Symbolbild. (Bild: Christopher Beloch/Unsplash)

Neuevangelisierung

Die Liebe Got­tes in der Welt sicht­bar machen

Im Zen­trum der Kapi­tel 72 bis 83 des Nach­syn­oda­len Schrei­bens «Vita con­se­crata» steht der Auf­trag Christi zur Evan­ge­li­sie­rung mit beson­de­rem Augen­merk auf die Inkulturation.

Alle Christinnen und Christen sind gerufen, in der Nachfolge Jesu Christi das Evangelium zu verkünden und das Reich Gottes aufzubauen. Diese Sendung gilt insbesondere für alle, die in der Form des geweihten Lebens dazu berufen sind, Christus gleichförmig zu werden.

Das geweihte Leben hat die prophetische Aufgabe, dem Plan Gottes zur Rettung der Menschheit zu dienen. Um diesen Dienst leisten zu können, müssen die Personen des geweihten Lebens eine tiefe Gotteserfahrung haben und die Herausforderungen der Zeit erkennen. «In der Tat verbirgt sich in den geschichtlichen Ereignissen oft der Anruf Gottes, nach seinem Plan durch eine aktive und fruchtbare Einbeziehung in die Belange unserer Zeit zu wirken.» Für die Unterscheidung der Zeichen der Zeit braucht es den Beistand des Heiligen Geistes. «Er ruft das geweihte Leben, auf die neuen Probleme der Welt von heute neue Antworten zu erarbeiten. Das sind göttliche Mahnungen, die nur Menschen, die gewohnt sind, in allem den Willen Gottes zu suchen, getreu aufzunehmen und dann mutig in Entscheidungen umzusetzen vermögen» (Vita consecrata 73).

Jesus im Antlitz der Mitmenschen sehen
Bei der Fusswaschung enthüllt Jesus den Sinn des christlichen Lebens, besonders des geweihten Lebens: Es soll ein Leben «hingebungsbereiter Liebe, konkreten und selbstlosen Dienstes» sein, vor allem ein Leben im Dienst an den Ärmsten und Bedürftigsten. «Die Suche nach der göttlichen Schönheit veranlasst die Personen des geweihten Lebens dazu, sich für das in den Gesichtern von Brüdern und Schwestern entstellte göttliche Abbild zu sorgen, Gesichter, die durch Hunger verzerrt, Gesichter, die von politischen Versprechungen enttäuscht sind, gedemütigte Gesichter, die die Schmähung ihrer Kultur erleben, erschrockene Gesichter angesichts täglicher und wahlloser Gewalt, verängstigte Gesichter von Minderjährigen, Gesichter beleidigter und gedemütigter Frauen, müde Gesichter von Emigranten, die keine würdige Aufnahme finden, Gesichter alter Menschen ohne geringste Voraussetzungen für ein würdiges Leben» (VC 76).

Missionarische Kirche
Jesus hat seinen Jüngern nicht nur die Füsse gewaschen, er hat ihnen auch den Auftrag gegeben: «Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!» (Mk 16,15). Die Liebe, die Gott zu allen Menschen hat, sollen auch alle Menschen erfahren dürfen, deshalb ist die Kirche immer missionarisch. Dabei haben die Personen des geweihten Lebens die Aufgabe, «auch unter den Nichtchristen den keuschen, armen, gehorsamen, betenden und missionarischen Christus gegenwärtig zu machen» (VC 77).

Papst Johannes Paul II. ist davon überzeugt, dass «der Glaube stark wird durch Weitergabe, die Mission das geweihte Leben stärkt, ihm neue Begeisterung und neue Motivationen verleiht und es zur Treue anspornt» (VC 78). Die Missionstätigkeit bietet die Möglichkeit zur apostolischen Tätigkeit. Dabei kann eine wertvolle Evangelisierungsarbeit entfaltet werden «im Hinblick auf die Umgebung, die Strukturen und sogar auf die Gesetze, die das Zusammenleben regeln» (VC 78). Gerade in Ländern, in denen nichtchristliche Religionen vorherrschen, gewinnt die Anwesenheit des geweihten Lebens durch ihre erzieherischen, karitativen und kulturellen Tätigkeiten an Bedeutung, aber auch durch ihre kontemplativen Anteile. Deshalb soll auch die Gründung von kontemplativen Gemeinschaften gefördert werden.

Die Frage der Inkulturation
Die Verkündigung Christi hat die Bekehrung der Menschen zum Ziel, d. h. die volle und ehrliche Zustimmung zu Christus und seinem Evangelium. In der Mission stellt sich hier die Frage nach der Inkulturation und dem interreligiösen Dialog. Dabei bedeutet Inkulturation nicht, einfach alles zu übernehmen – im Gegenteil: «Voraussetzung dafür sind ernsthafte persönliche Vorbereitung, reifes Unterscheidungsvermögen, treues Festhalten an den unverzichtbaren Kriterien für die Rechtgläubigkeit in der Lehre sowie für die Authentizität und kirchliche Gemeinschaft» (VC 79).

Die Frauen und Männer des geweihten Lebens sind gut für die oft mühsame Arbeit der Inkulturation geeignet, da sie daran gewöhnt sind, die eigene Kultur und gesellschaftlichen Strömungen mit Abstand und aus der Sicht Jesu Christi zu betrachten.

Papst Johannes Paul II. ist davon überzeugt, dass das authentisch gelebte geweihte Leben einen wichtigen Beitrag zur Inkulturation leisten kann. Denn das geweihte Leben trägt in sich die Werte des Evangeliums. «Da es in der Tat ein Zeichen für den Vorrang Gottes und seines Reiches ist, wird es zu einer Provokation, die im Dialog das Gewissen der Menschen aufrütteln kann» (VC 80). Das geweihte Leben kann als Sauerteig zur Reinigung und Entwicklung einer Kultur beitragen, z. B. wenn es die gleiche Würde aller Menschen vermitteln kann oder die Notwendigkeit einer guter Bildung für alle Kinder usw.

In der Geschichte finden sich zahlreiche heilige Frauen und Männer, die es verstanden, «jeweils in ihre Zeit einzutauchen, ohne sich von ihr untertauchen zu lassen» und dabei ihrer Generation neue Wege aufzeigten. Viele Stifterinnen und Stifter haben Forderungen ihrer Zeit aufgegriffen und ihre Antwort darauf gegeben, die dann zu einem kulturellen Erneuerungsvorschlag geworden ist, denken wir z. B. an den heiligen Franziskus und sein Armutsideal oder aktueller Mutter Theresa, die sich für die Würde aller Menschen einsetzte.

Umgekehrt kann das geweihte Leben durch die in den verschiedenen Zivilisationen entdeckten Werte angespornt werden, «den eigenen Eifer zur Betrachtung und zum Gebet zu erhöhen, das gemeinschaftliche Miteinander und die Gastfreundschaft intensiver zu praktizieren sowie mit grösserer Aufmerksamkeit die Achtung vor der Person und vor der Natur zu pflegen» (VC 79).

In vielen alten Kulturen ist der religiöse Ausdruck so tief integriert, «dass die Religion oft die transzendentale Dimension der Kultur selbst darstellt» (VC 79). Hier ist eine echte Inkulturation «notwendigerweise mit einem ernsthaften, offenen interreligiösen Dialog verbunden», der aber nicht von der Verkündigung des Evangeliums entbindet.

Einsatz für die Armen und für Gerechtigkeit
In der heutigen Welt braucht es überall die Begegnung mit überzeugten und überzeugenden Christinnen und Christen. «Die Personen des geweihten Lebens sind aufgrund ihrer besonderen Berufung dazu aufgerufen, die Einheit zwischen Selbstevangelisierung und Zeugnis, zwischen innerer Erneuerung und apostolischem Eifer, zwischen Sein und Handeln sichtbar werden zu lassen, indem sie herausstellen, dass der Dynamismus stets aus dem ersten Element der Wortpaare herrührt» (VC 81). Evangelisierung ist nur dann glaubwürdig, wenn die Menschen glaubwürdig leben, was sie verkünden.

Johannes Paul II. weist am Ende des Kapitels auf die Wichtigkeit des Einsatzes für die Armen und für die Gerechtigkeit hin. Zu Beginn seines öffentlichen Wirkens sagt Jesus in der Synagoge von Nazaret, der Geist habe ihn gesalbt, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe, den Gefangenen die Entlassung verkünde, den Blinden das Augenlicht zurückgebe, die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe (vgl. Lk 4,16-19). Die Kirche hat den Auftrag, das Evangelium zu verkünden und so Sorge zu tragen für das vollständige Heil aller Menschen. Doch aufgrund der Aussage Jesu setzt sie sich besonders für die Armen und Schwachen ein: für «die Unterdrückten, die Ausgegrenzten, die Alten, die Kranken, die Kleinen und alle, die als ‹Letzte› in der Gesellschaft angesehen und behandelt werden» (VC 82). Zu dieser «Option für die Armen» sind alle Jünger Christi verpflichtet, besonders jene des geweihten Lebens, das dem Herrn in einer engeren Verbindung nachfolgt. Sie sollen dem in den Armen gegenwärtigen Herrn dienen.

Die im Gesundheitswesen tätigen geweihten Frauen und Männer sind aufgerufen, durch die Vermittlung der Werte des Evangeliums das Leben, das Leiden und das Sterben der Menschen unserer Zeit zu erleuchten. So sollen sie sich der Humanisierung der Medizin und der Vertiefung der Bioethik widmen und vor allem die Achtung vor der Person und vor dem menschlichen Leben – von der Empfängnis bis zum natürlichen Ende – fördern.
 

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der zehnten Sendung in der Serie «Das geweihte Leben» auf Radio Maria. Die Sendung in voller Länge kann unter diesem Link angehört werden.

Die Sendung «Das geweihte Leben» ist eine Ko-Produktion von Radio Maria und swiss-cath.ch. Sie wird monatlich auf Radio Maria ausgestrahlt. Zeitgleich wird jeweils auf swiss-cath.ch eine Zusammenfassung der Sendung publiziert.

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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    Fleischer Stefan 18.10.2023 um 17:01
    Übrigens
    Ich war heute im Walfahrtsort Melchtal. Auf dem Altartuch war der Spruch gestickt:
    "Wer hier mit dem Kreuze geht, wird jubeln, wenn er aufersteht",
    für einen modernen Katholiken wohl fast so etws wie eine Häresie,
    für mich der Glaube meiner Jugend.
  • user
    Fleischer Stefan 17.10.2023 um 13:06
    Zum vollständigen Heil aller Menschen gehört ganz entscheidend auch das ewige Heil der Seele, das uns der Herr durch sein Kreuzesopfer wieder erschlossen hat. «Ich verspreche Ihnen nicht, Sie in dieser Welt glücklich zu machen, sondern in der anderen.» erklärte die Madonna in Lourdes an Bernadette. Doch diese «andere Welt» interessiert unsere moderne Verkündigung nicht mehr.