Die Familie Tessari. (Bild: zVg)

Pro Life

«Ich brauchte kei­nen Arzt, der mir Angst macht»

Snje­zana und Clau­dio Tes­sari hat­ten bereits drei Töch­ter, als Snje­zana über­ra­schend schwan­ger wurde. Schnell wur­den sie mit dem Ver­dacht auf Tri­so­mie kon­fron­tiert. Im Gespräch mit «swiss​-cath​.ch» erzäh­len sie über ihren Kampf für ihren Sohn Rafael Dome­nico, der im sieb­ten Schwan­ger­schafts­mo­nat verstarb.

«Für uns war der positive Schwangerschaftstest überraschend, doch ich habe mich auf das Kind gefreut», erzählt Snjezana rückblickend. Auch für ihren Mann Claudio war klar, dass sie das Kind annehmen. «Eine ungeplante Schwangerschaft entspricht dem Willen Gottes», ist er überzeugt. «Und wir möchten den Willen Gottes tun.»

Die Schwangerschaft begann nicht gut: Snjezana bekam Blutungen. Sie hatte erst zwei Jahre zuvor ein Kind durch eine Fehlgeburt verloren und hatte nun Angst, dass es wieder passieren könnte. Im Spital wurde ihr erklärt, dass sich drei Fruchthüllen in ihrer Gebärmutter befinden. Diese seien aber noch leer. Diese könnten sich noch füllen, es könnte aber auch eine Eileiterschwangerschaft oder gar ein Tumor sein. «Ich dachte immer, ein positiver Schwangerschaftstest bedeute eine Schwangerschaft. Ich war nach all diesen Informationen völlig kaputt», erinnert sich Snjezana.

Beim Untersuch zwei Wochen später dann die Erleichterung: Man sah die Herzschläge eines Kindes. Doch die Freude sollte nicht lange währen. Der Arzt informierte Snjezana, dass bei ihrem Kind ein fünfzigprozentiger Verdacht auf Trisomie 13, 18 oder 21 besteht. Im Nachhinein fühlen sich Claudio und Snezana von den Ärzten überrumpelt. «Wir haben diese Untersuchungen eigentlich gar nicht gewollt», so Claudio. Man geht zu den Schwangerschaftskontrollen, weil es einfach so vorgesehen ist. Sie dienen ja der Vorsorge für das Kind und auch der Mutter. Das hat Snjezana auch bei den Schwangerschaften ihrer drei Töchter so gehandhabt. «Dass dabei auch unnötige Untersuchungen durchgeführt werden wie z. B. die Messung der Nackenfalte, realisiert man erst, wenn man mit einem Verdacht konfrontiert wird.»

Der Arzt fragte Snjezana, was sie machen würde, wenn das Kind Trisomie 21 hat. Sie erklärte ihm, dass sie es auf jeden Fall behalten würde. «Es ist ein Geschenk Gottes, ich nehme es an, wie es ist.» Und was wäre, wenn das Kind Trisomie 13 oder 18 hat, fragte der Arzt weiter. «Ich sagte ihm, dass ich das noch anschauen müsste. Ich meinte damit einfach, dass ich mich erkundigen musste, welche Krankheiten sich hinter diesen Begriffen verbergen.» Der Arzt hatte das scheinbar so aufgefasst, dass sie über eine Abtreibung nachdenkt und bat sie, beim nächsten Untersuch ihren Mann mitzunehmen.

«Haben Sie sich entschieden?», wollte er bei der Kontrolle wissen. Als beide überzeugt erklärten, dass für sie eine Abtreibung kein Thema sei, versuchte er sie umzustimmen. Sie müssten doch an ihre Familie denken. Sie hätten doch schon drei gesunde Kinder, die älteren in der Pubertät, dann ein Kind mit Trisomie … «Ich habe dann Klartext mit ihm geredet», erinnert sich Claudio. «Sie sind zwar Arzt, habe ich ihm gesagt, aber schlussendlich entscheidet immer noch Gott, ob ein Kind gesund ist.»

Diese negative Erfahrung mit Ärzten zieht sich wie ein roter Faden durch die Schwangerschaft. Immer wieder wurde ihnen Angst gemacht, dass das Kind schwerstbehindert sein könnte, und ihnen wurden die Folgen drastisch beschrieben. «Mir war bewusst, dass mein Kind krank sein könnte, doch in dieser Situation brauchte ich keinen Arzt, der mir Angst macht», gibt Snjezana zu bedenken. «Und ich fragte mich, wie Ärzte so negativ gegenüber meinem Kind sein können.» Die werdenden Eltern hatten den Eindruck, dass viele Ärzte der Meinung sind, wenn ein Kind sowieso sterben könnte, könne man es doch gleich abtreiben.
Claudio erinnert sich gut daran, wie seine Frau immer wieder zu ihrem ungeborenen Kind sagte. «Baby, du musst keine Angst vor diesen Ärzten haben. Wir lassen nicht zu, dass sie dir etwas Schlimmes antun.» «Sie kämpfte wie eine Löwin», bringt Claudio das Verhalten seiner Frau auf den Punkt.

Snjezana wechselte dann zu einer Frauenärztin. Diese erklärte, sie würde sie in ihrem Entscheid unterstützen. «Doch sie drängte mich immer wieder zu irgendwelchen Tests, um abklären, um welche Form von Trisomie es sich bei Rafael handelt.» Dass ein Ehepaar keine Gewissheit über eine mögliche Krankheit ihres ungeborenen Kindes haben will, hatte sie in ihren 25 Jahren als Frauenärztin noch nie erlebt. «Es ist doch mein Kind, egal was mit ihm ist», so die Überzeugung von Snjezana. Ausserdem hätte der kleine Rafael von Anfang an klar gemacht, dass er keine Untersuchung wollte. «Er hat bei jedem Untersuch rumgezappelt, sodass die Ärzte Schwierigkeiten hatten.»

Doch so einfach, wie es jetzt klingt, war es nicht für die werdenden Eltern.

«Selbstverständlich flossen jedes Mal Tränen, wenn ich wieder einen schlechten Befund bekommen habe», erzählt Snjezana. Sie baten Freunde und Bekannte ums Gebet, dies auch im Wissen darum, dass solche Tests nicht zuverlässig sind. Doch der Verdacht auf eine oder mehrere Formen der Trisomie verstärkte sich, lag schlussendlich bei 90 Prozent. «Man kann beten und auf ein Wunder hoffen. Doch wenn es Gottes Wille ist, dass das Kind krank ist, dann besteht das Wunder darin, dass wir die Gnade erhalten, das Kind mit seiner Krankheit anzunehmen und alle Schwierigkeiten zu meistern.» Snjezana entschied sich, ihre Schwangerschaft zu geniessen, «jede Sekunde, jeden Tritt, den ich von ihm spürte».

Claudio und Snjezana hatten den grossen Wunsch, ihren Sohn gebären zu können und ihn zu taufen. Bei einem Untersuch wurde festgestellt, dass Rafael ein sehr grosses Herz hat. Es war klar, dass bei einem Herzfehler die Geburt in einem spezialisierten Spital stattfinden muss, um das Leben von Mutter und Kind nicht zu gefährden. So stimmten sie einem Untersuch durch einen Spezialisten zu. Nachdem der Arzt sie eineinhalb Stunden hatte warten lassen, begann er den Untersuch. Dann sagte er: «Das müssen wir anschauen. Ah, nein, das hat sich erledigt.» Er meinte damit, dass das Herz von Rafael nicht mehr schlug. «Er hat von Rafael geredet, wie wenn er ein Gegenstand wäre», empört sich Snjezana noch heute. Sie selbst kann sich nicht mehr daran erinnern, was der Arzt danach noch sagte. «Ich wusste, dass der Tag X kommen wird, doch ich war mir sicher, dass es erst nach der Geburt sein würde. Sein Tod kam völlig unerwartet.»

Die Geburt wurde eingeleitet und sie gebar ihren toten Sohn. «Ich war so glücklich, dass ich ihn in meinen Händen halten durfte. Ich habe ihn angeschaut, von den kleinen Zehen bis zu den ersten Härchen. Ich war so glücklich.» Die Töchter halfen, den kleinen Sarg zu gestalten. «Wir wollten, dass Rafael getauft wird, was durch seinen Tod im Mutterleib nicht möglich war», erzählt Claudio. «Wir sind aber davon überzeugt, dass durch unseren grossen Wunsch unser Sohn die Begierdetaufe empfangen hat.»

Nach der schönen und würdigen Beerdigung kamen die Emotionen. Es war vor allem für die drei Töchter schwierig zu verstehen, dass ihr Bruder gestorben ist, dass ihr Gebet «nichts genützt» hat. Sie fragten ihre Eltern: «Wir beten so viel, wieso lässt Gott das zu?» Ein befreundeter Priester erzählte der Familie eine Begebenheit von Pater Pio: Als in Italien einmal ein Kindergarten eingestürzt ist und viel Kinder umkamen, kam ein Vater zu Pater Pio und fragte, wie Gott das hatte zulassen können. Pater Pio antwortete kurz: Gott macht keine Fehler. Diese Hoffnung, dass Gott keine Fehler macht, half der Familie. «Ob wir das Handeln Gottes verstehen oder nicht, aber mit dieser Zuversicht: Es ist kein Fehler, es ist das Beste.» Und Claudio erinnert an Röm 8,28: «Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht.» «Diese Zuversicht hat uns durch die ganze Schwangerschaft begleitet.»

Der Tod ihres Sohnes Rafael Domenico schmerzt Claudio und Snjezana noch immer. Doch sie sind dankbar für die Zeit mit ihrem Sohn. Trotz des Verlusts ihres Kindes können sie auch Positives sehen. «Wir haben von den Ärzten immer wieder gehört, sie hätten noch nie ein Paar gesehen, dass ein solches Schicksal so positiv und ruhig trägt», erzählt Claudio. «Ich denke, ein Wunder, das Gott durch Rafael gewirkt hat, ist, dass wir Zeugnis geben konnten.» Snjezana hingegen durfte erleben, dass sie durch die Schwangerschaft mit Rafael noch näher zu Gott fand. «Mit einem gesunden Kind hätte ich diese Erfahrung vermutlich nicht in diesem Mass machen dürfen.»

Der Glaube hat Snjezana und Claudio geholfen, ihren Sohn anzunehmen, zu lieben, zu verteidigen und dann loszulassen. «Viele Leute verstehen nicht, dass man Jesus und auch Maria im Leiden am nächsten ist», hält Claudio fest. «Niemand hat so gelitten wie Jesus und dann auch Maria. Wir vergessen oft, dass wir gerade in solchen Momenten von Gott getragen werden.» Snjezana erklärt mit Nachdruck, dass sie alles wieder so machen würde, wie sie es getan hat. «Ich habe mein Kind mega geliebt, aber die Liebe von unserem himmlischen Vater ist unendlich viel grösser. Das ist für mich ein Trost.»


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


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Bemerkungen :

  • user
    Daniel Ric 28.09.2024 um 08:06
    Wunderbar, dass es solche Menschen gibt!
  • user
    Xaver Baumberger 26.09.2024 um 13:13
    Vielen herzlichen Dank für dieses ermutigende Zeugnis!
  • user
    Snjezana Tessari 24.09.2024 um 16:00
    Ergänzung
    Über die siebenmonatige Schwangerschaft könnte ich wahrscheinlich noch ein Buch dazu schreiben, hätte noch so Vieles zu sagen. Was wir im Bericht vergessen haben zu erwähnen ist, dass uns auch vor allem Gespräche mit Geistlichen geholfen haben. Ein grosses Dankeschön geht an unsere katholische Priester, die mich mit Seelsorgegespräche sowie mit dem Sakrament der Beichte, geistlich unterstützt und ermutigt haben. Viele Beispiele aus ihren privaten Erfahrungen und Erlebnissen ihrer Familie offen mit mir gesprochen haben. Sie zeigten mir mehr die irdische sowie die geistliche Klarheit.
    Ich wurde immer wieder von den Ärzten gefragt, ob ich einen Psychologen bräuchte, auch nach der stillen Geburt… ich dachte mir - ich habe schon den besten Arzt, der durch unsere kath. Priester zu mir spricht. Wir dankten und lehnten einen Psychologen ab, und meinten wir hätten diese „Situation“ viele Male mit unsere Seelsorger besprochen.
    Mein grosses Anliegen ist, das die Ärzte den werdenden Eltern nicht so viel Angst und Druck machen. Sie sollten die Familien ermutigen und ihnen die richtige Option aufzeigen, als nur die eine: Abtreibung!