Viola Amherd bei Papst Franziskus im Mai 2023. (Bild: © Vatican Media)

Hintergrundbericht

Die Falsch­mün­ze­rei der Viola Amherd

Mit ihrer Rück­tritts­an­kün­di­gung vom ver­gan­ge­nen Mitt­woch hat Bun­des­rä­tin Viola Amherd buch­stäb­lich Freund und Feind völ­lig über­rascht, nicht zuletzt ihre engste Entou­rage. Als wenige Tage zuvor, am 6. Januar 2025, Ger­hard Pfis­ter sei­ner­seits den Rück­tritt als Par­tei­chef bekannt gege­ben hatte, wurde gerät­selt, ob er sich für eine Kan­di­da­tur als zukünf­ti­gen Bun­des­rat in Stel­lung brin­gen wolle.

Die Reaktion der Frauen der «Mitte»-Partei erfolgte postwendend. Empört wurde eine solche Spekulation als pietätlos, ja geradezu unverschämt zurückgewiesen – «als wäre ihr Abgang nur eine Frage der Zeit. Dabei gibt es keinerlei Anzeichen von Amtsmüdigkeit bei Amherd. Sie ist weiterhin mit vollem Einsatz für das Land tätig und hat sich gerade erst in ihrem Präsidialjahr als krisenfeste, vorausschauende Politikerin profiliert.»

Was als eine Art Sperrfeuer für die zum Abschuss frei gegebene Bundesrätin gedacht war, sollte sich nur wenige Tage später als schiere Makulatur erweisen: Blamage total. So wollte die Damenriege der «Mitte»-Partei für ihre Nibelungentreue zur abrupt abgetretenen Partei- und Geschlechtsgenossin Amherd nicht blossgestellt werden.

Weshalb dieser Blitz aus heiterem Himmel?
Was Wunder, dass die Mutmassungen über die Gründe des blitzartigen Abgangs von Viola Amherd von der eidgenössischen Politbühne ins Kraut schossen. Mit überaus drastischen Worten reagierte Peter Blunschi auf der Internetplattform «watson.ch»: «Ein Abgang mit gestrecktem Mittelfinger», lautete der Titel seines Kommentars. Die Walliserin habe vom «Job als Verteidigungsministerin offenbar die Nase voll gehabt». Nicht einmal die Frauenfussball-EM im kommenden Sommer habe sie abwarten wollen, «auch deshalb hat man den Eindruck, dass sie mit gestrecktem Mittelfinger abtritt, nach dem Motto ‹LmaA›» (das Kürzel soll auch an dieser Stelle nicht ausgedeutscht werden).

Andere wiederum mutmassten, Amherd habe dem ihr in gegenseitig herzlicher Abneigung verbundenen Parteipräsidenten Pfister eins auswischen wollen. Aufgrund der Tatsache, dass Noch-Bundesrätin Amherd den Noch-Parteipräsidenten erst kurz vor der Öffentlichkeit über ihre Knall auf Fall erfolgte Rücktrittsankündigung informierte, kann dieser Hypothese die Plausibilität nicht rundweg abgesprochen werden.

Wieder andere schliesslich orteten das symbiotische Verhältnis zu ihrer engsten Vertrauten Brigitte Hauser-Süess als eigentliche Sollbruchstelle. Letztere hatte die Bundesrätin während ihrer gesamten Amtszeit auf Schritt und Tritt begleitet, folgte ihr wie ein «Schatten» – so ihr Spitzname in Bundesbern. Als sie Ende September 2024 mit 70 Jahren zwangspensioniert wurde, hatte sie Amherd auf Mandatsbasis bis Ende 2024 weiterbeschäftigt. Das ihr für drei Monate Beratertätigkeit ausbezahlte Salär von 97 000 Franken (= 1140 Franken pro Tag) sorgte in weiten Kreisen der Öffentlichkeit für Empörung. Was letztlich auch immer den finalen Ausschlag für den «Abgang mit dem Mittelfinger» gegeben haben mag, behält Amherd vorerst für sich.

«NZZ»-Redaktorin Christina Neuhaus gibt ihrem Amherd-Porträt den Titel «Die lächelnde Sphinx.» Damit bringt sie das Profil der scheidenden Bundesrätin akkurat auf den Punkt. Wer die am 7. Juni 1962 geborene Viola Amherd für die Politik gewonnen hat – dreimal darf geraten werden – Brigitte Hauser-Süess. Sie konnte die junge Amherd 1990 zur Mitarbeit im Briger CVP-Vorstand motivieren. Von da an ging es steil aufwärts. Bereits drei Jahre später zog sie in die Briger Stadtregierung ein, von 2000 bis 2012 war Amherd deren Präsidentin. 2005 beerbte sie Jean-Michel Cina als Nationalrätin.

Ein WOZ-Porträt, das es in sich hat
Im Vorfeld der im Dezember 2018 fälligen Ersatzwahl für Bundesrätin Doris Leuthard veröffentlichte die linke Wochenzeitung WOZ ein aufschlussreiches Porträt mit dem bezeichnenden Titel «Die doppelte Amherd». Zu Beginn ihrer Politkarriere war im Wallis die Kirche buchstäblich noch im Dorf, das Programm der CVP reflektierte im Wesentlichen die Sozial- und Morallehre der Katholischen Kirche. Amherd hatte anderes im Sinn. Die Freigabe der Abtreibung stand zuoberst auf ihrer politischen Agenda. Ehrlicherweise hätte sie deshalb und nicht nur deshalb bei der SP oder allenfalls bei der FDP anheuern müssen, doch schieres machiavellistisches Machtkalkül bewog sie zum Etikettenschwindel, sprich zum Beitritt der damaligen CVP.

Amherd war nicht die erste Verwandlungskünstlerin dieser Sorte. Judith Stamm aus dem Kanton Luzern hatte es ihr ein Jahrzehnt früher vorgemacht. Freimütig räumte sie ein, nur deshalb der CVP beigetreten zu sein, weil sie damit am schnellsten auf der politischen Karriereleiter aufzusteigen hoffte. Das Kalkül ging auf: Durch parteifremde Zusatzstimmen aus links-feministischen Kreisen schaffte sie zum Verdruss wertkonservativer CVP-Stammwähler regelmässig einen Spitzenplatz auf der Luzerner CVP-Nationalratsliste.

Ihr Abtreibungs-Credo teilte Amherd mit ihrer Mentorin Hauser-Süess. Diese hatte in grandioser Selbstüberschätzung allen Ernstes erwartet, dass sie als «Üsserschwyzerin» von der Waliser CVP als Ständeratskandidatin nominiert würde. Frustriert zog Hauser-Süess ins Exil nach Bern, wo sie bei Bundesrätin Ruth Metzler als Kommunikationschefin des «Bundesamtes für Migration» anheuerte.

Zurück zu Viola Amherd. Ihr WOZ-Porträt entlarvt, mit welcher doppelbödigen Strategie es ihr gelang, von der CVP als Bundesratskandidatin nominiert und vom eidgenössischen Parlament schliesslich zur Bundesrätin gewählt zu werden. An der vorgängigen Versammlung der CVP-Oberwallis empfahl sie Ständerat Beat Rieder, ebenfalls mit einem gerüttelten Mass Machiavellismus gesegnet, zur Nominierung, dies mit der Begründung, Amherd liege zwar gesellschaftspolitisch nicht auf seiner Linie, werde aber in der Landesregierung konsequent und offensiv die Interessen der Bergkantone vertreten, insbesondere punkto Wasserzins und Raumplanung. Deshalb sei Viola Amherd eine «einmalige Chance». Sie hatte sich diese Lorbeeren redlich verdient, die Machtmechanik bestens verstanden und verinnerlicht. So hatte sie rechtzeitig in den Verwaltungsräten der Belalp-Bahnen, der Datennetzgesellschaft Oberwallis und des Kraftwerkbetreibers En Alpin AG Einsitz genommen. Im Parlament kämpfte sie vehement für die Steuerbefreiung von Pistenfahrzeugen.

Opportunistisches Machtkalkül
WOZ-Journalist Joel Widmer bringt dieses opportunistische Machtkalkül wie folgt auf den Punkt: «Den konservativen BerglerInnen ist egal, wenn Amherd für Homoehe und Kinderkrippen eintritt, solange sie noch härter für die Pfründen  der Alpenkantone kämpft.» Die Rechnung ging auf. Mit ihrer woken Gesellschaftspolitik sammelte Amherd Stimmen im linken Lager, mit ihrer Älplermagronen-Ökonomie punktete sie bei Vertretern der Bergkantone. Am 5. Dezember 2018 wurde sie als Nachfolgerin von Doris Leuthard in den Bundesrat gewählt.

In der Folgezeit war Amherd wenig erstaunlich an vorderster Front mit dabei, als die Parteileitung die Eliminierung des als lästigen Hemmschuh taxierten Buchstabens «C» aus dem Parteinamen dekretierte. In einem Interview mit der «Schweiz am Wochenende» vom 21. Dezember 2019 mit dem bezeichnenden Titel «CVP-Bundesrätin Viola Amherd: ‹Ich gehe auch an Weihnachten nicht in die Kirche›» gab sie den Takt vor und «untermauerte» ihre CVP-Demontage gleich mit einem Fake: «Im Tessin hat die CVP diesen Buchstaben schon lange nicht mehr drin, sie heisst dort Partito Popolare Democratico (auf Deutsch: Demokratische Volkspartei).» Dabei trug im Tessin die Partei das «C» zu keiner Zeit in ihrem Namen, sondern nannte sich gleich von Anfang an «Demokratische Volkspartei».

Ganz auf dieser Linie der diffusen Humanitätsduselei mit subkutan anti-christlicher Spitze liegt ihre Finissage als Bundesrätin. Als der französische Staatspräsident Emmanuel Macron Staat- und Regierungschefs aus aller Welt zur offiziellen Wiedereröffnung der neu restaurierten Kathedrale «Notre Dame» einlud, schlug die Bundespräsidentin die Einladung aus, angeblich wegen «Terminzwängen». Die Schweiz glänzte durch Abwesenheit – nicht gerade ein Zeugnis europäischer Solidarität, auf welche Amherd ansonsten vermeintlich so grossen Wert legt. Tatsächlich war ihr die Aufgleisung ihrer peinlichen Selbstinszenierung im Hinblick auf die Verkündigung des Abkommens mit der EU kurz noch vor dem Ende ihrer Amtsdauer als Bundespräsidentin wichtiger.

Viola Amherd: eine Opportunistin? Eine Machiavellistin? Eine Sphinx? Eine Falschmünzerin? Jede dieser Zuschreibungen trifft irgendwie zu. Am meisten wohl letztere, denn der berühmteste Falschmünzer der Schweiz, Joseph-Samuel Farinet, trieb sein Unwesen im Wallis, wo er noch heute Kultstatus geniesst.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Peter Schweizer 23.01.2025 um 13:00
    Von der CVP ist längst nur noch das "P" übrig geblieben. Das "C" wurde abgeschafft. Den Volkswillen - das "V" - vertritt sie auch nicht mehr. Also bleibt nur noch das "P".
    Und Amherd hat nicht einmal mehr auf die eigene "P" Rücksicht genommen. Die "P" steht heute für nichts mehr, für das ich sei einst gewählt habe.
  • user
    Martin Meier-Schnüriger 18.01.2025 um 12:24
    So viel zum Thema "katholische Bundesräte", das kürzlich bei swiss-cath.ch behandelt wurde! Dass die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Viola Amherd katholischer politisieren wird, ist leider ein frommer Wunsch. Aber schon der hl. Augustinus wusste, dass die "Civitas Dei", der Gottesstaat, nicht auf Erden verwirklicht werden kann; dazu ist die menschliche Natur zu gebrochen.
  • user
    Ferdi25 17.01.2025 um 22:19
    Die von Niklaus Herzog verwendete Charakterisierung
    "Älplermagronen-Ökonomie" verdient eine Auszeichnung.

    Ich beteilige mich spontan an einer Auszeichnung
    mit einer bescheidenen Spende von echten 100 Fr. an swiss-cath.ch.
  • user
    Heinz Meier 17.01.2025 um 15:39
    Fulminantes Portrait, gut informiert und mit brillanter Menschenkenntnis unterlegt: Gratuliere!