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Kommentar

Gefan­gen im Schwarz-​Weiss-​Denken

Momen­tan bemü­hen sich einige kir­chen­kri­ti­sche Kreise mit gros­sem Eifer nach­zu­wei­sen, dass der Hei­lige Papst Johan­nes Paul II. gegen­über Miss­brauch­stä­tern falsch gehan­delt habe. Diese media­len Atta­cken rei­hen sich ein in ver­schie­dene Bestre­bun­gen, ehe­ma­li­gen und jet­zi­gen katho­li­schen Amts­trä­gern Fehl­ver­hal­ten anzu­las­ten. Auch der Nach­fol­ger des pol­ni­schen Paps­tes, Bene­dikt XVI., wurde zur Ziel­scheibe sol­cher Angriffe.

Da viele der Fälle, die nun medial hochgekocht werden, Jahrzehnte zurückliegen und die Beschuldigten, wie im Falle Papst Johannes Paul II., tot sind oder sich an die genauen Begebenheiten nicht mehr erinnern können, ist es fast unmöglich, objektiv festzustellen, ob tatsächlich eine Schuld vorliegt. Zwei extreme Reaktionen sind im Kirchenvolk auf solche Vorwürfe auszumachen. Entweder wird jede Form von Kritik abgelehnt, weil sie als Angriff auf die heilige Kirche verstanden wird, oder aber man verfällt in eine Resignation, die an der jetzigen Lehre zweifelt, ja ganz verzweifelt. Diese Resignation spaltet sich wiederum in zwei Extreme auf, die für die kirchliche Situation so prägend sind: Einerseits die Ansicht, dass die überhöhte Morallehre der Kirche schuld an den Übeln sei und diese durch eine Änderung der Sexualmoral und der Weihevoraussetzungen geändert werden müsse; andererseits die Auffassung, dass alle Missbrauchsfälle und sonstigen Verfehlungen Folgen einer seit dem Zweiten Vatikanum grassierenden Aufweichung, ja Aushöhlung der Disziplin seien, die nur behoben werden könnten, indem man alle Reformen des Konzils rückgängig mache.

Nicht nur Schurken und Superhelden
Meines Erachtens sind all diese übertriebenen Reaktionen nicht mit der katholischen Anthropologie in Einklang zu bringen. Das christliche Menschenbild besteht nicht aus Schurken und Superhelden, sondern basiert auf dem Glauben, dass jeder Mensch von Gott als freies Wesen erschaffen wurde und ihm das Potential für das Gute wie auch das Schlechte innewohnt. Auch wenn das Christentum klar die Sünde benennt, betreibt es kein Schwarz-Weiss-Denken, was die einzelne Person betrifft. Die Heilsgeschichte Israels zeigt uns, wie Gott sich immer wieder gerade schwacher Persönlichkeiten bedient, um seine Weisheit und Stärke zu offenbaren. Der sich betrinkende Noah, der seinen Bruder betrügende Jakob, der seine Triebe nicht kontrollierende David und der feige Jonas würden in der heute politisch korrekten Medienwelt aufgrund ihrer Taten in Ungnade fallen. Gott konnte aber genau diese Menschen mit seinen Gnaden beschenken, da ihnen bewusst war, wie schwach sie ohne Gott sind. In der Kirchengeschichte kennen wir unzählige Heilige, die wie die Auserwählten des alten Bundes menschlich schwach waren, bevor Gott sie befähigte, Grosses zu tun.

Die Bürde der Freiheit
Für viele Christinnen und Christen war und ist es schwierig, diese Bürde der Freiheit, die uns zwingt, zwischen Gut und Böse zu wählen, tragen zu können. Augustinus vermochte noch die Allmacht Gottes mit dem freien Willen des Menschen in Einklang zu bringen. Obwohl Gott in seiner Allmacht im Voraus wusste, was der Mensch später tun und lassen würde, beliess er ihm den freien Willen. Die Reformatoren konnten sich hingegen die Allmacht Gottes nur im Verbund mit der Ohnmacht des Menschen denken. Für Calvin hatte Gott den Menschen schon seit Urzeiten «prädestiniert» – sei es zur ewigen Verdammnis oder zur ewigen Seligkeit – für den freien Willen blieb da kein Platz mehr. Der Mensch war infolge seiner Erbsünde derart verderbt, dass ihm darob der freie Wille abhanden gekommen war. Infolgedessen suchten die Menschen in der damals durch und durch religiös bestimmten Zeit verzweifelt nach Indizien, welche es ihnen erlauben würden, zu erkennen, ob sie zur Verdammnis oder zur Seligkeit vorherbestimmt seien. Am materiellen Reichtum liess sich, so ihr Glaube, ihr jenseitiges Schicksal ablesen: Der Kapitalismus war geboren. Max Weber hat in seinem grundlegenden Werk «Die protestantische Ethik» diesen Mechanismus aufgezeigt. Die englischen Puritaner, die von Calvins Theologie stark beeinflusst wurden, exportierten dieses Gedankengut nach Nordamerika, dessen Kultur bis heute starke Züge dieses Schwarz-Weiss-Denkens trägt, durch das jeder Film mit einem Happy End schliesst, der fleissige Tellerwäscher notwendigerweise zum Millionär wird und jeder Krieg oder politische Konflikt eine klar gute und eine klar böse Seite benötigt. Nicht nur das Geistesleben der USA, sondern auch dasjenige Europas entledigte sich in den letzten 250 Jahren mehr und mehr der Aufgabe, die Grautöne des Lebens, welche die menschliche Freiheit mit sich bringt, als conditio humana zu akzeptieren. Die differenzierten Diskussionen der mittelalterlichen Scholastiker zu politischen und wirtschaftlichen Fragen wurden durch schablonenartiges Denken ersetzt. Die Apotheose des Marktes, in dem der Eigennutzen des Individuums auf wunderbare Weise das Gemeinwohl steigert, ist genauso ein Produkt dieser vereinfachenden Sichtweise wie der Glaube, dass die Mehrheit des Volkes so gerecht und souverän wie Gott selbst entscheidet.

Schuld nicht bei der Generation Z
Wenn wir uns heute fragen, wie es sein kann, dass unser intellektueller Bewegungsradius durch die Angst, politisch unkorrekt zu handeln, so stark eingeschränkt wurde, müssen wir die Schuld nicht bei der Generation Z suchen, sondern bei einigen Generationen zuvor. Die jungen Menschen, die heute an den Universitäten andere Meinungen nicht ertragen können und lautstark gegen jeden Redner opponieren, der sie mit nicht-woken Ansichten konfrontiert, sind die Opfer einer langandauernden geistesgeschichtlichen Entwicklung. Die Aversion Calvins und anderer Bekämpfer der katholischen Lehre, daran zu glauben, dass Gott in seinen Heilsplan das freie Handeln des Menschen mit einbezieht, ist heute zum Unwillen der Gesellschaft mutiert, Meinungen zu akzeptieren, die dem Goldenen Kalb des Mainstreams widersprechen. Die unreflektierte Übernahme und Säkularisierung religiöser Begriffe und Vorstellungen, die in der klassischen Ökonomie und in modernen Staatstheorien vollzogen wurden, radikalisiert sich immer weiter und expandiert auch in Bereiche des privaten Lebens. Wie der fromme Puritaner seine Auserwähltheit durch das Akkumulieren seines Vermögens unter Beweis stellen wollte, sind es nun die Sprache, das Essverhalten, die Wahl des Fortbewegungsmittels oder die politische Einstellung, welche darüber Auskunft geben, ob man zu den Superhelden oder zu den Schurken gehört. Dass diese Sichtweise uns in ein Pharisäertum treibt und schlussendlich jede persönliche Freiheit und Menschlichkeit negiert, ist das grosse Paradoxon der Moderne, die vor drei Jahrhunderten angetreten ist, um den Menschen von den Fesseln jeglicher Autorität zu lösen.

Die Katholiken sollte daher bei allen skandalösen und pseudo-skandalösen Nachrichten, die auf sie einprasseln, nicht in eine Verzweiflung geraten, die sie in das eine oder andere religiöse Extrem treibt. Wohl haben kirchliche Exponenten Fehler und Sünden begangen, aber sie haben wohl auch viel Gutes getan, von dem wir nichts wissen. Da Gott dem Menschen den freien Willen lässt, können 100 grossartige Taten einer schlechten vorausgehen oder auch folgen. Gott hat Adam und Eva samt ihren Nachkommen nicht als Algorithmen geschaffen, sondern als freie Wesen. Wenn wir uns selbst Rechenschaft darüber ablegen, wie oft wir in unserem eigenen Leben gesündigt haben, Gott uns trotz diesen Sünden jedoch die Kraft gibt, aufzustehen und Gutes zu tun, erkennen wir die Unmenschlichkeit dieser Empörungskultur und Politischen Korrektheit, die heute fast alle Bereiche des menschlichen Lebens beherrscht und die Welt binär in Gut und Böse teilt.

Verliessen wir das selbstgemachte Gefängnis dieses Schwarz-Weiss-Denkens, verlören viele gesellschaftliche und kirchliche Diskussionen an Schärfe und selbstgerechter Erbarmungslosigkeit. Die Vehemenz, mit der Gegner der Kirche, welchen die Einhaltung der katholischen Morallehre schwerfällt, diese bekämpfen, ist auch Resultat des Glaubens, dass es auf der Welt nur zwei Kategorien Menschen geben kann, wobei logischerweise niemand gerne zu den Bösen zählen möchte. Jesu macht hingegen klar, dass nur Gott gut ist und wir alle auf Gottes Barmherzigkeit und seine Vergebung angewiesen sind. Eine Barmherzigkeit allerdings, die gleichzeitig auch zur Umkehr und Besserung auffordert – was gerade in der heutigen kirchlichen Verkündigung und Praxis oft unterschlagen wird («Auch ich verurteile dich nicht, geh hin und sündige nicht mehr», Joh. 8, 10-11). Es wäre die Aufgabe der Bischöfe, ihr Lehramt ernst zu nehmen und den Menschen diese Wahrheit der katholischen Lehre zu verkünden, anstatt der Politischen Korrektheit zu huldigen, die letzten Endes nicht nur die Kirche, sondern die gesamte Gesellschaft zerstört.


Daniel Ric


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  • user
    Claudio Tessari 24.03.2023 um 15:48

    Ausharren in der Kirche Christi.


    Wenn man sieht, was in Deutschland abgeht, wenn Bischöfe öffentlich sagen, man könne homosexuelle Paare segnen, obwohl die Glaubenskongregation das Gegenteil sagt, fragt man sich schon, QUO VADIS katholische Kirche. Für die gläubigen Katholiken, welche die Dogmen, die Lehre der Kirche noch ernst nehmen, und die Mutter Kirche lieben, ist das ein Martyrium. Ich mag mich noch an die Pontifikate des Heiligen Johannes Paul II oder des heiligmässigen Benedikt XVI erinnern, wo die Lehre noch mit aller Klarheit verteidigt wurde. Das vermisse ich leider ein wenig in diesem Pontifikat. Oft legen die sogenannten «Reformer» den Papst einfach so aus, wie es ihnen passt, und diese falschen und oft auch häretischen Aussagen der Reformer, werden kommentarlos im Raum stehen gelassen. Das 2. Vatikanische Konzil, hat die Aufgabe der Laien betont, und in einer Zeit wie dieser müssen wir Laien, für die Heilige Mutter Kirche kämpfen. Wir müssen uns zur unveränderten Lehre bekennen, wir sollen in unseren Pfarreien und auch in der Öffentlichkeit den Rosenkranz beten, für die Bekehrung der Welt. Wir sollten mit einer grossen Liebe und einer Hochachtung diesen Bischöfen schreiben, und sie an ihr Weiheversprechen erinnern. Die Kirche hat sich nie durch Gremien, Sitzungen, oder faule Kompromisse erneuert sondern durch die Heiligen. Kardinal Müller sagte, es gäbe Kräfte welche die Kirche übernehmen wollen, wir lassen das nicht zu, wir lieben unsere Kirche so, wie der Herr sie geschaffen hat. Der Heilige Paulus warnte die Kleriker eindringlich: Gal 1,9 Was ich gesagt habe, das sage ich noch einmal: Wer euch ein anderes Evangelium verkündet im Widerspruch zu dem, das ihr angenommen habt - er sei verflucht. Es ist sehr wichtig, dass wir viel für unseren Heiligen Vater beten, für unsere Bischöfe und die Priester, auch für jene, welchen den Glauben verraten. Der Heilige Thomas von Aquin lehrt: Die grösste Tat der Nächstenliebe ist es, einen Irrenden zur Wahrheit zu bringen. Nehmen wir unsere Zuflucht zur Himmelskönigin, dass sie den Heiligen Geist bittet, die kranke Kirche zu heilen. Er der Geist der Wahrheit wird uns frei machen, von den Ketten des Irrtum und Ideologien, welche leider in die deutschsprachige Kirche gedrungen ist. Wir sollen aber nicht verzweifelt sein, es ist die Kirche Jesu Christi, er wird sie nie untergehen lassen, wir müssen nur treu ausharren. Er verspricht: Offb 2.10 Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Kranz des Lebens geben.