Laureline Bocken, belgische Schwester der Gemeinschaft «Chemin Neuf», lebte zwei Jahre in Burundi. Überzeugt von der Bedeutung der Märtyrer von Buta, schrieb sie im Rahmen ihres Theologiestudiums in Fribourg ihre Masterarbeit über diese Ereignisse. Nun wurde die Arbeit in Buchform publiziert. Silvan Beer traf sich mit Laureline Bocken zum Gespräch über ihren Weg nach Burundi, die Märtyrer von Buta und die faszinierende gegenseitige Befruchtung des Christentums und der afrikanischen Ubuntu-Kultur.
Warum sind Sie nach Burundi gekommen und was waren Ihre Erfahrungen, als Sie in diesem Land lebten?
Ich kam als Ordensschwester der Gemeinschaft «Chemin Neuf»nach Burundi. Da die Gemeinschaft in etwa 30 Ländern vertreten ist, können wir in das eine oder andere Land wie Burundi in die Mission geschickt werden. Im Kontakt mit Burundiern und Burundierinnen zu leben, war sehr bereichernd für mich. Ich lernte dort: Der andere verweist mich auf das, was ich bin (meine Persönlichkeit, meine familiären Wurzeln) und auf das, was ich nicht bin, und ich verweise ihn auf das, was er ist und nicht ist. Das, was ist, anzunehmen, die Vielfalt zusammenzubringen, aufrichtig zu sein, seine Stärken und Schwächen zu entdecken – all das lädt dazu ein, Barmherzigkeit zu leben, um in einer versöhnten Vielfalt anzukommen. Heute habe ich echte Brüder und Schwestern in Burundi: Freunde, Menschen, auf die ich in jeder Situation zählen kann.
War man sich während des Bürgerkriegs 1997 bewusst, dass auch das Seminar akut bedroht war?
Mir scheint, dass in der Region eine echte Spannung herrschte, und alle ahnten, dass ein Angriff stattfinden könnte. Zacharie Bukuru, der damalige Rektor, war sich der Bedrohung bewusst und traf sich am Tag vor dem Angriff mit dem Militär, um sich zu vergewissern, dass Verstärkung anwesend war. Als er am Abend zurückkehrte, versammelte er alle Schüler und beruhigte sie, indem er ihnen die Anwesenheit des Militärs bestätigte. Der Generalstab hatte das Militär zwar nach Buta geschickt, um die Schüler zu schützen und die Schule zu sichern, doch der Kommandant des Lagers in Bururi hatte beobachtet, dass sich die Rebellen in Richtung Süden bewegten, und befahl dem Militär, im Lager in Bururi zu bleiben, anstatt in der Nacht nach Buta zu gehen. Er war der Ansicht, dass die Rebellen Buta und Kiremba nicht gleichzeitig angreifen würden, da die beiden Städte auf der gegenüberliegenden Seite eines Flusses lagen. In Wirklichkeit marschierten die Angreifer die ganze Nacht hindurch, um Buta anzugreifen.
Was geschah an diesem Tag im Seminar Saint Paul?
Am 30. April 1997 drangen bewaffnete Angreifer in das Kleine Seminar Saint Paul in Buta ein und befahlen den Jugendlichen im Alter von 16 bis 24 Jahren mit Gewalt, sich nach ihrer ethnischen Identität zu trennen, Hutu auf der einen und Tutsi auf der anderen Seite. Die Jugendlichen widersetzten sich kategorisch dieser Aufforderung um den Preis ihres Lebens. 40 von ihnen wurden massakriert und 40 verwundet.
Wie kam es dazu, dass sich diese jungen Menschen unter Androhung von Gewalt und Tod dem Befehl widersetzten und solidarisch blieben?
Es war weder eine Notwendigkeit noch gab es eine vorausschauende Vorbereitung. Niemand kann junge Menschen darauf vorbereiten, zusammenzustehen, wenn sie mit dem Tod bedroht werden. Diese Solidarität kam völlig unerwartet.
Doch schon 1995, als politische Spannungen das Land erschütterten und die Schulen geschlossen wurden, entschied sich Zacharie Bukuru dafür, Momente des Austauschs zu organisieren, um einen Prozess der inneren Transformation zu fördern. Er ermutigte die Schülerinnen und Schüler, miteinander zu sprechen, ihre Emotionen, Gefühle und Vorurteile auszudrücken. Gemeinsame Aktivitäten wie Sport, traditionelle Tänze, landwirtschaftliche Arbeit, trugen ebenfalls dazu bei, ihre Einheit zu stärken. Zacharie Bukuru drückt es in seinem Buch «Les quarantes jeunes martyrs de Buta. Frères à la vie, à la mort» (Seite 209-210) so aus: «Wir haben lange für die Bekehrung unserer Herzen und Sitten und für den Frieden gebetet. Das Ergebnis nach Zeiten des harten Kampfes war überraschend. Ich sah vor meinen Augen etwas wachsen, was ich in einer Jugendgemeinschaft selten bemerkt hatte: die brüderliche Zärtlichkeit zwischen denen, die sich noch vor einiger Zeit unter dem Einfluss der Todesangst gegenseitig für Feinde gehalten hatten. Das Gesicht eines jeden wurde spürbar weicher.»
In Ihrem Buch betonen Sie den pädagogischen Weg, der im Seminar gepflegt wurde. Welche Rolle spielt dabei die afrikanische Kultur des Ubuntu, und wie hat sich im Seminar diese Tradition mit dem christlichen Glauben verbunden?
Unsere Entfaltung als Menschen geschieht im Kontakt mit anderen. Erst in der Beziehung zum Nächsten entdeckt sich der Mensch wirklich selbst. Die afrikanische Philosophie Ubuntu zielt auf eine erfüllte, vollendete Menschlichkeit ab. Ubuntu betont die Anerkennung des Eigenwerts jedes Menschen und die zwischenmenschliche Vernetzung. Die Wiederentdeckung ihrer burundischen Kultur durch das Prisma des Ubuntu, welches das Rückgrat dieser Kultur bildet, offenbarte den Jugendlichen von Buta ungeahnte innere Reichtümer, stärkte sie in ihrer Menschlichkeit und inspirierte sie dazu, Brückenbauer zu werden. Diese jungen Menschen haben sich den christlichen Glauben in ihrer eigenen Kultur angeeignet. Ihre persönliche Begegnung mit Jesus Christus spielte eine entscheidende Rolle in ihrer menschlichen und sozialen Reifung und markierte einen bedeutenden Wendepunkt auf ihrem Weg: Eine spirituelle und menschliche Wandlung im Zentrum ihrer Erziehung führte dazu, dass sie zu Empfängern des Heiligen Geistes und Garanten des christlichen Ubuntu wurden.[1]
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