Blick ins Plenum: Das Kongresszentrum Zwei Raben war anlässlich der Wallfahrt gut besucht (Bild: Kirche in Not/ACN)

Kirche Schweiz

Ein­sied­ler Wall­fahrt von Kir­che in Not im Zei­chen des Ukrainekrieges

Meh­rere hun­dert Pil­ge­rin­nen und Pil­ger nah­men an der dies­jäh­ri­gen Wall­fahrt des Hilfs­wer­kes Kir­che in Not teil. Sie stand ganz im Zei­chen des Ukrai­ne­krie­ges, der immer noch andau­ert und die grösste Flücht­lings­welle seit dem Zwei­ten Welt­krieg aus­ge­löst hat.

Jan Probst, Geschäftsführer von Kirche in Not (KIN), eröffnete das Podium zum Thema «15 Monate Krieg in der Ukraine: Folgen für Europa, die Schweiz und die Kirche» mit einem Bild. Das Bild ging um die Welt. Es zeigt eine schwangere, schwer verletzte Frau, die auf einer Bahre aus einem kurz zuvor bombardierten Spital in Mariupol weggetragen wird. Sie hält ihre Hand über das noch ungeborene Kind. Trotz ärztlicher Kunst überleben Mutter und Kind den Raketenangriff nicht. Es ist eines dieser erschütternden Bilder des von Putin und seiner Entourage entfesselten Krieges, der heute noch andauert und unermessliches Leid in der ukrainischen Bevölkerung verursacht.

Ganz im Zeichen dieses Krieges stand die diesjährige Wallfahrt von Kirchen in Not vom vergangenen Sonntag, dem 21. Mai 2023. Nach dem feierlichen Pontifikalamt informierten Persönlichkeiten aus erster Hand über die aktuelle Lage in der Ukraine.

Als ersten befragte der Moderator Stefan Kube den Lemberger Weihbischof Wolodymyr Hruza. Er hatte erst kurz zuvor mit dem Auto die 1'574 km lange Reise in die Schweiz angetreten. Gleich zu Beginn stellte er klar: Es ist ein Menschenrecht, die Freiheit und Würde des eigenen Lebens zu verteidigen, notfalls auch mit Waffen. Dieser Krieg, so der Weihbischof, sei auch ein Krieg gegen die Kultur und berühre deshalb auch die Menschen im Westen existentiell. Seine grösste Sorge gilt den Landsleuten, die in der Ukraine ausharren. Dazu braucht es enorm viel Kraft. Eine unverzichtbare Quelle dieser Kraft ist die materielle Unterstützung, aber ebenso und vor allem das Gebet. Um das Böse zu besiegen, braucht es diese Einheit von uns allen in ganz Europa über alle nationalen Grenzen hinweg. Als zentrale Aufgabe der Kirche in der Ukraine sieht es der Weihbischof, die seelischen Wunden zu heilen. Dies bedeute insbesondere, sich der «Familien mit getöteten Soldaten» anzunehmen.

Mit Blick auf die problematischen Aussagen und Gesten des Papstes zum Ukrainekrieg, der es bis heute vermeidet und damit die griechisch-katholischen Gläubigen vor den Kopf stösst, den Aggressor Putin und dessen Aggressionskrieg beim Namen zu nennen, gab sich Weihbischof Hruza diplomatisch zurückhaltend: Er hoffe, dass der Vatikan mehr mache, als was gesagt wird, man müsse ja nicht alles sagen, was man mache. Gleichzeitig nahm er die Medien in die Pflicht: «Dieser Krieg ist auch ein Medienkrieg. Der moderne Mensch sieht nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Ohren!». Weihbischof Hruza schloss sein Votum mit den Worten: «Unsere griechisch-katholische Kirche wurde unter dem Stalinismus grausam verfolgt. Das, was den Gläubigen damals die Kraft gab, durchzuhalten, war die Überzeugung, dass die Wahrheit über die Lüge siegen wird. Und so wie Christus in Charkiv, Mariupol und Butscha ins Grab gelegt wurde, so wird er auch wieder auferstehen.

Projektleiterin Magda Kaczmarek vermittelte ein imponierendes Bild von der vielfältigen Hilfe, welche Kirche in Not in der Ukraine leistet. Für Gassenküchen, Notunterkünfte und medizinisches Material hat Kirche in Not seit Ausbruch des Krieges über 10 Mio. Franken aufgewendet. Die Zusammenarbeit mit den Sozialeinrichtungen der griechisch-katholischen Kirche vor Ort bietet Gewähr, dass die Hilfe nicht irgendwo in dubiosen Kanälen versickert, sondern unbürokratisch und wirkungsvoll in die Tat umgesetzt werden kann.

Ein schmerzhafter Lernprozess
Ein eindrückliches Statement gab der grüne Kantonsrat Urban Frye aus Luzern. Dort gilt er als Aushängeschild der Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine. Schon vor dem Ausbruch des Krieges hat er immer wieder Menschen aus verschiedenen Ländern Europas zusammengeführt, um buchstäblich mit dem Instrument der Musik diese Menschen zu verbinden und kulturelle Grenzen zu überwinden. In dem von ihm initiierten Begegnungszentrum Prostir (= Raum) finden sich regelmässig über 800 Flüchtlinge aus der ganzen Ukraine zusammen, v.a. auch Kinder, um in Musik- und Malateliers auf sinnstiftende Weise diese schwere Zeit durchstehen zu können.

Für den grünen Politiker Urban Frye brach eine Welt zusammen, als am 24. Februar 2022 der Aggressionskrieg Putins losbrach: «Alles, woran wir geglaubt haben, zerfiel in tausend Stücke. Ich habe einen langen und überaus schmerzhaften Weg gehen müssen, um mich als eingefleischter Pazifist zur Einsicht durchzuringen, dass es auch Waffen braucht, um Werte, gerade auch christliche Werte, zu retten.»

Die aus der Ukraine geflüchtete Marta Yaniv hat acht Geschwister und studiert zur Zeit in Deutschland. Sie hat den Wunsch, Dolmetscherin zu werden, «um Mauern zwischen den Menschen niederzureissen.» Der 15-monatige Krieg habe ihr Volk geeint, ja richtiggehend zusammen geschweisst. Bei ihrem jüngsten Verwandtenbesuch in der Ukraine ist ihr bewusst geworden: Jeder hat einen Angehörigen verloren; jeder hat einen Angehörigen, der seinerseits einen Angehörigen verloren hat. Marta Yaniv ist überzeugt: Das Volk will den Sieg und glaubt an den Sieg – und nichts anderes, keinen faulen Kompromissfrieden. Berührt hat sie insbesondere, dass sie Freundinnen getroffen hat, die unlängst Mütter geworden sind. Die Väter sind an der Front und kennen ihre Kinder nur über die Bilder auf WhatsApp. Umso mehr beeindruckt sie die (über-)lebenswichtige Hilfe, die das ukrainische Volk von Hilfswerken wie Kirche in Not erfährt.

Den Bogen zwischen der Schweiz und der Ukraine spannte Bruderklausenkaplan Ernst Fuchs. Er erinnerte an das segensreiche Wirken des Landespatrons und Friedensstifters Bruder Klaus, dessen Leitwort lautete: «Friede ist allweg in Gott, denn Gott ist der Friede.» Besonders hob er das «Wunder von Waldenburg» vom 14. Mai 1940 hervor, als Bruder Klaus seine schützende Hand über der Eidgenossenschaft hielt und sie vor den Schrecken des 2. Weltkrieges bewahrte.

Das Wissen um die Bedrohung der menschlichen Existenz ging in den Nachkriegsjahren fast völlig verloren – und damit auch der Sinn für die buchstäbliche Not-Wendigkeit des Gebets. Die hagere, asketische Gestalt von Bruder Klaus solle uns daran erinnern, dass auch wir dazu aufgerufen sind, wie der Friedensstifter im Ranft christusförmig zu werden. Kaplan Fuchs gab der Hoffnung Ausdruck, dass die segnende Hand von Bruder Klaus auch auf die Ukraine ausstrahlen möge.

Mit dem gemeinsam gesungenen Bruderklausen-Gebet «Mein Herr und mein Gott» schloss diese denkwürdige Tagung.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

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Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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