Ich war Prior von Kippel und Pfarrer von Ferden im Lötschental von 1999 bis 2005. Es war eine sehr schöne Zeit dort im «Tal der Täler» und ich war gerne dort.
Die Pfarreien von Wiler und Blatten hatten damals in der Person von Peter Jossen (Jahrgang 1926) noch einen eigenen Pfarrer. Aber unser Verhältnis war sehr brüderlich und wir haben einander ausgeholfen, wo wir gebraucht wurden. Daher kenne ich nicht nur Kippel und Ferden gut, sondern auch bei beiden anderen Pfarreien
Die Geistlichen im Lötschental waren geschätzt und geachtet, und sie sind es auch heute noch. Die Bevölkerung ist sehr gläubig, aber in einer offenen Weise, ohne Bigotterie oder Ängstlichkeit. Die Katholische Kirche und die religiösen Traditionen haben eine grosse Bedeutung für sie. Sicher sind auch im Lötschental nicht alle heilig, aber meiner Überzeugung nach, versuchen es zumindest die allermeisten heilig zu werden. Der Kontakt zu den Leuten war einfach herzustellen, denn man kannte sich und die meisten kamen regelmässig zum Sonntagsgottesdienst. Nach der Messe haben die Jugendlichen vor der Kirche auf mich gewartet, um noch einen kleinen Schwatz zu halten und einander ein wenig zu necken. Das war für mich immer eine grosse Freude! Die Erinnerung an diese «Sonntagsgespräche» sind mir bis heute in bester Erinnerung geblieben. Und wenn ich in den letzten Tagen Berichte über das Lötschental im Fernsehen gesehen habe, entdeckte ich einige von ihnen, nun als Erwachsene, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Umso mehr erschüttert mich dieser Gletschersturz auf Blatten. Wie froh bin ich, dass die Gemeindebehörden (Gemeindepräsident Matthias Bellwald war im Kollegium bis zur Matura mit mir in derselben Klasse) rechtzeitig die Evakuierung des Dorfes angeordnet haben. Ich will mir nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn diese Eislawine ohne Vorwarnung auf das Dorf gedonnert wäre. Ich denke sehr an die Bewohnerinnen und Bewohner von Blatten, ja vom ganzen Lötschental. Ich fühle mich ihnen sehr nahe und bete für sie und auch für meinen Mitbruder Thomas Pfammatter, den Pfarrer im Lötschental. Es geht mir ähnlich wie Bischof Jean-Marie Lovey, der in seiner Botschaft an die leidgeprüfte Bevölkerung schrieb, dass er mit gebrochenem Herzen auf das Dorf schaue und um Blatten weine.
Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergeht, doch in der Pressekonferenz von gestern kam auch der Wille zum Ausdruck, das Dorf wieder aufzubauen. Der Gemeindepräsident hat gesagt: «Wir haben das Dorf verloren, aber nicht unser Herz!» Ich glaube, genau das ist es: die Menschen haben ihr Herz bewahrt und damit auch den herzlichen Umgang miteinander. Und was wichtig ist, sie haben ihren Glauben, der ihnen in dieser schweren Zeit Mut und Kraft gibt, nicht aufzugeben. Der Grossteil des Dorfes Blatten ist zerstört, darunter auch die Pfarrkirche. Es zeigt, dass Gott so solidarisch mit den Menschen ist, dass er auch sein Haus durch die Schuttmassen zerstören lässt, um in aller Deutlichkeit zu zeigen, dass er ihnen nahe ist und er nicht möchte, dass es ihm besser gehe als seinen Geschöpfen. Ist das nicht ein phantastischer Gott? So nahe in Freude und Leid! Die Blattner und Blattnerinnen haben ihr Herz nicht verloren, denn Gott hat nun in ihrem Herzen seinen Wohnsitz, seine Kirche, eingerichtet. Näher kann Gott den Menschen nicht mehr sein! Das ist letztlich das Einzige, das wirklich hilft, nicht zu verzweifeln. Niemand soll meinen, Gott hätte die Menschen im Lötschental verlassen. Er ist ihnen sehr nahe und ich denke, die Leute dort spüren das auch jetzt.
Ich bin stolz auf die Lötschentalerinnen und Lötschentaler, weil sie auch als Glaubende zusammenstehen und einander helfen. Gebt nicht auf! Schaut nach vorwärts, auch wenn eure Herzen jetzt bluten. Nach den Stürmen geht die Sonne wieder auf, die Sonne als Symbol des auferstandenen Christus, der alle Finsternis und alles Leid vertreibt. So wird auch für Blatten, ja für das ganze Tal ein neues Ostern, ein Fest des neuen Lebens beginnen.
Ich wünsche allen Betroffenen Gottes Segen
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