(Bild: zVg)

Kommentar

«Es muss eine fach­li­che Ant­wort mög­lich sein»

Nach­dem deutsch­spra­chige Nach­rich­ten­agen­tu­ren mit der Schlag­zeile «Scharfe Kri­tik von Kar­di­nal Mül­ler an Papst Fran­zis­kus» auf das neue Buch von Kar­di­nal Ger­hard Lud­wig Mül­ler «In buona fede» hin­ge­wie­sen haben, rea­giert die­ser mit einer Klarstellung.

Zu dem Artikel «Scharfe Kritik» ist klarzustellen, dass ich als katholischer Theologe und erst recht als Bischof und Kardinal niemals den Heiligen Vater kritisieren würde, in dem Sinn der Relativierung seiner Autorität, die dem römischen Papst gemäss der Primatslehre des I. und II. Vatikanums zukommt.

Ich habe mich früher auch gegen die öffentlichen Kritiker von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gewandt, welche die klar vorgetragene katholische Glaubenslehre im Namen ihres falschen Modernismus oder Progressismus infrage gestellt haben und die nun als Neo-Superpapisten Papst Franziskus als Zeugen ihrer falschen Ansichten instrumentalisieren.

In dem Interviewbuch habe ich auf Fragen hin die katholische Glaubenslehre zu einigen missverstehbaren Äusserungen dargestellt und problematische Personalentscheidungen (Entlassung von guten Mitarbeitern, die sich nichts zuschulden kommen liessen u. ä) ins rechte Licht gerückt.

Es muss eine fachliche Antwort möglich sein auf die Beunruhigung der Gläubigen, wieso etwa in der Frage Unauflöslichkeit der Ehe und des Kommunionempfangs für Katholiken in ungültiger Ehe vom göttlichen Gebot dispensiert werden kann, während man beim Messritus nach der alten oder neueren Form auf absoluten Gehorsam gegenüber Geboten nur kirchlichen (also nicht göttlichen) Rechtes pocht.

Eine Korrektur missverständlichen Sprechens und Handelns kommt den Brüdern des Papstes im Bischofsrang durchaus zu, wie schon Paulus es gegenüber Petrus einmal getan hat, ohne den Primat des Petrus und seinen Dienst an der Einheit der Kirche im geoffenbarten Glauben im geringsten infrage zu stellen. Papst Franziskus hat den hl. Irenäus von Lyon zum Lehrer der Einheit erhoben wohl wissend, dass dieser «Vater der katholischen Dogmatik» und Vorkämpfer gegen die glaubenszersetzende Gnosis, den damaligen Papst Viktor I. wegen dessen überscharfen Massnahmen gegen die kleinasiatischen Kirchen wegen des unterschiedlichen Ostertermins um mehr Zurückhaltung und Umsicht bat.

Warum wir heute auch im innerkirchlichen Umgang miteinander so vorsichtig sein müssen, ist der Tatsache geschuldet, dass jede kleinste Verschiedenheit ausgebeutet wird, um die Kirche als einen zerstrittenen Verein zu diffamieren und um die Glaubwürdigkeit des Evangeliums zu untergraben. Gewiss ist auch im «Vatikan» nicht alles Gold, was glänzt. Aber es geht im Grossen und Ganzen immer noch menschlicher zu als in den meisten politischen und ökonomischen Machtzentren. Der Unterschied liegt nur darin, dass wir als Jünger Christi uns nicht an den innerweltlichen Massstäben messen lassen, sondern uns am Geist Christi auszurichten haben. Wem mehr gegeben ist, von dem wird auch mehr verlangt. Ein Rotweinfleck auf einem weissen Hemd fällt mehr ins Auge als zehn auf einem schwarzen Hemd.

Papst Franziskus hat das genannte Buch schon mit grossem Interesse gelesen und weiss, dass es den Bischöfen und allen Katholiken selbst bei unterschiedlichen Zugängen immer um das Wohl der Kirche Christi und um das Heil der Seelen gehen muss und nicht um Selbstprofilierung gemäss einem verweltlichten Denken.

Allgemein gesagt ist es für jeden aufmerksamen Zeitgenossen wichtig, sich an den Inhalten von Büchern, Artikeln und Interviews zu orientieren und nicht an den marktschreierischen Überschriften der Zeitungen, die nur zu Verkaufszwecken so reisserisch formuliert werden.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller


Im Zusammenhang mit der Klarstellung antwortete Kardinal Müller swiss-cath.ch auf die folgende Frage:

Theologen, die sich öffentlich zu einem Thema äussern, werden oft von Kollegen angegriffen; vor allem, wenn sie sogenannte konservative Ansichten vertreten. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass die Kirche das Disputieren wieder lernen kann?

Kardinal Gerhard Ludwig Müller: «Konservativ» oder «liberal» sind ideologisch vorbelastete Begriffe und damit für die Theologie in jeder Hinsicht untauglich. Die Theologie ist die wissenschaftliche Bemühung um das Verständnis des Glaubens und seine bestmögliche geistige Vermittlung an den Adressaten des Evangeliums. Der christliche Glaube entsteht beim Hören des Wortes Gottes. Er vollzieht sich als Erkenntnis Gottes in Jesus Christus, wenn wir mit der Gnaden-Hilfe des Heiligen Geistes dieser Selbstmitteilung Gottes als Wahrheit und Leben des Menschen frei zustimmen und den Weg der Nachfolge Christi in Hoffnung und Liebe gehen bis zur Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht (nach unserem Tod). In diese personale Unmittelbarkeit zu Gott können wir nicht den Filter einer politisch-soziologischen Ideologie oder einer Weltanschauung oder den Dünkel oder Makel einer Zugehörigkeit einer Klasse, Rasse oder Einkommensgruppe u. Ä. dazwischenschalten. Wir müssen von der geoffenbarten Wahrheit her die Erkenntnisse der endlichen Vernunft und der wandelbaren sozio-politischen Verhältnisse kritisieren und korrigieren; aber nicht umgekehrt die geoffenbarte Wahrheit Gottes dem Apriori der kontingenten Welt oder der endlichen Vernunft unterwerfen.
Innerkirchlicher Dialog kann also nicht stattfinden zwischen Katholiken, die sich als konservativ bezeichnen oder als solche diffamiert werden und denen, die Progressisten, die sich über die aus ihrer Sicht noch unaufgeklärten Traditionalisten intellektuell und moralisch überlegen fühlen.
Katholisch ist nur, wer die Selbstoffenbarung Gottes in Christus mit all den im Mysterium Christi enthaltenen Wahrheiten im «Gehorsam des Glaubens» (vgl. «Dei verbum» 5) annimmt und mit der sichtbaren katholischen Kirche in ihrem Glaubensbekenntnis, den Sakramenten und der Leitung der Gemeinschaft durch die Bischöfe mit dem Papst an der Spitze anerkennt (vgl. «Lumen gentium» 14).

Die Einheit der Kirche im Glauben wird nicht von uns konstruiert durch einen kontroversen Dialog und diplomatischen Kompromiss zwischen innerkirchlichen Flügeln, die die Offenbarung nur zur Bestätigung ihrer selbstfabrizierten Weltanschauungen missbrauchen, sondern ergibt sich aus dem treuen Hören des Wortes Gottes. Erst wenn wir von daher Rede und Antwort stehen wollen jedem, der uns nach dem Logos (= den inneren Gründen unseres Glaubens in der Vernunft Gottes) der Hoffnung fragt, die uns Christen im Leben und Sterben trägt (vgl. 1 Petr 3,15), beginnt die Vielfalt theologischer Stile. Diese passen sich dem jeweiligen Adressaten in seinem geistigen und kulturellen Horizont.

Die christliche Theologie hat eine 2000-jährige und noch nicht abgeschlossene Geschichte hinter sich sowohl der affirmativen als auch der kritischen Auseinandersetzung mit vielen Philosophien und wechselnden naturwissenschaftlichen Weltbildern und geistesgeschichtlichen Geschichtskonzeptionen, den Erkenntnissen und Irrtümern der biologischen, soziologischen und politischen Anthropologie usw.

Insgesamt können wir die Kirche und den Glauben nicht modernisieren oder die Offenbarung ergänzen und modisch aufpolieren, so als ob sie ein zu ergänzender Torso wäre, weil in Christus die Fülle der Zeit angebrochen ist und in ihm alle Schätze der Weisheit und Gerechtigkeit Gottes enthalten sind. Gegenüber den Gnostikern aller Zeiten, die im Prinzip die Vernunft des geschaffenen Menschen über den Intellekt Gottes stellen, hat Irenäus von Lyon, der «Vater der katholischen Dogmatik» und «Lehrer der Einheit» ein für alle Mal klargestellt, dass in Jesus Christus alle Neuheit Gottes in die Welt gekommen ist, die der Mensch nicht überholen kann und die die glaubende Menschheit erst am jüngsten Tag voll einholen wird. «Christus hat nur Neues gebracht, indem er, das inkarnierte Wort Gottes, sich selber brachte, um den Menschen zu erneuern und zu beleben.» (Gegen die Häresien IV, 34, 1).

Das Unterscheidungskriterium hat nichts mit der Dialektik von Konservatismus und Progressismus zu tun, sondern ist die Treue zur Offenbarung (Orthodoxie) oder die verkürzende Zurückführung der übernatürlichen Offenbarung auf das begrenzte oder genehme Mass des endlichen Menschenverstandes (Heterodoxie; Härersie).

 

 


Redaktion


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