Armin Schwibach, Dozent am Päpstlichen Athenäum Regina Apostolorum in Rom, setzt den fälligen Kontrapunkt. Im «Spiegel»-Interview mit dem Titel «Der autoritärste Papst der letzten 200 Jahre» bilanziert der promovierte Philosoph, Theologe und Vatikanist das soeben zu Ende gegangene Pontifikat. Ganz so schlimm war er wohl nicht, der Papst aus dem Land der peitschenschwingenden Gauchos. Aber angesichts der zahlreichen Nachrufe aus berufenem und vor allem weniger berufenem Munde, welche den erst kürzlich verstorbenen Pontifex nach der Devise «Santo subito» bereits zur Ehre der Altäre erhoben (man lese Frank A. Meyers «SoBli»-Kolumne «Franziskus – das Gesicht der Welt») war diese Warnung vor dem drohenden Realitätsverlust mehr als nur indiziert.
Schwibach relativiert denn auch gleich selbst sein Verdikt, um es gleichzeitig zu präzisieren: «Papst Franziskus zeichnete sich durch einen sehr ausgeprägten, persönlichen, nicht unbedingt kollegialen Führungsstil aus. Er hat sein Umfeld nach eigenen Vorstellungen gestaltet. Der Vatikan war in den vergangenen Jahrzehnten, unter Johannes Paul II. und unter Benedikt XVI., gewissermassen ein Ort der Freiheit. Papst Franziskus war hingegen ein regierender Papst, einer, der sein Regiment durchzog mit Leuten, die er selbst bestimmt hat. Er war eine autoritative Autorität, gegenüber Kardinälen, Bischöfen, Priestern im Vatikan.»
Aufmerksame Beobachter wie auch persönlich Betroffene können diesen Befund nur bestätigen. Entgegen dem zuhanden der Öffentlichkeit systematisch vermittelten Bild des Barmherzigen, des Allerbarmers sozusagen, machte Papst Franziskus vom Jurisdiktionsprimat im Sinne der unmittelbaren Gewalt (vgl. can. 331 CIC) überaus regen Gebrauch: Oft wurden unliebsame kirchliche Mitarbeiter über alle Instanzen hinweg ohne Anhörung Knall auf Fall strafversetzt oder gar entlassen.
Verbale Ohrfeige des Papstes
Doch dieser bergoglianische Autoritarismus hatte auch sein Gutes. Als sich die Protagonisten des deutschen synodalen Sonderweges immer mehr in häretische Gefilde verirrt hatten, platzte dem Pontifex der Kragen, setzte es – so der «Spiegel», eine «verbale Ohrfeige» – die sinngemäss lautete: Es gibt eine gute evangelische Kirche in Deutschland, wir brauchen davon keine schlechte Kopie. Zeitigte diese Ohrfeige auch die gewünschte Wirkung?
Seit jeher gilt: Wird ein Bischof versetzt, tritt er zurück oder stirbt er im Amt, darf während der Sedisvakanz, bis zur Wiederbesetzung also, nichts verändert werden (vgl. can. 428 § 1 CIC). Dieses Prinzip gilt auf weltkirchlicher Ebene ebenso: Bis zur Wahl des neuen Papstes dürfen bestehende Gesetze nicht korrigiert werden. Ebenso dürfen keine Entscheidungen getroffen werden, welche die Richtung der Kirche verändern könnten. Konsequenterweise wurde im Bistum St. Gallen die für den 23. April 2025 vorgesehene Bischofswahl durch das Domkapitel nach Rücksprache mit dem Nuntius auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Der Vatikan verschob seinerseits die am 27. April 2025 vorgesehenen Selig- und Heiligsprechungen, darunter jene von Carlo Acutis, auf die Zeit nach der Wahl eines neuen Papstes.
Nicht so in Deutschland. Papst Franziskus war noch nicht bestattet worden, als die «Deutsche Bischofskonferenz» am 23. April 2025, also gerade einmal zwei Tage nach dessen Tod, auf ihrer Homepage die «Handreichung für Seelsorgerinnen und Seelsorger für die Praxis der Segnung nicht kirchlich verheirateter Paare» aufschaltete. Das Dokument trägt das Datum vom 4. April, zu einer Zeit, als sich der Papst mit einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung im Gemelli-Spital befand. Man wartete also nur noch den absehbaren Tod des Papstes ab, um während der folgenden Sedisvakanz, sprich während der Zeit, in welcher die oberste Führungsinstanz der Weltkirche unbesetzt ist, um an die Öffentlichkeit zu treten und Fakten zu schaffen.
Konkret soll mit dieser «Handreichung» die päpstliche Erklärung «Fiducia supplicans» zur Segnung irregulärer Paare durch die katholische Kirche unterlaufen werden. In dieser Erklärung heisst es: «Die vorliegende Erklärung bleibt fest bei der überlieferten Lehre der Kirche über die Ehe stehen und lässt keine Art von liturgischem Ritus oder eine ähnliche Segnung zu, die Verwirrung stiften könnten.» Ebenso heisst es in der Erklärung «Fiducia supplicans», dass «keine weiteren Antworten über mögliche Arten und Weisen zur Normierung von Details oder praktischen Aspekten in Bezug auf Segnungen dieser Art» erfolgen sollen.
Doch genau dies tut die in Zusammenarbeit mit dem «Zentralkomitee der deutschen Katholiken» verfasste Handreichung der «Deutschen Bischofskonferenz». Es wird darin die Schaffung neuer Riten propagiert, Normalität für eine Praxis simuliert, die im Widerspruch zur Lehre der Katholischen Kirche steht.
Verfälschung der kirchlichen Morallehre
Die Initiative «Neuer Anfang» hat zu dieser salbungsvollen Schönfärberei einer Umpolung der kirchlichen Morallehre deutliche Worte gefunden: Das Dokument «vereinnahmt den verstorbenen Papst für das Gegenteil seiner erklärten Absichten. Es nötigt auf subtile Weise. […] Es zeigt, mit welch einer strategischen Brutalität Rom missachtet, die Einheit mit der Universalkirche verlassen, die Lehre der Kirche durch neue ‹Praxis› ausgehebelt, das Falsche durch Gewohnheit eingeschliffen, Priester und Seelsorger zu liturgischem Missbrauch eingeladen und Gläubige in die Irre geführt werden.»
Unmissverständlich äussert sich auch die Bewegung «Maria 1.0»: «Der Vorgang steht in eklatantem Widerspruch zu den Vereinbarungen, welche die Deutsche Bischofskonferenz mit Vertretern des Apostolischen Stuhls hinsichtlich des weiteren Verlaufes des Synodalen Weges getroffen hatte. Damals war die Rede davon, ein gemeinsamer Dialogprozess solle sicherstellen, dass die in Deutschland angestossenen Prozesse, ‹in Übereinstimmung mit der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, den Vorgaben des Kirchenrechts und den Ergebnissen der Weltsynode stehen›.»
Es gehört zu den Bruchstellen des Pontifikats von Papst Franziskus, dass er allzu oft auf offenkundige Missachtungen seiner eigenen, verbindlichen Vorgaben mit Schweigen reagierte und dadurch die Glaubenskrise noch zusätzlich verschärfte. Es bleibt die Hoffnung, und sei es die gut biblische «Hoffnung wider alle Hoffnung», dass im nächsten Pontifikat Irrwegen wie der genannten Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz der Riegel geschoben wird.
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