Sant Agostino nello studio von Sandro Botticelli, 1480, Kirche von Ognissanti (Italien).

Hintergrundbericht

Die Bekennt­nisse des hei­li­gen Augus­ti­nus – ein Buch für die Jahrtausende

Nur wenige Bücher bewir­ken eine so andau­ernde Fas­zi­na­tion wie die «Bekennt­nisse» des hei­li­gen Augus­ti­nus. Die Lek­türe die­ses Klas­si­kers erin­nert daran, wel­ches Aben­teuer einen glau­ben­den Men­schen erwartet.

Dieses Buch beginnt mit einem Windstoss, der kräftig durch verstaubte Überzeugungen weht, mögen sie religiös oder säkular sein. Man sieht förmlich die losen Blätter durch die Studierstube wirbeln. Fenster werden aufgerissen, Vorhänge flattern im Wind. Mit diesem Buch halten wir ein Gebet in den Händen – und schon auf den ersten Seiten wird ein Gott der Weite, Frische, Grösse und stürmischen Lebendigkeit angerufen. Wie ein Pulsschlag pocht durch das ganze Buch hindurch das Wort «Herz»; schon auf der ersten Seite heisst es programmatisch:

Denn zu dir hin hast du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir.

Es ist eine Theologie der Sehnsucht, der Leidenschaft, der Unruhe – eine Theologie des Herzens. Zutiefst menschlich wird hier von einem Leben erzählt, das durchdrungen ist von der Sehnsucht nach Gott. Über 1600 Jahre nach seiner Verfassung liest man tief berührt und ergriffen diese Zeilen. Man kann fast nicht anders, als in diesem Giganten der Geistesgeschichte einen Vertrauten zu sehen, obschon er in so ferner Vergangenheit gelebt hat.
 


Augustinus (354–430 n. Chr.), Theologe, Bischof, Kirchenvater und Heiliger, der bis auf Thomas von Aquin wie wenig andere die christliche Geistesgeschichte prägte. Er schrieb seine «Bekenntnisse» (lat. Confessiones) nicht lange nach seiner Weihe zum Bischof der nordafrikanischen Hafenstadt Hippo; er war damals ungefähr 45 Jahre alt.
Das Buch gilt als eine der ersten Autobiografien der Literaturgeschichte. Nicht viele Bücher können eine solch reichhaltige und lang anhaltende Rezeptionsgeschichte vorweisen. Die «Bekenntnisse» sind im Mittelalter eines der am weitesten verbreiteten Werke. Durch die Jahrhunderte hindurch sind sie das Vorbild für religiöse Lebensbeschreibungen – so verfasst z. B. die heilige Teresa von Avila 1565 ihre «Vida» in starker Anlehnung an die «Bekenntnisse». Der Renaissancedichter Petrarca liest auf einer Bergwanderung tief ergriffen, wie Augustinus die ganze Schöpfung bis zu den Sternen hinauf nach Gott befragt. In der Aufklärungszeit setzen sich die grossen Denker, meist polemisch, mit Augustinus auseinander. Jean-Jacques Rousseau wie auch Jaques Derrida beziehen sich in ihren eigenen Lebensbeschreibungen auf die «Bekenntnisse». Und noch heute gelten die «Bekenntnisse» als Klassiker der Weltliteratur. Doch was ist das für ein Buch, das seit Jahrhunderten fasziniert gelesen wird?

Die Rückschau eines Kirchenvaters
Der erste Teil besteht aus einer biografischen Rückschau. Augustinus bekennt Gott und allen Leserinnen und Lesern seine Sünden, Irrungen, Wirrungen und erzählt von den verschlungenen Pfaden zum Glauben. Der ganze Text ist als Gebet verfasst, an dem man teilnimmt. Er ist gespickt mit Anrufungen und Lobes- und Dankeshymnen an den Schöpfer. Augustinus folgt dem Verlauf seines Lebens, wobei er immer wieder psychologischen und theologischen Reflexionen nachgeht. Es entsteht ein schillerndes, lebendiges Bild einer Epoche. Das Werk bietet bis heute faszinierende Einsichten in die menschliche Psyche und vor allem das intime Porträt eines Menschen.

Augustinus beginnt am Anfang – bei seiner Geburt. Im Zeitraffer sieht man das Kind heranwachsen. Er spricht vom ersten Lächeln im Schlaf, von der Sprachlosigkeit als Baby und vom langsam erwachenden Selbstbewusstsein. Immer wieder staunt er über das Wunder dieser Entstehung. Und schon hier entdeckt er die tief sitzende Ambivalenz des menschlichen Charakters. Denn so liebevoll er auf das Kindsein blickt – Augustinus war selbst Vater – er romantisiert nichts. Schon im Kleinkind sieht er den Hang zu Eigenwillen, Neid und Geiz. Die Erbsünde gehört zum Herausfordernden im Denken Augustins, woran sich viele stossen. Doch gerade diese Kindheitsreflexionen können da einen hilfreichen Schlüssel darstellen.

Der berühmte Birnenraub
Differenziert analysiert er die menschliche Tendenz zum Destruktiven. So wird die berühmt gewordene Szene eines Birnenraubs zur Gelegenheit, über die pure Lust an der Übertretung nachzudenken. Der junge Augustinus und einige Freunde klauen Birnen von einem Nachbarn. Sie haben genügend, ja sogar besseres Obst zu Hause. Sie haben nicht einmal Hunger. Und dennoch stehlen sie so viele, wie sie tragen können und stopfen sich voll damit. Ein harmloser Bubenstreich offenbart etwas über die menschliche Seele.
Augustinus nimmt das Leben ernst. Und unter diesem wachsamen, klugen Blick offenbaren sich mannigfaltige Einsichten über die schönen wie auch destruktiven Seiten des Menschen. Nachbars Birnen nehmen im Verlauf des Lebens andere Formen an. Sie werden zu egoistisch gelebter Sexualität, Ruhm- und Geltungssucht, dem sadistischen Spass an Gladiatorenkämpfen usw. Die menschliche Lust an der Selbstbehauptung, gepaart mit dem Rausch der Transgression kann viele Gestalten annehmen. Im 20. Jahrhundert werden grosse Denker wie Pier Paolo Pasolini und Georges Bataille immer noch über das Wesen der Transgression nachdenken.

Ein Leben in Unruhe
So wächst er mit einer frommen Mutter und einem areligiösen Vater heran. Es verschlägt ihn dann nach Karthago, Rom, Mailand. Er erlangt Ruhm als Rhetoriker, verkehrt mit wichtigen Leuten. Er hält sich eine Mätresse, mit der er einen Sohn zeugt. Aus dem tiefen Wunsch, das Dasein zu verstehen, verfällt er den Manichäern. Lange sieht er in ihrem stark dualistischen Weltbild das beste Erklärungsmodell für das Leben. Doch immer ist da diese Unruhe des Herzens, diese Zweifel an den wilden Kosmologien seiner Lehrer. Es liegt etwas Fades und Schmutziges in all dem römischen Exzess. Augustinus ringt mit dem Leben. Tief in ihm zieht etwas in eine Richtung, die ihm Angst macht. Er fürchtet den Kontrollverlust und sträubt sich hartnäckig dagegen. Doch langsam erwacht die Ahnung, dass die ersehnte Heimat nur in der Kirche Christi zu finden ist. Denn wie ein Schutzengel ist durch das ganze Buch hinweg eine grosse Heilige präsent – seine Mutter, die heilige Monika.


Eine grosse Frau
Augustinus liebt seine Mutter. In den «Bekenntnissen» erhalten wir ein zärtliches Porträt dieser frommen Frau, die bis zum heutigen Tag von der Christenheit als Heilige verehrt wird. Er beschreibt sie als willensstarke, kluge und demütige Frau. Durch all seine Verirrungen steht sie ihm bei mit mütterlicher Liebe, Rat und Gebet. Als Augustinus schliesslich zum Glauben findet, hat sich ihre grosse Hoffnung erfüllt. In einer geheimnisvollen Szene stehen die beiden an einem Fenster und blicken hinaus. In einer mystischen Entrückung durchwandern sie im Geist die Schöpfung. Sie steigen immer weiter hinauf zu den Planeten, Sternen und weiter durch die Himmel. Mutter und Sohn horchen gemeinsam auf das geheimnisvolle Flüstern Gottes.

Bald darauf stirbt Monika. Augustinus ist bei ihr. Er ist es, der ihr die Augen schliesst. Herzzerreissend beschreibt er die Trauer um seine Mutter. Und diesen chaotischen Sturm im Herzen, da er so unsäglich traurig ist und doch fest daran glaubt, dass sie nun bei Gott ist. Er versucht, die Tränen zurückzuhalten. Redet sich ein, glücklich sein zu müssen und ist doch einfach unsäglich traurig. Dann betet er für sie und bittet alle Leserinnen und Leser dieses Buches, mit ihm für seine Mutter zu beten. Nur wenige werden diese Stelle lesen, ohne ergriffen das Buch wegzulegen und für diese Frau zu beten. Und man fragt sich staunend, wie viele wohl über die Jahrhunderte hinweg in dieses Gebet miteingestimmt haben.
 


Nimm und lies!
Doch der Weg zu wahrem Gottvertrauen ist lang. Über Jahre hinweg ringt Augustinus mit sich. Er distanziert sich von den Manichäern. Er nähert sich dem Christentum an und wendet sich immer wieder ab. Er begegnet dem heiligen Ambrosius in Mailand, der ihn tief beeindruckt, und dennoch kann er sein altes Leben nicht loslassen. Eines Tages bricht er schliesslich zusammen. In einem Garten weint er bitterlich, weil er einfach keine Kraft mehr hat für dieses Ringen. Da hört er plötzlich eine Kinderstimme rufen: «Nimm und lies!» (lat. tolle lege). Augustinus eilt zu einer Bibel. Er schlägt sie auf gut Glück auf und liest einen Satz («Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne massloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht! Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen», Röm 13,13–14) des heiligen Paulus. Da geschieht etwas mit ihm: Gewissheit und Klarheit breiten sich in ihm aus. Es ist, als wäre die ganze Spannung seines Lebens auf diesen Moment der Erlösung angelegt gewesen. Er entscheidet sich, sein Leben Gott zu widmen.

Der Beginn der Reise
Doch diese Wende im Leben des Heiligen markiert erst den Beginn der Reise. All die Herausforderungen in der Nachfolge Christi stehen ihm noch bevor: Die grossen Schriften, das Bischofsamt, Auseinandersetzungen mit häretischen Strömungen, die Erschütterung einer ganzen Welt, als 410 Rom durch die Westgoten eingenommen wird. Die Bekehrung zum Christentum ist die eine grosse Wegmarke in seinem Leben, doch der Weg geht weiter. Auch in den «Bekenntnissen» sind wir nach den biografischen Darstellungen erst etwas über die Hälfte. Nun beginnt eine grosse Entdeckungsreise durch die Welt, wie sie sich einem Christen zeigt. Augustinus betrachtet die Schöpfung in ihrer überwältigenden Grösse und Schönheit. Vom kleinsten Grashalm bis zu den Sternen befragt er alles nach Gott. Dann wendet er sich nach innen, erkundet das Gedächtnis, all die moralischen Fallstricke, die Beschaffenheit des Geistes, der Träume und der Sehnsüchte. Tiefsinnig denkt er über die Zeit nach, über Vergängliches und Ewiges. Schliesslich wendet er sich der Heiligen Schrift zu. Er studiert sie. Er dreht und wendet das Gelesene. Augustinus findet sich in einer verzauberten Welt wieder, in der alles von ihrem Schöpfer spricht, summt und singt. Er entdeckt im christlichen Glauben kein geschlossenes System, kein vorgekautes Denken, sondern den Ruf zu einer abenteuerlichen Reise. Der frische Wind, der einem in diesem Buch entgegenweht, kommt von einer Tür, die aufgestossen wird. Im heiligen Augustinus ist uns einer vorausgegangen. Und immer wieder neu werden wir durch dieses Buch daran erinnert, dass es auch an uns ist, aufzubrechen.


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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Bemerkungen :

  • user
    Susanne Herrmann 08.01.2023 um 12:15
    Wunderschöne,tiefe Beschreibung eines Suchenden!
    Die Ruhe in Gott zu finden ist dramatisch aktuell für den heutigen Menschen.
    Und doch zeitlos in der ganzen Menschheitsgeschichte!
    Danke , ein Geschenk uns diesen Mann nahe zu bringen!