Der Katholizismus in Estland hat eine lange und schwierige Geschichte, doch er hat alle Anfeindungen und Repressalien überlebt. Als Estland nach dem Ersten Weltkrieg (kurzzeitig) seine Unabhängigkeit erlangte, gab es nur wenige Katholikinnen und Katholiken im Land – zu wenige für eine eigene Diözese. So errichtete Papst Pius XI. am 1. November 1924 die «Apostolische Administratur für Estland». Während sich die Gläubigen auf deren Hundertjahrfeier vorbereiteten, erhob Papst Franziskus am 26. September 2024 die «Apostolische Administratur für Estland» zum Bistum Tallinn und ernannte den Administrator Philippe Jourdan zum ersten Diözesanbischof.
Diese freudige Botschaft durfte der neue Apostolische Nuntius für die baltischen Länder Litauen, Estland und Lettland, Erzbischof Georg Gänswein, am 29. September anlässlich einer Heiligen Messe im Dom St. Peter und Paul in Tallinn offiziell überbringen. Erzbischof Gänswein war am 24. Juni 2024 mit diesem Amt betraut worden, nachdem er fast 500 Tage keine offizielle Funktion mehr ausgeübt hatte.
«Wir haben lange darauf gewartet, und plötzlich ist es passiert. Jetzt sind wir eine Diözese», sagte Marge Paas, Pressesprecherin der neuen Diözese. Die Erhebung der Apostolischen Administratur zur Diözese Tallinn sei nicht nur ein historisches Ereignis für den estnischen Katholizismus, sondern vor allem ein Moment der Gnade und Hoffnung für uns alle, schreibt Bischof Philippe Jourdan an die Gläubigen. «Diese Umwandlung in eine Diözese ist nicht nur eine Anerkennung unserer Stabilität und Entwicklung, sondern auch eine Eröffnung neuer Perspektiven für geistliches und missionarisches Wachstum.» Er danke Gott für dieses grosse Geschenk, fährt er fort. Doch jede Gabe Gottes bedeute auch Verantwortung. Bischof Jourdan beschliesst seinen Brief mit der Aufforderung: «Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir unsere neue Diözese der Obhut des Dieners Gottes Erzbischof Eduard Profittlich an, der sich so sehr dafür eingesetzt hat, dass unsere Kirche Diözese wird, auch wenn er es zu Lebzeiten nicht mit eigenen Augen sehen konnte.»
Der deutschstämmige Jesuit Eduard Profittlich war seit 1931 Apostolischer Administrator in Estland. Während der sowjetischen Besetzung wurde er 1941 verhaftet und starb 1942 kurz vor der Vollstreckung des Todesurteils. Er soll Patron des neuen Bistums werden, doch der Seligsprechungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Es wurde spekuliert, dass seine Seligsprechung im Zusammenhang mit der 100-Jahr-Feier verkündet werden könnte. «Es ist sehr wichtig für uns, denn er wäre der erste Selige der Katholischen Kirche in Estland», sagt Bischof Jourdan.
Kirche in Estland – Spielball der Politik
Auf dem Gebiet des heutigen Estland gab es bereits im ersten Jahrtausend Christen, doch ist nichts über ihre Herkunft bekannt. Die eigentliche Christianisierung des Gebiets des heutigen Estlands begann im 13. Jahrhundert. Im Jahr 1202 gründete der aus Bremen stammende Bischof Albert von Buxthoeven den Orden der Schwertbrüder (Fratres militiae Christi), deren Mitglieder bis 1227 das Gebiet des heutigen Estlands christianisierten.[1] 1215 verlieh Papst Innozenz III. Estland den Namen «Land Mariens».
1219 wurde die erste Diözese (Reval, heute Tallinn) gegründet, das dem Erzbischof von Lund (Schweden) unterstand. 1224 folgte die Gründung der Diözese Dorpat (heute Tartu). Dieses war zunächst dem Erzbistum Bremen unterstellt, ab 1255 dem Erzbistum Riga (Lettland). Das dritte Bistum war Ösel-Wiek (1228), das ab 1255 ebenfalls dem Erzbistum Riga untergeordnet wurde. Alle Bischöfe waren zugleich Reichsfürsten. Sowohl die Bischöfe wie auch die Priester waren Ausländer, vorwiegend Dänen und Deutsche. Aus unbekannten Gründen hat sich nie ein einheimischer Klerus entwickelt; bis zum 20. Jahrhundert sind nur zwei estnisch-stämmige Priester bekannt.
Bei der Christianisierung Estlands spielten Zisterzienser und Dominikaner eine grosse Rolle. Als die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts Estland erreichte, gab es bereits mehr als hundert Kirchen und zwölf Klöster und Konvente.
Der Russisch-Livländische Krieg von 1558 bedeutete das vorläufige Ende der Katholizismus in Estland. Iwan IV. (Iwan der Schreckliche) fiel in Livland – zu dem die damaligen Bistümer gehörten – ein. Am 18. Juli 1558 kapitulierte Dorpat vor den Russen. Der deutschstämmige Bischof Hermann II. Wesel wurde nach Russland deportiert, wo er einige Jahre später starb. Bischof Johannes von Münchhausen verkaufte im September 1559 sein Bistum Ösel-Wiek an den dänischen König Friedrich II. Im Bistum Reval (Tallinn) war Moritz von Wrangel im März 1558 zum Bischof bestimmt worden, er hatte aber nie die päpstliche Bestätigung erhalten und deshalb auch nicht die Bischofsweihe. Am 29. Juni 1560 verkaufte Moritz von Wrangel das Bistum Reval an Herzog Magnus von Holstein, dem ersten lutherischen Bischof Estlands.
1626 wurden die letzten Katholiken aus Dorpat (Tartu) vertrieben, drei Jahre später ging ganz Livland an das protestantische Schweden über. Dieses verbot alle Aktivitäten der Katholischen Kirche. Eine Ausnahme bildete Südestland, das von 1559 bis 1645 zum katholischen Königreich Polen gehörte. Während des Prozesses der Rekatholisierung wurde in Tartu ein Jesuitenkolleg gegründet.
Für die nächsten rund 150 Jahre gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen über katholisches Leben in Estland. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass es Katholiken gab: Nach dem Grossen Nordischen Krieg fiel Estland 1710 an das Russische Zarenreich. Alle Beschränkungen für die Katholische Kirche wurden aufgehoben, aber zu diesem Zeitpunkt war die Katholische Kirche zu einer Kirche ethnischer Minderheiten geworden. Sicher ist, dass von 1774 bis 1779 ein Kapuzinerpater in Tallin lebte, der das ganze Land seelsorglich betreute.
Durch die Gründung der Erzdiözese Minsk-Mahiljou (Belarus) erhielt das Gebiet Estlands 1785 wieder eine kirchenrechtliche Struktur. Zu diesem Zeitpunkt gab es offiziell 284 Katholiken. Am 18. Januar 1786 fand erstmals wieder ein offizieller katholischer Gottesdienst in Estland statt, doch erst am 26. Dezember 1845 wurde in Tallinn die erste katholische Kirche eingeweiht: St. Peter und Paul, heute Bischofskirche. Es gab nur vier Pfarreien (Tallinn, Tartu, Narwa und Valga), die alle zum Erzbistum Minsk-Mahiljou gehörten.
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