(Bild: zVg)

Interview

«Die Kir­che ist nie ihrer Zeit hin­ter­her, son­dern trägt ihr das Licht Christi voran»

Der frü­here Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­tion, Ger­hard Lud­wig Kar­di­nal Mül­ler, darf heute sei­nen 75. Geburts­tag fei­ern. Aus die­sem Anlass führte swiss​-cath​.ch ein Inter­view mit dem uner­schro­cke­nen Ver­tei­di­ger des katho­li­schen Glaubens.

Eminenz, zuerst gratulieren wir Ihnen zu Ihrem 75. Geburtstag und wünschen Ihnen Gottes Segen. Ein solcher Geburtstag lädt ein, auf das Leben zurückschauen. Wofür sind Sie dankbar?
Zuerst meinen Eltern, dass sie mir das Leben geschenkt haben und Gott, der mich gläubigen Menschen anvertraut hat, die mich gelehrt haben, dass ich durch die Schöpfung und Erlösung Kind Gottes und zum ewigen Leben berufen bin.

Gibt es etwas, von dem Sie heute bedauern, es nicht getan zu haben?
Wir bekennen im «Confiteor», dass wir in Gedanken, Worten und Werken durch eigene Schuld gesündigt haben, aber auch durch die Unterlassung des Guten inklusive der nicht genügenden Entfaltung der von Gott empfangenen Talente und Charismen. Im Ganzen habe ich versucht, den Weg der Nachfolge Christi zu gehen. Vor Gottes Richterstuhl gibt es keine Selbstrechtfertigung, sondern nur das Vertrauen auf seine Vergebung und seine überreiche Gnade. Die grosse Lebensentscheidung, die Berufung zum Priestertum und die dazugehörige zölibatäre Lebensform anzunehmen, habe ich nie bereut und würde sie auch unter den heutigen Umständen wieder so treffen. Menschen können enttäuschen und enttäuscht werden. Jesus Christus, der Sohn Gottes, bleibt sich und uns immer treu.

Sie werden für Ihre Glaubenstreue immer wieder kritisiert – selbst von Katholikinnen und Katholiken. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?
Jesus hat seinen Jüngern verheissen, dass sie um seines Namens willen verfolgt und verleumdet werden. Kritik ist die geistige Fähigkeit zu differenzieren. Etwas anderes ist die persönliche Diffamierung. Der Ideologe verrät sich dadurch, dass er die Person seines Gegenübers diffamiert, statt in der Sache zu argumentieren. Die selbst ernannten Progressisten halten sich bei mir mit philosophischen oder theologischen Argumenten auffallend zurück und meinen mit Propagandaparolen oder persönlichen Anwürfen die Kontrolle über den Diskurs und die veröffentlichte Meinung zu gewinnen.

Als Bischof von Regensburg und später als Präfekt der Glaubenskongregation waren Sie nah am «Puls» der Kirche. Welche Entwicklung(en) der Kirche haben Sie in dieser Zeit wahrgenommen?
Wenn alle Katholikinnen und Katholiken die Kirche als Gottes Stiftung verstehen, mit dem Auftrag als Sakrament des Heils der Welt der Menschheit zu dienen, dann würden sie auch die notwendige kritische Rolle der Kirche gegen den Trans- und Posthumanismus begreifen. Sind wir nur ein Zufallsprodukt einer blinden Natur oder von Gott geschaffen nach seinem Bild und Gleichnis – das ist die Frage am Scheideweg der heutigen Weltgesellschaft. Christus ist das Licht und die Kraft, um das Geheimnis des Menschen zu verstehen und in Zeit und Ewigkeit zu bestehen.

Die Katholische Kirche in Mitteleuropa erlebt seit einigen Jahren eine Austrittswelle. Wo sehen Sie – neben der Aufdeckung der Missbrauchsfälle – Gründe für diese Austritte?
In die Kirche als Leib Christi sind wir durch Gottes Gnade berufen und durch die Taufe werden wir Glieder an diesen geistlichen Organismus, der uns die Lebensgemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott vermittelt. Wer die Kirche als eine von Menschen gestiftete Religionsgemeinschaft oder als innerweltliche Hilfsorganisation missversteht, wird aus Protest oder Desinteresse austreten, wenn ihm die dort leitenden Personen missfallen oder wenn er ihr ideologisches oder politisches Programm nicht mehr mitvollziehen kann. Die Kirche ist in Christus heilig, auch gerade in ihrem Glaubensbekenntnis, ihrer Liturgie und den sieben Sakramenten oder der Einrichtung ihrer apostolischen Lehrautorität. Aber solange wir noch auf dem Pilgerweg sind, können die Menschen in ihr – von den Laien bis zu den Priestern und bis zum Papst – durch ihre Schwächen oder durch Skandale Ärgernis verursachen und den Glauben vieler Mitchristen gefährden. Deshalb heisst es ja: Es müssen Ärgernisse kommen, aber wehe dem, der sie verursacht und der dadurch die Glaubwürdigkeit der Kirche verdunkelt.

Weihbischof em. Marian Eleganti erwartet in einem Beitrag auf swiss-cath.ch von der kommenden Synode nichts Gutes. Es würden alte Ladenhüter aus den 70er-Jahren aufgetischt und propagiert, so die Forderung nach der Revision der Sexuallehre der Kirche, der Einführung des Frauenpriestertums, dem Zugang zu allen kirchlichen Ämtern unabhängig vom Beziehungsstatus. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Diese Fragen können nur aus der geoffenbarten Glaubenslehre der Kirche beantwortet werden. Sie vom Zeitgeist abhängig zu machen oder sie den Machtspielen von Ideologen auszuliefern, kann nur zum Schaden der Kirche des dreifaltigen Gottes sein, die eben Gott und nicht ein Funktionärsgremium zum Souverän hat. Wie oft haben sich die Mehrheitsideologien schon geirrt. Die Kirche ist nie ihrer Zeit hinterher, sondern trägt ihr das Licht Christi voran. Der grosse Held der aufklärerischen Popularphilosophie, Voltaire, meinte, es sei mit der historischen Kritik unvereinbar, an der Gottheit Christi festzuhalten. Aber wir glauben noch heute zurecht, dass kein Mensch oder eine geschaffene oder technisch und sozial konstruierte Wirklichkeit, sondern nur Gott uns erlösen und die Welt retten kann, der in seinem wesensgleichen Sohn, in Jesus Christus, unsere menschliche Natur angenommen hat. Wir können das inkarnatorische Heil nicht ersetzen durch ein Kultur- oder Humanitätschristentum.

Es fällt dabei auf, dass sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland selbst Bischöfe nicht mehr theologisch argumentieren, sondern ihre Forderungen mit der Lebenswirklichkeit von heute zu begründen versuchen.
Das ist eben die Zerstörung der Kirche von innen heraus, wenn man nicht mehr glaubt, dass durch Gott der Mensch wirklich sein Leben empfängt und mithilfe der Gnade die Natur, also unser ganzes Dasein und Wesen, vollendet werden kann. Diese kranke Ideologie vom Vorrang des faktischen Verhaltens der Menschen vor ihrer höheren Berufung (durch Umkehr und Erneuerung im Heiligen Geist) kann nur aus der atheistischen Leugnung der Existenz des lebendigen Gottes kommen und führt in den anthropologischen Nihilismus nach dem Motto: Lasst uns Essen und Trinken und das Leben geniessen, denn morgen sind wir tot und es gäbe danach keinen Richterstuhl Gottes, vor dem wir erscheinen müssten.

Einige Bischöfe haben erklärt, in ihren Diözesen Neuerungen einzuführen, «ohne auf Rom zu warten». Ebenso wurde die Idee geäussert, aufgrund der «Ungleichzeitigkeit» innerhalb der Kirche für die Kontinentalkirchen unterschiedliche Lösungen zu suchen. Steht die Kirche vor einem Schisma?
Das sind alles selbstverliebte und aufgeblasene Gedankenspiele, die nur den Ungehorsam des Glaubens und die völlig unkirchliche Gesinnung ihrer Protagonisten verschleiern sollen. In der universalen Kirche gibt es nur den einen geoffenbarten Glauben, der die Völker im Heiligen Geist verbindet – nur in der kulturellen Aneignung gibt es eine Vielfalt der Stile. Aber die Substanz der Sakramente ist in allen Riten die gleiche. Christus ist nicht für die Afrikaner in der Eucharistie real gegenwärtig und für die europäischen Mitglieder der Synodalen Wege nur «symbolisch», sodass eine Kniebeuge vor Christus im Tabernakel nicht ein Zeichen der Anbetung, sondern nur eine Turnübung wäre. Es gilt festzuhalten an der Lehre der Apostel im Glauben und der Moral.

Sie sind weltkirchlich gut vernetzt. Wo sehen Sie positive Entwicklungen, die auch den Gläubigen in Mitteleuropa Mut machen können?
Es gibt viele, auch junge Menschen, die sich nicht von falschen Lehren in die Irre führen lassen, sondern bereit sind, den schmalen Weg zu gehen, der den Abgrund der Gottlosigkeit vermeidet. Wer Christus nachfolgt, fährt im ideologischen Sinn weder rechts oder links in den Graben, sondern geht den geraden Weg, den der gute Hirte immer hinlenkt auf das einzig wahre Ziel der Erkenntnis der Wahrheit Gottes und seines Heils, das er allen Menschen bereitet hat.

Der heutige Geburtstag lädt natürlich auch dazu ein, in die Zukunft zu blicken. Was wünschen Sie für sich selbst und was für die Kirche?
In diesem Alter soll man für sich um eine gute Sterbestunde beten, wann immer sie kommen mag. Aber vor allem wünsche ich in meinen Gebeten, dass Gott seine sakramentale Kirche auch in dieser Zeit der aggressiven Dechristianisierung ihre Mission erkennen und ausüben lehrt, dass sie in Christus das Zeichen und das Werkzeug für die innigste Vereinigung der Menschen mit Gott ist wie auch für die Einheit der Menschheit in Glaube, Hoffnung und Liebe.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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