«Jesus zog durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden. Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist gross, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!» (Mt 9,35–38)
Jesus hatte Mitleid mit den Menschen, die einen guten Hirten brauchen, der sich um sie kümmert, sie stärkt und ihnen Hoffnung zuspricht. Papst Paul VI. (1963–1978) erklärte den «Guthirt-Sonntag» (4. Sonntag der Osterzeit) zum Weltgebetstag für Priester- und Ordensberufe, denn das Problem einer ausreichenden Zahl von Priestern geht alle Gläubigen an: «Nicht nur, weil die religiöse Zukunft der christlichen Gesellschaft davon abhängt, sondern auch, weil dieses Problem ein genauer und unerbittlicher Indikator für die Vitalität des Glaubens und der Liebe der einzelnen Pfarr- und Diözesangemeinschaften und ein Zeugnis für die moralische Gesundheit der christlichen Familien ist», so Paul VI. in seiner Radioansprache vom 11. April 1964.
In unserer Zeit, wo wir in der Schweiz nur wenige Priesteramtskandidaten haben und auch der Nachwuchs in Orden und religiösen Gemeinschaften gering ist, sind solche Worte «harte Kost». Was sagt die Situation über unsere Bistümer, Pfarreien und unsere Familien aus?
Es wäre ungerecht, alle über einen Kamm zu scheren. Es gibt Pfarreien und Familien, in denen regelmässig um geistliche Berufungen gebetet wird, ebenso von Einzelpersonen. Bedenklich ist aber, dass auf der Webseite «Chance Kirchenberufe» («Information Kirchliche Berufe» IKB) kein einziges Gebet aufführt, dass man in diesem Anliegen beten könnte. Es gibt zahlreiches Material für die einzelnen kirchlichen Berufe, aber Beruf und Berufung ist nicht das Gleiche.
Ein Leben ganz aus und für Gott
Eine Berufung kann ein Beruf sein. Ebenso kann ein Beruf zur Berufung werden, wenn man darin den Anruf Gottes erkennt. Durch die Taufe sind wir Kinder Gottes. Wir sind berufen, das Evangelium zu verkünden – zunächst durch unser Leben, dann auch durch das Wort. Jede und jeder hat von Gott Fähigkeiten (Charismen) erhalten, aus und mit denen er sein Leben gestalten soll. Diese Charismen sind so vielfältig wie das Wirken des Heiligen Geistes. Sie sind Begabungen, die man für einen Beruf, ein Hobby oder in der Beziehung zu den Mitmenschen einsetzen kann.
An diesem Sonntag betet die Kirche für geistliche Berufe. In manchen Ländern wurde das Anliegen allgemein auf kirchliche Berufe ausgeweitet. Ich lege den Fokus bewusst auf die geistlichen Berufe, ohne die kirchlichen Berufe dadurch abwerten zu wollen, denn die Kirche kann ohne Pastoralassistentinnen oder Religionslehrer leben, nicht aber ohne Priester. Die Aufgabe der Erstgenannten können von engagierten Laien übernommen werden, wie dies auch in den meisten Ländern geschieht, aber die Sakramente, die für unser Leben und unser Seelenheil notwendig sind, können nur von Priestern gespendet werden.
«Die Kirche hat die Eucharistie von Christus, ihrem Herrn, nicht als eine kostbare Gabe unter vielen anderen erhalten, sondern als die Gabe schlechthin, da es die Gabe seiner selbst ist, seiner Person in seiner heiligen Menschheit wie auch seines Erlösungswerkes» (Enzyklika Ecclesia de Eucharistia 11).
Ebenso wichtig sind Ordensleute. Mehr als einmal haben Ordensleute der Kirche wieder neuen Schwung gegeben oder sie sanft auf den richtigen Weg zurückgeführt. Denken wir nur an einen heiligen Franz von Assisi oder eine heilige Katharina von Siena! Das stille Gebet, ein vom Gebet durchdrungenes Leben strahlt aus und kann vieles bewirken. Der konkrete Alltag der Frauen und Männer des geweihten Lebens ist unterschiedlich, doch es verbindet sie «die erste und vorzügliche Verpflichtung aller Ordensleute», die «in der Betrachtung der göttlichen Dinge und in der ständigen Verbindung mit Gott im Gebet» besteht (Can. 663, § 1).
Aufgabe des ganzen Volk Gottes
Gott beruft auch heute noch Menschen in seine engere Nachfolge, denn er braucht sie, um den Menschen die Frohe Nachricht zu bringen, ihnen durch Wort und Tat zu zeigen, dass auch sie von Gott unendlich geliebt sind. Er braucht sie, um die Kirche aufzubauen. Doch wie können (junge) Menschen die Stimme Gottes hören, die in seine Nachfolge beruft?
Die Priester- und Ordensberufungen entstehen aus der Erfahrung einer persönlichen Begegnung mit Christus. Junge Menschen müssen also die Gelegenheit erhalten, Gott kennenzulernen. Deshalb schreibt das Zweite Vatikanum: «Berufe zu fördern ist Aufgabe der gesamten christlichen Gemeinde. Sie erfüllt sie vor allem durch ein wirklich christliches Leben. Den wichtigsten Beitrag dazu leisten einmal die Familien; durchdrungen vom Geist des Glaubens, der Liebe und der Frömmigkeit werden sie gleichsam zum ersten Seminar; zum anderen die Pfarrgemeinden, an deren blühendem Leben die Jugendlichen selbst teilnehmen. […] Alle Priester sollen ihren apostolischen Eifer vor allem in der Förderung der Berufe zeigen. Sie sollen das Herz derjenigen Menschen durch ihr eigenes, bescheidenes, arbeitsames und von innerer Freude erfülltes Leben für das Priestertum gewinnen sowie durch die gegenseitige priesterliche Liebe und die brüderliche Gemeinschaft in der Arbeit» (Optatam totius 2).
Berufung geht uns alle an. Jede und jeder von uns kann für Priester- und Ordensberufungen beten und durch sein eigenes Leben Zeugnis von der Liebe Gottes geben. «Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt» (1 Petr 3,15).
O Vater, lass unter den Christen
viele und heilige Berufungen zum Priestertum entstehen,
die den Glauben lebendig halten
und die dankbare Erinnerung an deinen Sohn Jesus bewahren,
durch die Verkündigung seines Wortes
und die Verwaltung der Sakramente,
durch die du deine Gläubigen ständig erneuerst.
Schenke uns heilige Diener deines Altars,
die aufmerksame und eifrige Hüter der Eucharistie sind,
des Sakraments der äussersten Hingabe Christi
für die Erlösung der Welt.
Rufe Diener deiner Barmherzigkeit,
die durch das Sakrament der Versöhnung
die Freude deiner Vergebung verbreiten.
O Vater, lass die Kirche mit Freuden
die zahlreichen Inspirationen des Geistes deines Sohnes aufnehmen
und lass sie - deiner Lehre fügsam -
Sorge tragen für die Berufungen zum priesterlichen Dienst
und zum geweihten Leben.
Unterstütze die Bischöfe, die Priester, die Diakone,
die Menschen des geweihten Lebens und alle in Christus Getauften,
damit sie treu ihre Sendung erfüllen
im Dienst des Evangeliums.
Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.
Maria, Königin der Apostel, bitte für uns!
(Benedikt XVI., Botschaft zum Weltgebetstag für geistliche Berufe 2006)
Gebete und Gottesdienstvorlagen für Gebete um geistliche Berufungen bietet das «Zentrum für Berufungspastoral» Link
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