Symbolbild. (Bild: Pixabay/Pexels)

Hintergrundbericht

Fin­ger­zeig für die Evangelisch-​reformierte Kir­che Schweiz: Die pädo­phi­len Ver­stri­ckun­gen der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutschland

Ein aktu­el­ler Fach­bei­trag legt die tiefe Ver­stri­ckung der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land mit der Pädo­phi­len­szene bloss. Ihre refor­mierte Schwes­ter­kir­che in der Schweiz tut gut daran, den Ver­zicht auf die Auf­ar­bei­tung der eige­nen Miss­brauchs­fälle zu revidieren.

Andreas Späth hat in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift «Theologisches» (Nr. 07/08-2024) einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel «Die ideologische Grundlage des sexuellen Missbrauchs in der EKD (‹Evangelische Kirche in Deutschland›)». Andreas Späth ist Vorsitzender der evangelischen «Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis» sowie Vizepräsident der «Internationalen Konferenz bekennender Gemeinschaften» und als solcher ein Experte für eine fachkundige, unvoreingenommene Bestandesaufnahme dieser Thematik.

Sein Befund ist – dies sei vorweggenommen – ebenso eindeutig wie erschreckend. Das von ihm gezeichnete Bild liest sich wie ein Who ist Who politischer und kirchlich-protestantischer Exponenten, die, so Späth, aus einer Stimmung der Libertinage heraus «massiven gesellschaftlichen Druck erzeugen wollten und erzeugten, die sexuellen Handlungen an und mit Kindern oft verharmlost haben, so als gäbe es hier auch nur den Ansatz einer Möglichkeit einer Beziehung auf Augenhöhe, die nicht zugleich Missbrauch ist, um sie zu ‹entkriminalisieren›.»

In seinem Exposé nennt er Prof. Walter Bärsch. Dieser war in den 80er- und 90er-Jahren Präsident des Kinderschutzbundes sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft «Humane Sexualität», in der eindeutig pädophile Positionen vertreten wurden. Prof. Bärsch behauptete, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durch die Kinder selbst werde eingeschränkt, indem «sexuelle Kontakte zwischen einem Kind und einem Erwachsenen unter Strafandrohung gestellt werden».

Ausführlich äussert sich Späth in diesem Zusammenhang unvermeidlicherweise auch über die Grünen. Bemerkenswert ist sein Hinweis, dass just jene Kräfte der Grünen eine Entkriminalisierung der Pädophilie einforderten, welche auch die Strafbestimmungen zum Schutz des ungeborenen Lebens abschaffen wollten.

Späth bezeichnet es als «zynischen Treppenwitz der Geschichte», dass ausgerechnet die protestantische Pfarrerin und Theologin Antje Vollmer (Bündnis 90 / Die Grünen) als Vorsitzende des «Runden Tisches Heimerziehung» fungierte, der Missbrauchserfahrungen von Heimkindern in den 50er- und 60er-Jahren untersuchte. Eben diese Antje Vollmer hatte als Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages einen Gesetzesentwurf der Grünen unterzeichnet, der die Abschaffung der Strafbestimmungen zum Schutz von Minderjährigen verlangte. Mit diesem entlarvenden faux pas konfrontiert drehte sie den Spiess sogleich um, drosch auf die katholische Kirche und deren Sexualmoral ein und schwadronierte stattdessen vom «Missbrauch des Missbrauchs».

Antje Vollmer war beileibe nicht die Einzige im bestens vernetzten grünen Filz, welche der Straffreiheit der Pädophilie das Wort redete. So setzte sich ihr berüchtigter Parteigenosse Volker Beck in einem Aufsatz für die «Entkriminalisierung der Pädosexualität» ein und verlangte, das damalige Schutzalter von 14 Jahren zur Disposition zu stellen oder zumindest eine «Strafabsetzungsklausel» einzuführen.

Mehr noch: Nicht wenige Grüne waren, so Autor Späth, nicht nur Schreibtischtäter, sondern vergingen sich auch real an Minderjährigen. Er nennt unter anderem Hermann Meer, ab 1980 Mitglied des NRW-Landesvorstandes der Grünen, der in einer alternativen Lebensgemeinschaft «Kinder in Serie missbrauchte».

Enge Querverbindungen der grünen Pädophilenszene mit der Evangelischen Kirche
Was besonders auffällt: die Querverbindungen, welche diese falschen Kinderfreunde mit massgebenden Kreisen der Evangelischen Kirche aufwiesen. Dazu Andreas Späth: «Auch und gerade in der Evangelischen Kirchengemeinschaft, die verdächtig schweigsam zusieht, wie die katholische Kirche Schaden nimmt, gab es furchtbare Vorkommnisse.»

Späth macht zudem einen bemerkenswerten, gravierenden Unterschied zwischen der Evangelischen und Katholischen Kirche aus: «Während in der katholischen Kirche immer klar war, dass es um Schuld und Vertuschung ging, gab es auf der evangelischen Seite nicht nur Täter, sondern auch noch Apologeten dieser Taten. Eine unheilige Allianz von Reformpädagogen, linker fehlgeleiteter Emanzipatorik, pädosexueller Täter, politischer Verflechtungen, kirchlicher Verantwortungsträger und humanistischer Aktivisten versuchten, die Legalisierung sexueller Handlungen an und mit Kindern zu erreichen, diese im Sinne des Strafgesetzes zu entkriminalisieren und die gesellschaftliche Tabuisierung, bzw. Ächtung zu beseitigen.»

Späth nennt namentlich Helmut Kentler, Gerold Becker und Hartmut von Hentig, die an evangelischen Kirchentagen und Bildungsstätten herumgereicht wurden, Posten in der EKD bekleideten und «unter dem Deckmantel der Pädagogik, des Kindeswohls, ganzheitlicher Erziehung und des Nimbus, in der Kirche tätig zu sein, unverhohlen für den sexuellen Missbrauch an Kindern werben, ihm Vorschub leisten, diesen verharmlosen oder gar selbst begehen» konnten.

Den Podestplatz als übelster Missbrauchs-Apologet hat sich Prof. Helmut Kentler gesichert. Er hatte mit Wissen der zuständigen Stellen des Berliner Senats (= Stadtregierung) und der Verwaltung minderjährige Jungen an sogenannte Pflegeväter vermittelt, die wegen sexuellen Missbrauchs von Knaben bereits vorbestraft waren.

Deutliche Kritik übt Andreas Späth am Entschuldigungs-Reflex der Evangelischen Kirche: Man steht nicht zur Komplizenschaft mit Kentler, sondern «mit viel Wortgeklingel wird versucht, sich als dessen Opfer zu stilisieren». Die Evangelische Landeskirche Baden verortet schliesslich die Wahrnehmungsblockade in ihren Reihen im «Selbstbild als progressiver, linksliberaler, offener Kirche mit einem idealisierten Menschenbild. Auch der Einfluss pädosexueller Wissenschaftler auf Lehre und Praxis der Kirche spielt eine Rolle.»

Fingerzeig für die Reformierte Kirche Schweiz
Man kann diesen Befund der Verstrickungen der Evangelischen Kirche mit der Pädophilenszene gewiss nicht mit dem Massstab 1 : 1 auf die Reformierte Kirche Schweiz übertragen. Dass jedoch die neo-marxistisch konnotierte 68er-Ideologie mit ihren Slogan der «sexuellen Befreiung» auch hierzulande ihre Spuren hinterlassen hat, kann ernsthaft nicht in Zweifel gezogen werden.

Umso mehr erstaunt, ja befremdet die Tatsache, dass das Kirchenparlament der Reformierten Kirche Schweiz eine Aufarbeitung sexueller Missbräuche in den eigenen Reihen abgebügelt hat. Weder eine Aufarbeitung von Missbrauchsfällen anhand der Analyse von Personalakten noch eine sogenannte Dunkelfeldstudie betreffend möglicher aktueller Missbräuche soll es geben. Dies trotz einer im Januar 2024 veröffentlichten 800-seitigen Studie zur sexualisierten Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland, welche eine Vielzahl erschreckender Vorfälle zutage gefördert hatte.

Ausgerechnet unter dem Vorwand ihrer föderalistischen Strukturen sieht sich die Reformierte Kirche Schweiz ausserstande, eine solche im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit unabdingbare Studie durchzuführen. Stattdessen forderte das Kirchenparlament den Bundesrat auf, eine landesweite gesamtgesellschaftliche Missbrauchsstudie aufzugleisen. Den Gipfel der Realitätsverweigerung erklomm Miriam Messerli. Ihren Kommentar zur Vogel-Strauss-Politik des reformierten Kirchenparlamentes überschrieb sie mit dem Titel: «Für diese Debatte darf man die Synode loben» («reformiert» Nr. 7/2024). Dazu besteht gerade im Lichte des erhellenden Blicks von Andreas Späth auf die Abgründe in der deutschen Schwesterkirche kein Anlass – im Gegenteil.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Hansjörg 08.08.2024 um 23:30
    Mit etwas Abstand betrachtet ist es sehr interessant zu sehen, wie die Vertreter einer Kirche mit schon belegten Missbrauchstaten und Missbrauchsverbrechen, auf die andere grosse Kirche der Schweiz einprügelt. Da scheint mir die sicherste Lösung, gar nicht mehr Mitglied einer der beiden Organisationen zu sein.
    • user
      Martin Meier-Schnüriger 10.08.2024 um 13:33
      Weder ist Herr Herzog "ein Vertreter einer Kirche mit schon belegten Missbrauchsverbrechen", noch prügelt er auf irgendjemanden ein. Er stellt lediglich fest, dass es nicht angeht, den Missbrauchsskandal einzig der katholischen Kirche anzulasten, und er belegt das mit der fundierten Studie von Andreas Späth.
  • user
    Ferdi24 08.08.2024 um 22:11
    "Wahrnehmungsblockade"? Den Neusprech-Begriff muss ich mir merken. Die nicht gerade selten vorkommenden Heuchler in der Bibel treten unter neuem Namen auf.
  • user
    Meier Pirmin 08.08.2024 um 09:37
    Wichtig ist, dass wir jetzt nicht in den Duktus "Wir nicht, die anderen auch" reinfallen. Was ich freilich Herrn Herzog nicht unterstelle. Es genügt, die Problematik breiter zu sehen. Als ich vor 25 Jahren den "Fall Federer" systematisch nach Akten aufarbeitete, kam ich in Kontakt mit einer Pädophilenszene, die sich damals noch weniger verstecken musste wie heute. U.a. lernte ich in der Ostschweiz eine "Pädophilenmutter" kennen, welche Einschlägige psychologisch betreute. Unter diesen waren natürlich keine Kirchen-Angestellte.

    Am meisten Pädophilenverteidiger und Pädophilenversteher sind mir im Bereich der Musik-Berufe und bei den Sozialpädagogen aufgefallen, wobei ich aber vor verallgemeinernder Verurteilung und Generalverdacht warnen möchte. Ausserdem fiel mir auf, dass der nationalsozialistische Flügel der Christentumshasser systematisch und nicht ohne Erfolg in Deutschland nach pädosexuellen Priestern fahndete, dies auch im Buch von Prof. Leers (Einleitung) Mönche vor Gericht teilweise dokumentierte. Die Agitation wurde jedoch bald nach 1937 abgebrochen, weil wegen der vorgesehenen Kriege Kirchenkampf nicht brauchbar war, bzw. für die Zeit nach dem "Endsieg" vertagt werden musste, so wie der Kampf gegen das Rauchen, zu dessen Pionieren der Schweizer Reichsgesundheitsführer Dr. Leonardo Conti, Sohn des Posthalters von Lugano, gehörte. Die Nazis incl. Heinrich Himmler planten aber eine systematische Kampagne und wussten gut genug, dass es sich hier um eine schwache Stelle der katholischen Kirche handelte. Ich erwähne dies nicht, um "Aufarbeitungen" zu diskreditieren, hingegen: Es gibt keine systematische Aufarbeitung ohne eine entsprechende Kampagne, so wie Stalin mal eine Ärztekampagne machte. Beim Pädophilenproblem müssten um die 10 anfällige Berufsgruppen gleichzeitig angegangen werden, will man sich ein einigermassen objektives Bild von der Sachlage machen. Ehrlich gesagt sind die Fälle, die ich selber anzugehen versuchte, auch historisch, bis zurück zum Weggefährten von Jeanne d'Arc, Gil de Rais, von höchst ungleichem Grad der Gravität, der genannte Ritter war wohl ein historisch herausragendes Scheusal.

    Internatsgeschichtlich glaube ich über die Benediktiner besser im Bilde zu sein als andere, wobei ich aber hier nur sehr wenige Fälle als gravierend einschätzen kann, der schlimmste mir bekannte betrifft einen ausquartierten Benediktiner. In Engelberg und Sarnen wussten die Schüler meist sehr wohl, welche Typen Lehrer da anfällig waren, es gab sogar den volkskundlichen relevanten Begriff "Käsbub". Über diesen Lehrertyp machte man sich lustig, hatte insofern die Lage unter Kontrolle. Eine hocherotische Atmosphäre herrschte gelegentlich um die Fasnachtszeit, wenn Theaterstücke mit schönen Buben in Frauenrollen aufgeführt wurden. Da konnten sich auch Schüler in Schüler verlieben. Ein "Käsbub" konnte indes nicht so leicht missbraucht werden. Eher schon profitiert4e er von klar bevorzugender Notengebung. Insofern blieben die Skandale in Schranken. Auch verbietet die Benediktinerregel mit guten Gründen Sonderfreundschaften, was in Engelberg im 19. Jahrhundert, zur Zeit des grossartigen Bibliothekars P. Benedikt Gottwald, auch im Verhältnis unter Schülern und natürlich auch Lehrer-Schüler verboten war.