Am 10. Dezember 2002 nahm der Synodalrat des Kantons Zürich die Motion «Jugendkirche» entgegen, am 1. April 2004 sprach die Synode einen Projektierungskredit für die notwendigen Planungs- und Vorbereitungsarbeiten und am 3. November 2005 beschloss die Synode auf der Grundlage eines Detailkonzepts den Start des Projekts «Jugendkirche Zürich – Eine Kirche für junge Erwachsene» per 1. August 2006. Als Ziel der Jugendkirche wurde formuliert, «dass junge Erwachsene – insbesondere im Alter zwischen 18 und 30 Jahren – im Rahmen von religiösen und kulturellen Veranstaltungen positive Erfahrungen machen können mit Glauben, Spiritualität und Kirche.» Als Hauptanliegen des Projekts wurde formuliert, dass die jungen Menschen «Gemeinschaft und Kirche gestalten können».
Am 9. und 15. Juli 2010 fanden in Zürich die Eröffnungs- und Einweihungsfeierlichkeiten des «jenseits IM VIADUKT» (Projektname «Jugendkirche») statt. Das Projekt hatte bis zu diesem Datum bereits 2,9 Millionen Franken verschlungen. In einer ersten Evaluation wurde für das Betriebsjahr 2011 festgehalten, dass der Bereich Seelsorge gestärkt werden müsse. Nach Abschluss der Projektphase wurde das «jenseits IM VIADUKT» – wie die Jugendkirche jetzt heisst – per 31. Juli 2012 in ein ständiges Angebot der Katholischen Kirche im Kanton Zürich überführt.
Von der Jugendkirche zur nachhaltigen Spiritualität
Im «jenseits» fanden zu Beginn die Jugendmessen von «Adoray» mit Weihbischof Marian Eleganti statt. Diese monatlich gefeierten Gottesdienste stiessen auf eine erfreuliche Resonanz. Im Durchschnitt wurden sie von rund 100 Jugendlichen und jungen Erwachsenen besucht. Es war damals das Angebot mit der grössten Nachfrage. Wenig erfreut über den Anklang dieser traditionellen Gottesdienstform zeigte sich die Leitungspersonen von «jenseits IM VIADUKT», denen eine «progressives Jugendkirche-Modell» vorschwebte, Nachfrage hin oder her. In der Folge wurden Weihbischof Marian, damals immerhin Jugendbischof der Schweizer Bischofskonferenz, und seine Getreuen buchstäblich hinausgeworfen. Vera Nemec, Synodalratsmitglied und Präsidentin des Leitungsgremiums, umschrieb diesen Vorgang auf Nachfrage von «swiss-cath.ch» wie folgt: «Marian Eleganti hat im Bistum andere Aufgaben übernommen.» Das stimmt nachweislich nicht. Tatsächlich führte Weihbischof Eleganti die erfolgreiche Tradition der Jugendmessen nahtlos weiter – in der Liebfrauenkirche über volle zehn Jahre bis zum Beginn der Corona-Pandemie.
Das «jenseits» war als Jugendkirche geplant worden. Das Betriebskonzept aus dem Jahr 2017 basiert neu auf den drei Pfeilern Spiritualität, Kultur und Nachhaltigkeit. So erstaunt es nicht, dass die «Katholische Kirche im Kanton Zürich» das Projekt heute so beschreibt:
«Jenseits des Gewohnten – und doch katholisch: Das jenseits ist eine Oase in den Bögen 11 und 12 des Viadukts in Zürich. Der Bogen 11 ist primär Café und Co-Working Space ohne Konsumzwang.
Im Bogen 12 gibt’s Gottesdienste, Yoga, Meditationen, Theater und Vorträge. Alles, was hier passiert, organisiert von jungen Menschen für junge Menschen, dreht sich um die Themen Kultur, Nachhaltigkeit und Spiritualität.»[1]
Und
«Das jenseits im VIADUKT in Zürich ist unsere urbane Aussenstelle für Junge. ‹Wenn nicht wir, wann dann?› Diese jenseitige Frage hat sich das junge Team auf die Fahnen geschrieben und tut noch mehr: Nach- und Umdenken ist gewünscht; Begegnung mit Menschen; Gleichgesinnte finden; Neues erfahren und das gleich in drei Schwerpunkten: Kultur, Nachhaltigkeit, Spiritualität. Aufs eigene Ich lauschen, lustvoll gesund kochen, Musik und Theater erleben – und das alles an einem Ort in den Viaduktbögen im Kreis 5. Offen für jede und jeden und auf jeden Fall jenseits des Gewohnten.»[2]
Und was sagt die Webseite von «jenseits IM VIADUKT»?
«Spiritualität, Kultur und Nachhaltigkeit sind die Themenfelder, in denen wir uns besonders zuhause fühlen. Diese drei Aspekte sehen wir in den nachhaltigen Produkten im Kafi genauso, wie wir sie in unsere Events integrieren. Als jenseits IM VIADUKT sind wir ein Angebot der katholischen Kirche des Kantons Zürich. Wir verbinden Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Weltanschauungen und leben konsequent eine Kultur des Willkommenseins. […] Das jenseits IM VIADUKT steht für einen wahren ‹place to be›, der jährlich von rund 15 000 Gästen belebt wird.»
Von der Jugendkirche zum Kafi
Die Webseite des «jenseits» gibt keine grosse Auskunft über Aktivitäten. Im Jahr 2024 gab es ganze zwei Blogbeiträge, auf Facebook finden sich für das Jahr 2024 genau acht Veranstaltungen, darunter eine Lesung mit der LGBTQ-Aktivistin Anna Rosenwasser.
Daneben gibt es monatlich Taizé-Gebete, auf die auf Facebook aber nicht regelmässig hingewiesen wird. Im Januar 2024 war ein Monatsprogramm aufgeschaltet. Aus diesem ist ersichtlich, dass es monatlich Eucharistiefeiern gibt («… anders als du denkst») sowie wöchentlich ein «Kick-Off mit Gott, ein «Achtsamkeitstraining & Mediation», Feldenkrais und «QiGong Moves». Ob diese Angebote noch immer bestehen, ist nicht klar. Es verwundert sehr, dass in den Sozialen Medien nicht viel läuft, kommunizieren Jugendliche und junge Erwachsene doch gerade über diese Kanäle. Vom «facettenreiche Jahresprogramm 2024», auf das im Jahresbericht 2023 hingewiesen wird, findet sich weder auf der Webseite noch in den Sozialen Medien eine Spur.
Der Eindruck, dass im «jenseits» nicht viel laufe, täuscht, meint Vera Newec. «Neue Veranstaltungen sind geplant, Reihen wurden gestartet, aktuell eine Reihe christliche Meditation unter der Leitung einer erfahrenen Seelsorgerin.» Die einzige Information, die sich hierzu findet, ist jene über die angeblich «christliche Meditation». Diese läuft unter dem Titel «my sacred garden meditation».
«Betrachte deinen Körper als einen lebendigen Kosmos, in dem all deine Kraftquellen liegen. In der Meditation können wir zu unserer natürlichen Ganzheit zurückkehren und darin aufblühen.» In der ganzen Beschreibung kein einziges Wort von Gott, Jesus, Glaube … Auf ihrer Webseite führt die Theologin in ihrer Ausbildung unter anderem Zen Meditation sowie Drehen und Sufi Lehren auf. Das Ganze kostet 22 Franken pro Einzelteilnahme. Ob das Geld ans «jenseits» fliesst oder damit der esoterische Schnickschnack der Theologin finanziert wird, bleibt unklar.
Was anscheinend gut läuft, ist das Kafi. Die Bewertungen auf der Facebook-Seite betreffen fast alle das gute Kafi. Die Aussagen lassen darauf schliessen, dass das Kafi nicht spezifisch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen besucht wird, sondern von der sogenannten Laufkundschaft, sprich von Leuten, die in der Nähe ihren Arbeitsplatz haben und sich dort in der Pause einen Kafi gönnen. Davon, dass das «jenseits» eigentlich eine Jugendkirche sein soll, ist ebenfalls nicht viel zu spüren.
Von der Jugendkirche zum extern gemanagten Betrieb
Auf den ersten Stellenleiter Peter Kubikowski folgte von September 2015 bis Oktober 2017 Michael Mann. Mitte 2018 übernahm Dominik Michel-Loher die Verantwortung bis Ende 2021 und seit Mai 2022 war Norbert Nagy Leiter des «jenseits IM VIADUKT». Vera Newec hält diese häufigen Wechsel für normal: «Es liegt in der Natur der Arbeit mit jungen Menschen, dass es öfter mal Personalwechsel gibt. Das ist auch gut so. Das jenseits wurde als Projekt lanciert, es muss sich entwickeln können.» Eine beschönigende, befremdliche Aussage angesichts der Tatsache, dass gerade Jugendliche mit ihren Fragen und Unsicherheiten auf Stabilität und Verlässlichkeit ihrer Bezugspersonen in besonderem Masse angewiesen sind.
Jetzt hat der Leiter des «jenseits IM VIADUKT», Norbert Nagy, gekündigt. Doch es wird nicht gleich ein neuer Stellenleiter angestellt. «Wir haben über die Firma inplus AG, welche Beratungen und Entwicklungen in den Bereichen Soziokultur und Jugendarbeit anbietet, eine Person gesucht, welche das Mandat für eine befristete Teamführung im Bereich von ca. 20 % übernehmen kann und gleichzeitig mit dem Team und anderen Beteiligten den Prozess der Erarbeitung eines neuen Betriebskonzeptes startet. Uns wurde Viktor Diethelm vorgestellt, er übernimmt diese Aufgaben. Wie gesagt werden wir die Leiterstelle erst ausschreiben, wenn wir uns über die Gestalt und Ausrichtung des jenseits im Klaren sind.» Dabei hat erst vor zwei Jahren das Leitungsgremium eine Weiterentwicklung des «jenseits» mithilfe externer Begleitung durchgeführt. Es wurden alle Stellenbeschriebe überarbeitet und neue Personen für das Eventmanagement, die Kommunikation und die Sachbearbeitung angestellt. Neu gibt es auch eine Zusammenarbeit mit einem Café, das für das Servicepersonal und die Gastronomie verantwortlich ist.
Defizite in Millionenhöhe
Das «jenseits IM VIADUKT» kostet die «Katholische Kirche im Kanton Zürich» jährlich 460 000 Franken (Durchschnitt der letzten 13 Jahre). Eine Summe, die sich im Verlauf der Jahre zu einem Berg von mehreren Millionen türmt. Kein Problem für die «Katholische Kirche im Kanton Zürich», die sich korrekterweise als «Römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich» bezeichnen müsste, wird sie doch durch Zwangssteuern juristischer Personen überreichlich alimentiert und kassiert darüber hinaus Jahr für Jahr vom Kanton Millionenbeträge, mit welchen die sogenannten «gesamtgesellschaftlichen Leistungen» abgegolten werden sollen.
Wir hatten uns mit unseren Fragen zuerst an Dr. Guido Estermann, Präsident der zuständigen Kommission im Generalvikariat Zürich-Glarus, gewandt. Er fühlte sich nicht zuständig: «Entscheidend für die strategische Ausrichtung ist das Leitungsgremium Jenseits, welches vom Zürcher Synodalrat verantwortet wird. Wir vom GV sind für die pastoralen Inhalte eingebunden. […] Die Begleitkommission, die ich präsidiere, ist eine Group de reflexion, und hat keine Entscheidungskompetenzen.» Dies führte zu unserer Gegenfrage: «Das ‹jenseits IM VIADUKT› war ursprünglich als Jugendkirche geplant. Wie kann es sein, dass nicht die Kirche (Generalvikariat), sondern die staatskirchenrechtliche Körperschaft über die strategische Ausrichtung einer Jugendkirche entscheidet?» Wir erhielten bis heute keine Antwort – manchmal kann «nichts sagen» auch «viel sagen» bedeuten.
Quellen
Protokoll des Synodalrats, Sitzung vom 16. Januar 2011
Jahres- und Finanzberichte der «Katholischen Kirche im Kanton Zürich»
[1] https://www.zhkath.ch/engagement2/kinder-jugend-junge-erwachsene/jenseits-im-viadukt
[2] https://www.zhkath.ch/engagement/themen/seelsorge-lebenshilfe/seelsorge-am-weg/jenseits-im-viadukt
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Das Geld des Jenseits würde hier besser angelegt sein.
https://insideparadeplatz.ch/2024/12/24/schweizer-steuerzahler-finanziert-vatikan-ableger-in-bern/
Noch besser wäre es, die Verantwortlichen der Landeskirche würden das Geld in die Glaubensbildung (vor allem ihrer eigenen) investieren.
Es gibt für das Jenseits im Viadukt eine Konstante die hier nicht aufscheint.
Die Konstante die bei der Gründung als Dienststellenleiter Hauptverantwortlicher war, dass die Jugendkirche nicht Jugendkirche wurde. Und heute noch bei jedem Wechsel auf Seiten des Synodalrats die Fäden zieht. Logisch wird die pastorale Seite befragt. Aber bei einem genaueren hinsehen wird man merken, das längst andere die pastorale Leitung übernommen haben. Still, heimlich, teutonisch. Und auch von diesem Dreiklang gedeckt wird