Das ehemalige Dominikanerkloster St. Katharinen in Tallinn wurde zur heutigen Kathedrale St. Peter und Paul umgebaut. (Bild: Sailko, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Weltkirche

Dop­pelte Freude für die Katho­li­sche Kir­che in Estland

Eigent­lich wollte die Katho­li­sche Kir­che in Est­land am 1. Novem­ber 2024 den 100. Jah­res­tag der Grün­dung ihrer Apos­to­li­schen Admi­nis­tra­tur fei­ern. Nun wurde sie aber zum Bis­tum Tal­linn erho­ben und die Gläu­bi­gen dür­fen sich über ihren ers­ten Diö­ze­san­bi­schof freuen.

Der Katholizismus in Estland hat eine lange und schwierige Geschichte, doch er hat alle Anfeindungen und Repressalien überlebt. Als Estland nach dem Ersten Weltkrieg (kurzzeitig) seine Unabhängigkeit erlangte, gab es nur wenige Katholikinnen und Katholiken im Land – zu wenige für eine eigene Diözese. So errichtete Papst Pius XI. am 1. November 1924 die «Apostolische Administratur für Estland». Während sich die Gläubigen auf deren Hundertjahrfeier vorbereiteten, erhob Papst Franziskus am 26. September 2024 die «Apostolische Administratur für Estland» zum Bistum Tallinn und ernannte den Administrator Philippe Jourdan zum ersten Diözesanbischof.

Diese freudige Botschaft durfte der neue Apostolische Nuntius für die baltischen Länder Litauen, Estland und Lettland, Erzbischof Georg Gänswein, am 29. September anlässlich einer Heiligen Messe im Dom St. Peter und Paul in Tallinn offiziell überbringen. Erzbischof Gänswein war am 24. Juni 2024 mit diesem Amt betraut worden, nachdem er fast 500 Tage keine offizielle Funktion mehr ausgeübt hatte.

«Wir haben lange darauf gewartet, und plötzlich ist es passiert. Jetzt sind wir eine Diözese», sagte Marge Paas, Pressesprecherin der neuen Diözese. Die Erhebung der Apostolischen Administratur zur Diözese Tallinn sei nicht nur ein historisches Ereignis für den estnischen Katholizismus, sondern vor allem ein Moment der Gnade und Hoffnung für uns alle, schreibt Bischof Philippe Jourdan an die Gläubigen. «Diese Umwandlung in eine Diözese ist nicht nur eine Anerkennung unserer Stabilität und Entwicklung, sondern auch eine Eröffnung neuer Perspektiven für geistliches und missionarisches Wachstum.» Er danke Gott für dieses grosse Geschenk, fährt er fort. Doch jede Gabe Gottes bedeute auch Verantwortung. Bischof Jourdan beschliesst seinen Brief mit der Aufforderung: «Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir unsere neue Diözese der Obhut des Dieners Gottes Erzbischof Eduard Profittlich an, der sich so sehr dafür eingesetzt hat, dass unsere Kirche Diözese wird, auch wenn er es zu Lebzeiten nicht mit eigenen Augen sehen konnte.»

Der deutschstämmige Jesuit Eduard Profittlich war seit 1931 Apostolischer Administrator in Estland. Während der sowjetischen Besetzung wurde er 1941 verhaftet und starb 1942 kurz vor der Vollstreckung des Todesurteils. Er soll Patron des neuen Bistums werden, doch der Seligsprechungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Es wurde spekuliert, dass seine Seligsprechung im Zusammenhang mit der 100-Jahr-Feier verkündet werden könnte. «Es ist sehr wichtig für uns, denn er wäre der erste Selige der Katholischen Kirche in Estland», sagt Bischof Jourdan.

Kirche in Estland – Spielball der Politik
Auf dem Gebiet des heutigen Estland gab es bereits im ersten Jahrtausend Christen, doch ist nichts über ihre Herkunft bekannt. Die eigentliche Christianisierung des Gebiets des heutigen Estlands begann im 13. Jahrhundert. Im Jahr 1202 gründete der aus Bremen stammende Bischof Albert von Buxthoeven den Orden der Schwertbrüder (Fratres militiae Christi), deren Mitglieder bis 1227 das Gebiet des heutigen Estlands christianisierten.[1] 1215 verlieh Papst Innozenz III. Estland den Namen «Land Mariens».

1219 wurde die erste Diözese (Reval, heute Tallinn) gegründet, das dem Erzbischof von Lund (Schweden) unterstand. 1224 folgte die Gründung der Diözese Dorpat (heute Tartu). Dieses war zunächst dem Erzbistum Bremen unterstellt, ab 1255 dem Erzbistum Riga (Lettland). Das dritte Bistum war Ösel-Wiek (1228), das ab 1255 ebenfalls dem Erzbistum Riga untergeordnet wurde. Alle Bischöfe waren zugleich Reichsfürsten. Sowohl die Bischöfe wie auch die Priester waren Ausländer, vorwiegend Dänen und Deutsche. Aus unbekannten Gründen hat sich nie ein einheimischer Klerus entwickelt; bis zum 20. Jahrhundert sind nur zwei estnisch-stämmige Priester bekannt.

Bei der Christianisierung Estlands spielten Zisterzienser und Dominikaner eine grosse Rolle. Als die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts Estland erreichte, gab es bereits mehr als hundert Kirchen und zwölf Klöster und Konvente.

Der Russisch-Livländische Krieg von 1558 bedeutete das vorläufige Ende der Katholizismus in Estland. Iwan IV. (Iwan der Schreckliche) fiel in Livland – zu dem die damaligen Bistümer gehörten – ein. Am 18. Juli 1558 kapitulierte Dorpat vor den Russen. Der deutschstämmige Bischof Hermann II. Wesel wurde nach Russland deportiert, wo er einige Jahre später starb. Bischof Johannes von Münchhausen verkaufte im September 1559 sein Bistum Ösel-Wiek an den dänischen König Friedrich II. Im Bistum Reval (Tallinn) war Moritz von Wrangel im März 1558 zum Bischof bestimmt worden, er hatte aber nie die päpstliche Bestätigung erhalten und deshalb auch nicht die Bischofsweihe. Am 29. Juni 1560 verkaufte Moritz von Wrangel das Bistum Reval an Herzog Magnus von Holstein, dem ersten lutherischen Bischof Estlands.

1626 wurden die letzten Katholiken aus Dorpat (Tartu) vertrieben, drei Jahre später ging ganz Livland an das protestantische Schweden über. Dieses verbot alle Aktivitäten der Katholischen Kirche. Eine Ausnahme bildete Südestland, das von 1559 bis 1645 zum katholischen Königreich Polen gehörte. Während des Prozesses der Rekatholisierung wurde in Tartu ein Jesuitenkolleg gegründet.

Für die nächsten rund 150 Jahre gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen über katholisches Leben in Estland. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass es Katholiken gab: Nach dem Grossen Nordischen Krieg fiel Estland 1710 an das Russische Zarenreich. Alle Beschränkungen für die Katholische Kirche wurden aufgehoben, aber zu diesem Zeitpunkt war die Katholische Kirche zu einer Kirche ethnischer Minderheiten geworden. Sicher ist, dass von 1774 bis 1779 ein Kapuzinerpater in Tallin lebte, der das ganze Land seelsorglich betreute.

Durch die Gründung der Erzdiözese Minsk-Mahiljou (Belarus) erhielt das Gebiet Estlands 1785 wieder eine kirchenrechtliche Struktur. Zu diesem Zeitpunkt gab es offiziell 284 Katholiken. Am 18. Januar 1786 fand erstmals wieder ein offizieller katholischer Gottesdienst in Estland statt, doch erst am 26. Dezember 1845 wurde in Tallinn die erste katholische Kirche eingeweiht: St. Peter und Paul, heute Bischofskirche. Es gab nur vier Pfarreien (Tallinn, Tartu, Narwa und Valga), die alle zum Erzbistum Minsk-Mahiljou gehörten.
 


Aufblühen der Kirche und weiteres Leid
Nach dem Ersten Weltkrieg erlangte Estland seine Unabhängigkeit (24. Februar 1918). In diesem Zusammenhang wurden die vier bestehenden Pfarreien mit ihren rund 5000 Gläubigen neu in das lettische Bistum Riga eingegliedert. In der neueren Kirchengeschichte gilt es als einmalig, dass kirchliches Territorium eines unabhängigen Staates jurisdiktionell zu jenem eines anderen Staates gehörte.

1921 wurde der Jesuit Antonio Zecchini mit der Reorganisation der Katholischen Kirche in Estland betraut, zunächst als Apostolischer Visitator, ab dem 25. Oktober 1922 als Apostolischer Delegat für Litauen, Lettland und Estland. Im Dezember des gleichen Jahres wurde er zum Bischof geweiht (Titularerzbischof von Myra).
Am 1. November 1924 kam es zur Gründung der Apostolischen Administratur für Estland, Erzbischof Zecchini wurde der erste Apostolische Administrator.

In den ersten Jahren war die Seelsorge noch marginal, da es aufgrund des grossen Gebietes und der Vielsprachigkeit der Katholiken nicht gelang, genügend Priester für die Seelsorge zu erhalten. Als Pater Eduard Profittlich 1930 nach Estland kam, erkannte er die Wichtigkeit, auch die estnische Bevölkerung anzusprechen. Es gelang ihm zusammen mit seinem Mitbruder, dem aus Luxemburg stammenden Jesuiten Henri Werling, die Kirche aufzubauen. Während seiner Amtszeit wuchs die Zahl der Gemeinden auf zehn und die Zahl der Priester auf vierzehn. Die Kirche richtete einen eigenen Kindergarten und ein Bubeninternat ein, veröffentlichte einen Katechismus in estnischer Sprache sowie zwei Zeitschriften. Die Katholische Kirche blieb jedoch weiterhin eine Kirche ethnischer Minderheiten, vor allem der Polen.
Am 13. Mai 1931 wurde Eduard Profittlich Apostolischer Administrator von Estland. 1936 wurde er am 27. Dezember zum Bischof geweiht.

Doch bereits im September 1939 kam es durch den sogenannten «Hitler-Stalin-Pakt» zu massiven Einschränkungen in der kirchlichen Arbeit. Mit der gewaltsamen Annexion Estlands durch die Sowjetunion am 17. Juni 1940 begannen grosse Repressalien, auch für die Katholische Kirche. Am 27. Juni 1941 wurde Erzbischof Profittlich mit dem Vorwurf der Spionage für Deutschland konfrontiert und verschleppt. Sein Schicksal war während fast 50 Jahren ungewiss. Erst viel später erfuhr man, dass er zum Tod verurteilt worden war und am 22. Februar 1942 – kurz vor seiner geplanten Hinrichtung – völlig entkräftet in sowjetischer Gefangenschaft gestorben ist. Sein Seligsprechungsprozess läuft.
Sein Nachfolger ad interim wurde sein Mitbruder Henri Werling. Als dieser am 15. August 1945 selbst deportiert wurde, kam es zu einem Unterbruch der kirchlichen Jurisdiktion in Estland, die bis ins Jahr 1992 dauern sollte.[2]

Während der kurzen deutsche Besatzung (1941–1944) konnte die Kirche ihre Aktivitäten wieder aufnehmen. Als die Sowjetarmee 1944 die Kontrolle über Estland wiedererlangte, begannen die Repressalien von Neuem. Der Kirche fehlte es an Priestern, zudem wurden die Kirchen ausserhalb von Tallinn und Tartu zerstört. Religionsunterricht in den Schulen war verboten, ebenso die Erstkommunionvorbereitung oder die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen am Gottesdienst. Katholische Organisationen erhielten keine Gründungs- und Versammlungsgenehmigung, dazu wurde ein grosser Teil des Kircheneigentums beschlagnahmt. Die Katholische Kirche in Estland wurde so wieder zu einer «Nationalkirche» der Polen und Litauer.

In der Zeit der sowjetischen Besetzung gab es zwei für die Katholische Kirche wichtige Persönlichkeiten: Der Lette Mikelis Krumpans war seit 1952 Priester in Estland. Trotz seiner geringen Kenntnisse der estnischen Sprache wirkte er zwischen 1977 und 1987 als einziger katholischer Priester in Estland, ihm folgte der Einheimische Rein Õunapuu – wiederum als einziger katholischer Priester.

Erneutes Aufblühen der Kirche in Estland
In den 1970er-Jahren zog die Katholische Kirche die Aufmerksamkeit der Esten auf sich, als das Interesse an der mittelalterlichen westlichen religiösen Musik erwachte. Zwischen 1975 und 1990 traten rund 200 Esten der Katholische Kirche bei, darunter eine überproportional hohe Anzahl an Intellektuellen und Künstlern.

Die Auflösung der Sowjetunion veranlasste den Vatikan, sich mit der jurisdiktionellen Neuordnung des Baltikums, Russlands und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu befassen.
Der Heilige Stuhl hatte die völkerrechtswidrige Annexion Estlands durch die Sowjetunion nie anerkannt und die dortige Apostolische Administratur über fünfzig Jahre hinweg konsequent als «sedisvacantia rerum politicarum causa» bezeichnet. Am 15. April 1992 ernannte Johannes Paul II. Erzbischof Justo Mullor García aus Spanien zum Apostolischen Administrator für Estland. Es folgten 1997 Erzbischof Erwin Josef Ender aus Deutschland und 2001 Erzbischof Peter Zurbriggen aus der Schweiz. Alle drei waren jeweils gleichzeitig Apostolischer Nuntius in Estland, Lettland und Litauen und hatten ihren Sitz in Vilnius (Littauen).

Am 1. April 2005 ernannte Johannes Paul II. den Franzosen Philippe Jourdan zum Titularbischof von Pertusa und Apostolischen Administrator in Estland. Jourdan gehört dem «Opus Dei» an und war vor seiner Ernennung bereits Generalvikar der Apostolischen Administratur. Die Bischofsweihe spendete ihm sein Vorgänger, Erzbischof Peter Zurbriggen. Es war nach der Weihe des späteren Märtyrers Eudard Profittlich im Jahr 1936 die zweite katholische Bischofsweihe in Estland seit der Reformation und die erste seit dem Zweiten Weltkrieg.
Nun ist Philippe Jourdan der erste Diözesanbischof des neu errichteten Bistums Tallinn.

Aktuell gibt es rund 9000 Katholikinnen und Katholiken in Estland, das sind nur rund 0,78 Prozent der 1,3 Millionen Einwohner, in zehn römisch-katholischen Pfarreien und einer ukrainischen griechisch-katholischen Pfarrei. Diese werden von 13 Priestern betreut; fünf stammen aus Polen, die anderen aus Italien und Spanien. Obwohl die Kirche in Estland sehr klein ist, gibt es zwei grosse katholische Schulverbände, die im Land einen sehr guten Ruf haben. Die meisten Gläubigen wohnen in Tallinn oder Tartu.
In Estland gibt es mehrere aktive katholische Organisationen, darunter die Prälatur des Opus Dei, die Gemeinschaft des Neokatechumenalen Weges und das Priesterseminar Redemptoris Mater der Diözese. Daneben den Orden der Dominikanerbrüder, den Orden des Heiligsten Erlösers von St. Bridget, den Dritten Orden des Heiligen Franziskus, die Kongregation der Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis der Allerseligsten Jungfrau Maria und den Orden der Missionarinnen der Nächstenliebe.

 


[1] 1237 wurde der Orden in den «Deutschen Orden» eingegliedert.
[2] Pater Henri Werling konnte erst 1954 unter strengen Auflagen und dem Verbot der Ausübung seiner priesterlichen Funktionen nach Estland zurückkehren. Unter der Regierungszeit von Nikita Chruschtschow durfte er wieder als Priester tätig sein.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

Captcha Code Kann das Bild nicht gelesen werden? Klicken Sie hier, um zu aktualisieren

Captcha ist erforderlich!

Code stimmt nicht überein!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Sei der Erste, der kommentiert