Weihbischof Wolodymyr Hruza predigte in Einsiedeln über den Frieden, die Wahrheit und die Kraft des Gebets (Bild: Kirche in Not/ACN).

Interview

«Die Men­schen sagen, Gott ist unsere ein­zige Hoffnung»

Am Sonn­tag, dem 21.05.2023 rief das Hilfs­werk «Kir­che in Not (ACN)» zur gros­sen Wall­fahrt nach Ein­sie­deln auf, um für den Frie­den in der Ukraine zu beten, die hei­lige Mut­ter­got­tes um Bei­stand für die Ukraine anzu­ru­fen und sich über die Fol­gen des Krie­ges aus­zu­tau­schen. Einer der Gäste und Haupt­ze­le­brant der Messe war der griechisch-​katholische Weih­bi­schof Wolo­dy­myr Hruza aus Lwiw in der Ukraine. Swiss​-cath​.ch hat den Bischof vor dem Got­tes­dienst zum Gespräch getroffen.

Herr Weihbischof Hruza, auf welcher Route sind Sie und Weihbischof Petro Loza aus der Ukraine nach Einsiedeln gekommen?

Weihbischof Wolodymyr Hruza: Wegen der Luftgefahr fliegen momentan keine Flugzeuge in der Ukraine. Daher sind wir mit dem Auto gekommen, über Polen, Tschechien, Österreich. In Oberösterreich haben wir im Redemptoristenkloster übernachtet. Am nächsten Tag fuhren wir direkt hierher.

Das klingt abenteuerlich! Ein Roadtrip von zwei ukrainischen Bischöfen durch halb Europa.

Wissen Sie, für uns ist das normal. In der Ostukraine fahren die Bischöfe sehr viel mit dem Auto, weil ihre Gebiete sehr weit entfernt sind. Für uns ist die Reise so praktischer, weil wir flexibel sind und unterwegs alle möglichen Menschen treffen können.

Was sind Ihre weiteren Pläne? Geht es zurück in die Ukraine?

Nein, zuerst fahren wir weiter nach Eichstädt. Dort im Kollegium Orientale wollen wir unsere Studenten besuchen. Danach geht’s nach München und zum Hauptsitz von Kirche in Not in Königstein. Schliesslich noch nach Innsbruck, wo wir studiert haben. Wenn man schon die Ausreisegenehmigung hat, muss man das ausnutzen. Wenn wir in die Ukraine zurückgehen, brauchen wir eine neue Genehmigung, um wieder ausreisen zu können.

Ukrainische Männer unter 60, die weniger als drei Kinder haben, dürfen das Land gegenwärtig nicht verlassen, weil sie in die Armee eingezogen werden können. Das gilt auch für Bischöfe?

Ja, die Möglichkeit, an die Front zu müssen, ist immer da. Deswegen war die Beschaffung der Ausreisegenehmigung etwas kompliziert. Jeder Bürger ist verpflichtet, sein Land zu verteidigen. Aber wir versuchen für Priester einen Dispens zu bekommen. Denn die Begleitung der Menschen, Sozialdienst, Seelsorge, Sakramente usw. sind alles auch wichtige Aufgaben in der Arbeit für den Sieg. Und nach dem Krieg müssen auch die seelischen Wunden geheilt werden. Die Ärzte machen ihre Arbeit gut. Sie kümmern sich um die körperlichen Wunden. Aber um die Heilung der Psyche, um die Seelsorge kümmern sich die Priester. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass die Bevölkerung plötzlich ohne Priester dasteht, weil alle einberufen worden sind. Wer wird dann all die Toten begraben und deren Familien begleiten?

Wie kann man sich das vorstellen, Bischof und Soldat zugleich zu sein?

Das ist schwierig, denn wir sollen und dürfen keine Waffen tragen und jemandem etwas antun. Das ist undenkbar. Deswegen wirken Priester als Militärkaplane. Das heisst, die Priester an der Front kämpfen nicht, aber gewährleisten die Begleitung und Sakramente für die Soldaten.

Es gibt einige Soldatenheilige wie Johanna von Orleans, Georg, Sebastian und Mauritius. Können deren Leben den Soldaten ein Vorbild sein?

Nicht viele Soldaten kennen diese Heiligen, aber sie spüren, dass da eine höhere Macht ist, die sie beschützt und führt.

Können sie an der Front Eucharistie feiern?

Ja, unsere Kapläne spenden die Sakramente auch an der Front, soweit das möglich ist. Man schafft sich die Gelegenheit dafür und wenn es irgendwo in einem Bunker sein muss.

Und wie steht es über ein Jahr nach Kriegsausbruch um Leib und Seele des ukrainischen Volkes?

Da sind gemischte Gefühle. Es ist ein wenig so wie bei Ostern. Ostern ist ein Fest der Freude mitten unter grossem Leid. Das Leid, das dieser Krieg über uns gebracht hat, ist immer da und das schmerzt. Aber anderseits hat das Volk Hoffnung und Glauben. Und deswegen steht das ukrainische Volk als Nation noch. Es ist ein grosses Wunder, dass wir als Volk noch existieren.

Das Volk hat sich gerade in der Gefährdung als stark gezeigt. Spielt da das Christentum eine Rolle?

Wissen Sie, die Pandemie hat die Menschen aus der Kirche vertrieben. Der Krieg hat sie in die Kirche zurückgebracht. Der Mensch sucht Zuflucht und die Kirche ist für viele ein sicherer Ort. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass die Menschen nun sagen würden: «Wieso lässt Gott das zu? Warum brauche ich ihn?» Aber die Menschen verlassen die Kirche nicht, das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen sagen, Gott ist unsere einzige Hoffnung. So hört man oft von den Soldaten, dass es an der Front keine Atheisten gibt. Ohne Glauben sieht man dort nur seine eigene Ohnmacht. Das Glaubensleben geht auch im Krieg weiter. Menschen werden seelsorgerlich betreut, Kinder werden geboren und getauft. Ehen werden geschlossen. Ja sogar mehr Ehen als vor dem Krieg. Der Krieg hat uns Einfachheit gelehrt. Wir haben gelernt, mit einfachen Dingen zurechtzukommen. Früher hat man auf eine grosse Hochzeit gewartet und dafür gespart. Jetzt heiraten die Menschen einfach, weil sie sich lieben.

Wir in der Schweiz leben so weit weg von der Front. Wie können wir konkret dem ukrainischen Volk beistehen?

Ich glaube, die Front ist überall da. Das ist nicht nur eine Wunde des ukrainischen Volkes. Es ist eine Wunde der ganzen Welt. Dieser Krieg betrifft alle. Menschen müssen in andere Länder flüchten. Wenn Russland verhindert, dass die Ukraine Korn ausliefert, führt das zu Hunger in anderen Teilen der Welt. Das ist auch eine Front, wenn die Menschen hungern. Es gibt genug Essen auf der Welt, aber künstlich wird Menschen der Zugang dazu verwehrt. Das ist auch ein Krieg. Korn wird zur Waffe. Die Wahrheit ist ein Opfer des Krieges. Die Front verläuft auch durch die Medien. Von zentraler Bedeutung ist, wie man über den Krieg berichtet: Steht man für die Wahrheit oder für die Lüge? Die Front ist überall.

Der Wahlspruch auf Ihrem Bischofswappen heisst: «Милосердя і радість» (Barmherzigkeit und Freude). Wie können wir uns in einer solchen Welt stärker für Barmherzigkeit, Freude und Wahrheit einsetzen?

Dieser Wahlspruch ist keine theologische Überlegung, die auf dem Schreibtisch entstanden ist. Der kommt aus der Begegnung mit Menschen. Ich lade alle ein, in die Ukraine zu kommen. Gehen sie auf den Friedhof. Blicken sie Waisenkindern in die Augen oder Müttern, die ihre Söhne verloren haben; Frauen, die ihre Männer verloren haben. In diesen Augen sieht man die Wahrheit ganz deutlich.

Und wo nehmen Sie die Freude her in diesen Zeiten?

Die kommt vor allem aus dem Leben mit den Sakramenten. Wir können und müssen uns da nichts Neues ausdenken. Eucharistie, Kommunion, Beichte. Die Kirche ist kein blosses Sozialwerk. Sie hat tiefere Schätze, woraus man Freude schöpfen kann. Die Sakramente und das Gebet führen uns zu Gott. Gerade im heutigen Evangelium spricht Christus davon, dass er seine Kraft aus der Einheit mit dem Vater schöpft. Die Kirche ist der Ort, an dem dies ausgedrückt wird.

Gibt es einen Austausch mit russisch-orthodoxen Menschen, die gegen den Krieg sind? Sehen Sie im gemeinsamen Glauben eine Möglichkeit zur Verständigung?

Es ist schwierig, gegenwärtig von einem Dialog zu sprechen. Wir haben jetzt alle Mühe damit, uns zu verteidigen. Man darf in Kriegszeiten seine Energie nicht verlieren. Es ist jetzt nicht der Ort und die Zeit, etwas untereinander zu klären.

Alles hat seine Zeit, wie es im Buch Kohelet heisst.

Genau. Wir kämpfen jetzt für unser Überleben. Es ist nicht die Zeit, etwas zu klären.

«Kirche in Not» (ACN) setzt sich seit 70 Jahren in der Ukraine ein. Die Kirche im Land hat eine bewegte Geschichte hinter sich.

Ja, wir wurden von «Kirche in Not» stark unterstützt in der Infrastruktur, in Gebäuden und pastoralen Angelegenheiten, seit die Kirche aus dem Untergrund gekommen ist. Wir legen grossen Wert darauf, dass unsere Priester gut ausgebildet werden. Denn als die Kirche unter den Kommunisten verfolgt wurde, hat Stalin als erstes die Bischöfe und Priester verhaften lassen. Er hat die Gebildeten im Land beseitigt, um mit den «einfachen» Leuten dann machen zu können, was er will.

Hat die Kirche in dieser Verfolgung auch eine Kraft entwickeln können?

Ja, in der Herausforderung entwickelt man Kraft und man reinigt sich. Das sieht man in der Kirche und im Land allgemein. Verfolgung und Krieg zeigen deutlich, wer man ist. Entweder man steht zur Wahrheit oder nicht. Man kann nicht dazwischen gehen.


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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