Kirche Schweiz

Hans Urs von Bal­tha­sar lädt ein

Am Wochen­ende des Ers­ten Advents fan­den die tra­di­tio­nel­len Ein­sied­ler Advents­ein­kehr­tage des Freun­des­krei­ses Hans Urs von Bal­tha­sar statt. Der Balthasar-​Kenner und Jesuit P. Jac­ques Ser­vais sprach über die Exer­zi­tien und die Unter­schei­dung der Geister.

«Bewegtheit der Seele und Unterscheidung der Geister» war das Thema der diesjährigen Adventseinkehrtage des Freundeskreises Hans Urs von Balthasar. Die Adventseinkehrtage kehrten damit zu den eigenen Wurzeln zurück. Die «Unterscheidung der Geister» war ein grundlegendes Anliegen des heiligen Ignatius von Loyola, der Jesuiten und damit auch des grossen Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasars.

Ein Anlass mit Wurzeln bei Hans Urs von Balthasar persönlich
Die Einsiedler Adventseinkehrtage wurde 1950 vom Basler Theologen selbst ins Leben gerufen und finden jährlich am ersten Adventswochenende statt. Anfangs hielt von Balthasar die Referate und besinnlichen Impulse persönlich. Die Einkehrtagen waren zu Beginn vor allem für ausgewählte Schüler von Balthasars gedacht («Adventseinkehrtage für Akademiker» ab 1963), aber schon bald weitete sich der Kreis der Teilnehmer («Adventseinkehrtage für Akademiker und ihre Freunde» ab 1974). Seit 2014 werden die Adventseinkehrtage vom «Freundeskreis Hans Urs von Balthasar» organisiert. Sie wollen einen breiten Kreis von Interessenten ansprechen, sind öffentlich und finden im Benediktinerkloster Einsiedeln statt. Sie sind neben dem jeweils im Juni durchgeführten Jahresgedächtnis für Hans Urs von Balthasar der zweite regelmässige Anlass in der Schweiz, der aus dem ehemaligen Schülerkreis des Theologen hervorging und bis heute existiert. Der «Freundeskreis» bringt jedes Jahr kompetente Referenten nach Einsiedeln, darunter z. B. der Wiener Dogmatikprofessor Dr. Jan-Heiner Tück (2022) oder Kurienkardinal Dr. Marc Ouellet (2023).

Mit dem diesjährigen Referenten, P. Jacques Servais, wurde ein Ordensbruder von Hans Urs von Balthasar eingeladen; Letzterer gehörte bis 1950 ebenfalls dem Jesuitenorden an. Von P. Servais versprach man sich einen tiefen Einblick in die «Unterscheidung der Geister», einem Grundthema der jesuitischen Spiritualität. Der 1949 geborene Jesuit war dafür die ideale Wahl: Lange Jahre dozierte er als Professor für Spiritualität an der Jesuitenuniversität Gregoriana in Rom, leitete die «Casa Balthasar» – ein Zentrum für geistliche Unterscheidung und Exerzitien – und begründete die Stiftung «Lubac-Balthasar-Speyr». Heute lebt P. Servais in Lyon, wo er sich intensiv mit dem Werk eines Zeitgenossen und Freundes von Balthasars, P. Henri de Lubac, beschäftigt. Der thematische Fokus lag dieses Jahr daher einerseits auf der Spiritualität und andererseits auf dem Begründer der Einkehrtage selbst. Dies spiegelte sich auch in den drei Vorträgen von P. Servais wider.

Die «Unterscheidung der Geister» bei Ignatius von Loyola
Der erste Vortrag spürte der geistlichen Biografie des heiligen Ignatius von Loyola (1491–1556), dem Begründer des Jesuitenordens, nach. Infolge einer Kriegsverletzung war dieser zu einer langen Bettruhe gezwungen, während der er lernte, sorgfältig seine Gefühle und Stimmungen zu beobachten. Dabei stellte er fest, dass die Lektüre von Ritter- und Heldenromanen ihn zwar kurzfristig erbaute, aber sich die Wirkung rasch nach Beendigung der Lektüre ins Gegenteil verkehrte. Setzte er sich hingegen mit dem Leben Jesu und der Heiligen auseinander, erhielt er langfristigen Trost. In dieser Feststellung liegt die Grunderkenntnis der «Unterscheidung der Geister». Manche «Geister» – innere Regungen, Stimmungen und Gefühle – führen zum Trost und andere zur Trostlosigkeit. Die Kunst besteht darin, dies frühzeitig zu erkennen und sich entsprechend den «guten Geistern» zu verhalten. Ignatius war überzeugt, dass Gott auf diese Weise zu jedem einzelnen Menschen spricht, und verfeinerte seine Erkenntnisse im weiteren Verlauf seines Lebens. Manches erschien ihm auch für andere nützlich und so entstand das Exerzitienbuch, das bis heute die Grundlage für die geistlichen Exerzitien in der Tradition des heiligen Ignatius und der Jesuiten bildet. Es handelt sich um einen Übungsweg, um Gott besser loben, ehren und dienen zu können. Die Unterscheidung der Geister bildet ein zentraler Baustein dieses Übungswegs.

Antike Vorläufer des heiligen Ignatius von Loyola
Obwohl der heilige Ignatius von Loyola nicht ganz zu Unrecht als Erfinder der Unterscheidung der Geister und der Exerzitien gilt, gibt es in der reichen spirituellen Tradition des Christentums durchaus Vorläufer mit ähnlichen Konzepten. Das war Gegenstand des zweiten Vortrags.

Bereits der christliche Theologe und Gelehrte Origenes (185 bis ca. 253) sprach von einem geistlichen Kampf im Alltag des Christen, bei dem es den guten und den bösen Geist zu unterscheiden gäbe. Origenes lieferte hierfür – wie über tausend Jahre später Ignatius – Kriterien und Hilfestellungen sowie eine Analyse von typischen Mustern oder Abläufen im geistlichen Leben. Bei Origenes war dies noch eingebettet in ein platonisches Weltbild – Ignatius stand bereits an der Schwelle zu einem neuzeitlichen Denken. Eine literarische Abhängigkeit zwischen Origenes und Ignatius dürfte nicht nachweisbar sein, trotzdem sind die Parallelen erstaunlich und zeugen von einer Einheit in mystischer Erfahrung und Selbsterkenntnis.
 


Hans Urs von Balthasars Blick auf Ignatius von Loyola
Von Balthasar war bis zu seinem Lebensende ein eifriger Verehrer und Nachfolger des heiligen Ignatius. Dessen Exerzitienbuch war für von Balthasar eine wichtige geistliche und theologische Quelle. Seine eigene Biografie war eng verbunden mit dem Heiligen und dessen Exerzitien. So machte von Balthasar als junger Doktorand der Germanistik während Exerzitien eine starke Erfahrung der Indienstnahme durch Gott und trat daraufhin in den Jesuitenorden ein. Obwohl von Balthasar ein immenses schriftliches Werk hinterliess, schrieb er nie eine Monografie zu den Exerzitien. Für ihn war das ein aussichtsloses Unterfangen – zu unmittelbar und reich seien die gesammelten Erkenntnisse des Ignatius. Zu einem Buch über Ignatius, das er gerne geschrieben hätte, kam es nicht mehr. Aber über sein ganzes Werk verstreut finden sich zahlreiche Verweise, Auslegungen und Ausführungen zu den Exerzitien, der Unterscheidung der Geister und dem heiligen Ignatius. Genau diese hat P. Servais über Jahre gesammelt und in einer Anthologie fast schon in der Ordnung eines Kommentars zum Exerzitienbuch herausgegeben.

In seinem dritten Vortrag konnte P. Servais aus dieser intensiven Auseinandersetzung mit von Balthasars Texten schöpfen. Für von Balthasar steht im Mittelpunkt der Exerzitien die Wahl eines besonderen Dienstes für Gott. Sie sollen die Seele vorbereiten, den Willen Gottes für das eigene Leben zu suchen und zu finden. Es gilt, eine persönliche Antwort auf den Ruf Christi zu geben, der jeden einzelnen in den Dienst ruft, und sich für Christus zu entscheiden. Dabei gilt es zu differenzieren: den Ruf in die Nachfolge Christi, Christ zu werden; den Ruf in einen bestimmten Lebensstand, das Eheleben oder das (geweihte) Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam; den Ruf zu einer bestimmten Lebensform innerhalb des gewählten Lebensstandes. Damit versteht von Balthasar die Exerzitien jedoch nicht als simple Entscheidungshilfe, sondern als ein Einüben in eine persönliche Haltung der bedingungslosen Bereitschaft, den Willen Gottes zu erfüllen. Diese Haltung nennt von Balthasar die ignatianische «Indifferenz». Die Unterscheidung der Geister hilft dabei, sich immer neu vollkommen auf den Willen Gottes auszurichten. Diese liebende Hingabe an den Willen Gottes ist das höchste Ziel, nicht das Seelenheil oder die eigene Vervollkommnung. Letzteres liegt allein in der Hand Gottes.

Akademie und Kirchenbank vereint
Die Adventseinkehrtage des Freundeskreises sind eine besondere Veranstaltung, wie es sie immer weniger gibt. Sie vereinen hochstehende philosophisch-theologische Überlegungen und Gespräche mit Besinnung und kniendem Glauben. Der zweite Teil kommt vor allem in der marianischen Komplet am Samstagabend, aber auch im gemeinsamen Besuch der Konventsmesse am Sonntagmorgen zur Geltung. Bei Ersterer wurde dieses Jahr eine Besinnung des Referenten zum Ja-Wort Mariens wie beschrieben bei Adrienne von Speyr umrahmt von Psalmengebet, Gesang und einer Zeit des Schweigens vor dem ausgesetzten Allerheiligsten. Der Kontext des Klosters Einsiedeln mit seiner langen Gebetstradition und der prächtigen Architektur trägt auf ganz eigene Weise zur geistlichen Erbauung bei.

Das Wochenende verlangt den Referenten einiges ab: Drei akademische Vorträge, eine kürzere Besinnung und gegebenenfalls eine Predigt müssen geboten werden. Diese Kombination aus intellektuellem Anspruch und geistlicher Tiefe dürfte ganz im Sinne von Balthasars liegen. Doch auch die Gemeinschaft kommt nicht zu kurz. Die Adventseinkehrtage bringen Jahr für Jahr unterschiedliche Menschen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich nach Einsiedeln. Die Stimmung ist interessiert und freundlich.

Nächstes Jahr jähren sich die Adventseinkehrtage, wenn man so will, zum 75. Mal. Als Referent wurde der deutsche Dogmatiker Manuel Schlögl, Lehrstuhlinhaber für Dogmatik und ökumenischer Dialog an der Kölner Hochschule für katholische Theologie. Das Thema ist noch offen, aber der ausgewiesene Ratzinger-Spezialist wird sicherlich nicht enttäuschen, was dazu einlädt, sich das erste Adventswochenende 2025 bereits jetzt vorzumerken.
 

Hans Urs von Balthasar, Texte zum ignatianischen Exerzitienbuch. Herausgegeben, ausgewählt und eingeleitet von Jacques Servais SJ. Johannesverlag Freiburg im Br. Neufassung 2022.

Weitere Informationen zu den Aktivitäten des Freundeskreises Hans Urs von Balthasar inkl. der Lesekreise finden sich hier


Max Ammann

MLaw utr. iur. & BTheol. Max Ammann studiert gegenwärtig Theologie mit Spezialisierung in Kirchengeschichte an der Universität Freiburg i. Ü. Als Jurist setzt er sich vor allem mit Fragen des Staats- und Religionsverfassungsrechts auseinander.


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Bemerkungen :

  • user
    Kurt Bucher 03.12.2024 um 16:59
    Ich habe mir am Sonntag auf Livestream die Predigt von P. Servais im Konventamt angehört. Für Bibelkenner und Kenner der Balthasarschen Theologie interessant, ein Kurzvortag im Sinn und Geist der Thematik des Freundeskreises. Für wohl die allermeisten Gottesdienstbesucher aber zu schwierig und unverständlich, auch wegen des schlechten Deutsch des Predigers und wegen der völlig fehlenden Auslegung der Schrifttexte des Soontags für die HöerInnen und ihrer Übersetzung ins Heute und unsere Zeit. Mein Eindruck am Ende: so kann und darf man heute nicht mehr predigen, vor allem nicht an einem 1. Adventssonntag.