der mehrstöckige Zentralbau dient der «Università della Svizzera italiana» (USI) als Architekturakademie und Debattierzentrum.

Einen Traum aber hat er sich noch nicht erfüllt: ein kleines Kloster zu bauen. Einen solch «idealen Ort» zu schaffen, «die Zelle, in der man schläft, den Garten, das Gemüsebeet, den Kreuzgang [...] das inspiriert mich», so Botta. Ein Kloster sei ja kein Gefängnis, da sich die Person selbst entscheide, dort zu leben. «Alles muss nach den besten Möglichkeiten und Materialien durchdacht werden, um ein Leben lang dort zu bleiben.»

 


1 Schweizerische Kirchenzeitung SKZ, 17/2020, 352.


KNA/Redaktion


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