Ignatius von Loyola von Peter Paul Rubens, 1600, Ausschnitt. (Bild: Public domain, via Wikimedia Commons)

Weltkirche

Igna­tius von Loyola: Prä­gende Gestalt des Katho­li­zis­mus der Neuzeit

Am 31. Juli 1556 starb Igna­tius von Loyola. Eine lebens­be­droh­li­che Kriegs­ver­let­zung öff­nete ihm den Blick für seine spe­zi­fi­sche Beru­fung: die Nach­folge Christi im Sinne einer radi­ka­len Hin­wen­dung zur Welt, um so Gott in allen Din­gen zu fin­den. Seine die Katho­li­sche Kir­che der Neu­zeit prä­gende Per­sön­lich­keit fas­zi­niert bis heute.

Ignatius von Loyola wird 1491 als jüngstes von 13 Kindern einer wohlhabenden Familie im spanischen Baskenland geboren. Seine Mutter stirbt, als er sieben Jahre alt ist. Da er einem alten Rittergeschlecht entstammt, bekommt er eine höfisch-militärische Ausbildung. Sein Geburtsjahr markiert eine wichtige Zäsur in der Geschichte Spaniens: 1492 werden die letzten Reste der maurischen Fremdherrschaft abgeschüttelt, die nationale Freiheit und Einheit erkämpft. Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus eröffnet neue Horizonte. Spanien steigt zur Grossmacht empor. Im machtvollen Ausgreifen auf überseeische Gebiete verkörpern sich ein starker politischer Wille und ein leidenschaftlicher missionarischer Geist zugleich.

Eine Bekehrung von epochaler Ausstrahlung
In dieser Welt, von ihr geprägt und sie bald auch machtvoll mitprägend, beginnt Ignatius von Loyola seinen Weg. Als jüngster Sohn von der Familie zum Kleriker bestimmt, geht sein ehrgeiziges Streben jedoch nach weltlichem Ruhm. Ein klarer Verstand, soldatischer Mut, diplomatisches Geschick, ein feuriges Temperament und ein unbeugsamer Wille sind wie gemacht für eine grosse politische und militärische Laufbahn. Als er 1521 die Festung von Pamplona gegen die Franzosen verteidigt – Ignatius ist die Seele des aussichtslosen Widerstandes gegen die französische Übermacht – wird dem 30-Jährigen das rechte Bein durch eine Kanonenkugel zerschmettert und das linke schwer verletzt. Das äusserst qualvolle Krankenlager, lange Zeit zwischen Leben und Tod schwebend, wird zur ersten Stufe seiner historisch so bedeutungsvollen Bekehrung. Es ist zugleich das Ende seines ersten Lebensabschnitts, in dem er nach eigenen Angaben ein Mann war, «der sich den Eitelkeiten der Welt hingab, dessen Hauptvergnügen in kriegerischen Übungen bestand, mit einem grossen und eitlen Wunsch, Ruhm zu erlangen» (Autobiografie 1).

Zur weiteren Behandlung wird Ignatius nach Loyola gebracht. Während des monatelangen Krankenlagers liest er ein Buch über das Leben Christi sowie ein Buch über das Leben von Heiligen – die einzigen Bücher, die vorhanden sind. Den Prolog zum Buch über die Heiligen hat ein Zisterziensermönch geschrieben, der den Dienst an Gott als heiliges Rittertum versteht. Diese Sichtweise berührt Ignatius sehr. Nach reiflicher Überlegung beschliesst er, das Leben der Heiligen nachzuahmen, um so für seine Sünden Busse zu tun.

Auf Heimat, Familie und irdischen Reichtum verzichtend beginnt Ignatius im Frühjahr 1522 seine Pilgerreise. Er geht nach Montserrat, einem Wallfahrtsort im Nordosten Spaniens. Dort verbringt er drei Tage damit, die Sünden seines ganzen Lebens zu bekennen, vertauscht seine Ritterkleidung mit einem armseligen Pilgerrock und hängt sein Schwert in der Nähe der Statue der Jungfrau Maria auf als Symbole seiner inneren Umkehr. Eine Pestepidemie verhindert die geplante Pilgerreise ins Heilige Land. Die lange Wartezeit im kleinen Städtchen Manresa wird ihm zur grundlegenden Prüfung und entscheidenden Durchbruch zum «neuen Leben». «Die Monate des unablässigen Ringens im Gebet und in harten Bussübungen führen in letzte Tiefen, in völliges Dunkel der Seele, in abgründige Gewissensangst, nahe an den körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Die Trostlosigkeit, Unruhe und Verzweiflung aber weicht schliesslich einem neuen tiefen Frieden. Ignatius erkennt in dieser Höllenfahrt im Rückblick die notwendige Erprobung, Läuterung und Zurüstung zum Ritter in der Nachfolge Christi. Der grossen Prüfung folgt eine Fülle von Gnadengaben, von Visionen und Erleuchtungen, gipfelnd in der Gnadenstunde am Cardoner (einem Fluss in der Nähe von Montserrat), die als das zentrale Ereignis im Leben des Ignatius wie in der Vorgeschichte des Ordens angesehen wird» (Prof. Werner Kägi, Gutachten zum Jesuiten- und Klosterartikel der Bundesverfassung).
In diesen Monaten wird ihm zusehends sein eigentliches Lebensziel bewusst: das «Gott finden in allen Dingen», die Hingabe im Dienste Gottes wie im Dienste an den Menschen («den Seelen helfen»). Hier, an dieser schicksalshaften Stätte, sind auch die Geburtsstunde der «Exerzitien» wie auch jene der Gesellschaft Jesu zu verorten. Dabei wird ihm auch klar, dass er seine Lebensaufgabe nur als Priester und auf Grund einer soliden wissenschaftlichen Ausbildung bewältigen kann. Eine Lebensaufgabe, die er zukunftsweisend für die Erneuerung der ganzen Kirche nicht in einer mönchischen Abkehr von der Welt, sondern vielmehr gerade in einer neuen Hinwendung zur Welt im Sinne des apostolischen Dienstes versteht.

Im März 1523 bricht er zu einer Pilgerfahrt nach Jerusalem auf, das er am 4. September erreicht. Er will im Heiligen Land bleiben, doch die Franziskaner, die die heiligen Stätten betreuen, wollen nichts davon wissen. So kehrt er im Oktober nach Spanien zurück.

Ein erstes Ziel und viele Schwierigkeiten
Ignatius möchte Seelsorger werden und beginnt zunächst das Studium in Barcelona, dann ab 1526 in Alcalá. Während des Studiums lernt er Gleichgesinnte kennen. Doch Ignatius gerät bald unter den Verdacht der Ketzerei und wird vor Gericht gestellt. Nach seinem Freispruch geht er nach Salamanca, wo er zusammen mit seinen Gefährten festgenommen wird. Erneut wird er freigesprochen, doch er hat jetzt genug. Er zieht die Konsequenzen und verlässt Spanien in Richtung Paris: «An der Sorbonne kommt er in Kontakt mit den grossen Strömungen des abendländischen Geisteslebens, insbesondere mit dem Humanismus in seinen verschiedenen Spielarten, der christlichen, der religiös indifferenten und da und dort auch schon betont atheistischen, wie auch mit den ersten Ausstrahlungen der Reformation. Inmitten dieser grossen geistigen Auseinandersetzung – vor allem auch mit dem Humanismus des Erasmus von Rotterdam – wird er sich seiner eigenen theologischen Position zusehends klarer bewusst. Keine Wirkungsstätte des europäischen Geistes hätte ihn für seine künftige Aufgabe besser vorbereiten können als die damalige Sorbonne» (Werner Kägi, ibid.). In Paris findet er auch wieder Gefährten, die seine Ideale teilen. Da die Lebensweise dieser kleinen Gemeinschaft wiederum für Aufsehen sorgt und er sich vor den religiösen Autoritäten erklären muss, entscheidet er sich, bis zum Ende des Studiums nicht in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Am 15. August 1534 geloben Ignatius und seine Gefährten – darunter der heilige Franz Xaver, der zu einem der grössten Missionare des Ordens werden soll – auf dem Montmartre Armut und Keuschheit, wenn auch noch ohne die ausdrückliche Absicht, einen religiösen Orden zu gründen.

Ignatius und die meisten seiner Gefährten werden am 24. Juni 1537 in Venedig zu Priestern geweiht. Sie möchten ins Heilige Land reisen, doch das ist aufgrund der aktuellen Lage nicht möglich. Sie beschliessen, sich in den Dienst der Kirche, das heisst des Papstes zu stellen. In den nächsten 18 Monaten sammeln sie erste Erfahrungen in der Seelsorge in Rom. Im Jahr 1539 gründen die Gefährten einen Orden und legen zusätzlich zu den bereits erfolgten Gelübden der Armut und Keuschheit ein Gehorsamsversprechen gegenüber einem Oberen sowie gegenüber dem Papst ab. Die päpstliche Bestätigung der «Gesellschaft Jesu» erfolgt am 27. September 1540. Ein Jahr später wird Ignatius einstimmig zum ersten Generaloberen gewählt und bleibt fortan in Rom.
 


Ein neuer Orden mit ungewohnten Eigenheiten
Die wohl wichtigste Arbeit seiner späten Jahre ist die Abfassung der Konstitutionen der «Gesellschaft Jesu». Dieser Orden ist insofern etwas Neues, als zum ersten Mal das Leben einer religiösen Gemeinschaft ganz von den Anforderungen des Apostolats her geprägt ist: Der Dienst am Nächsten ist nicht eine Tätigkeit unter anderen, sondern das Grundanliegen, dem die ganze Lebensform zu dienen hat. Die «Gesellschaft Jesu» soll vor allem ein Orden von Aposteln sein, «die bereit sind, in jedem Teil der Welt zu leben, wo es Hoffnung auf Gottes grössere Herrlichkeit und das Wohl der Seelen gibt». Oder wie es in den geistlichen Übungen, den sogenannten Exerzitien heisst: «Einzig das zu verlangen und zu wählen, was uns mehr fördert zum Ziel, für das wir geschaffen sind.» Mit grossem gesetzgeberischem und diplomatischem Geschick hat Ignatius diese existentielle Herausforderung, sprich die Konkretisierung der «ersten Regel» in den «Konstitutionen», bewältigt: «Der Briefwechsel, der gegen 7000 Briefe umfasst, gibt einen Begriff von der Grösse und Komplexität dieser Aufgaben. Seine Mitarbeiter bezeugen übereinstimmend die unerbittliche Strenge des Ordensgenerals, wo es im Interesse des Aufbaus des rasch wachsenden Ordens nötig war – nachdem die anfängliche Begrenzung auf 60 Mitglieder vom Papst aufgehoben worden war, erreichte der Orden noch zu Lebzeiten seines Gründers das erste Tausend seiner Mitglieder, gleichzeitig aber den Geist brüderlicher Liebe und Fürsorge» (Werner Kägi, ibid.).

Zugunsten einer grösseren Anpassungsfähigkeit und Mobilität verzichtet Ignatius auf einige der traditionellen Formen des religiösen Lebens wie das gemeinsame Chorgebet oder Ordenskleidung. Es gibt auch keine Klöster, sondern Häuser. Aus dem gleichen Grund entscheidet er sich für eine straffe Ordensleitung. Hier ist auch das spezielle Gehorsamsgelübde gegenüber dem Papst einzuordnen. Die «Gesellschaft Jesu» will ihre Tätigkeit nicht auf ein Bistum oder ein Land beschränken; sie braucht also den Papst, der eine Übersicht über die ganze Christenheit hat und der ihnen die nötigen geistlichen Vollmachten geben kann. Eine päpstliche Bulle macht kurz nach der Gründung die Provinzen der «Gesellschaft Jesu» unabhängig von den jeweiligen Bischöfen. Ihre innere Identität schöpfen die Jesuiten aus den Exerzitien des Ignatius. Er besteht zudem auf einer langen und gründlichen Schulung der Ordensmitglieder.

Zunächst wehrt sich Ignatius, seine Gefährten als Erzieher einzusetzen. Doch schon bald erkennt er den Wert des Erziehungsapostolats und ist in seinen letzten Jahren eifrig damit beschäftigt, die Grundlagen für das Schulsystem zu legen, das seine Gemeinschaft weitgehend zu einem Lehrorden machte und in den berühmten «Kollegien» seinen kongenialen Ausdruck fand.

Ignatius ist davon überzeugt, dass Frauen besser von Frauen als von Männern geleitet werden und schliesst nach einigem Zögern einen weiblichen Zweig des Ordens entschieden aus; auch weil zu dieser Zeit Frauen nicht hätten seelsorgerlich wirken können. Einen klaustrierten Frauenzweig lehnt er ebenfalls ab, da er die seelsorgerliche Verpflichtung scheut, die andere Männerorden in ihren jeweiligen klaustrierten Frauenzweigen zu erfüllen haben. Es entstehen im Laufe der Zeit aber ignatianisch geprägte Frauengemeinschaften wie z. B. die «Congregatio Jesu» (Mary Ward-Schwestern/Englische Fräulein) oder die «Kongregation der Helferinnen».

Die «Gesellschaft Jesu» verbreitet sich rasch. Als Ignatius am 31. Juli 1556 stirbt, gibt es rund 1000 Jesuiten in 12 Provinzen: je drei in Italien und Spanien, zwei in Deutschland und je eine in Frankreich, Portugal, Indien und Brasilien.

Ignatius von Loyola wird 1609 von Papst Paul V. selig- und 1622 von Papst Gregor XV. heiliggesprochen. 1922 erklärt ihn Papst Pius XI. zum Patron der geistlichen Exerzitien.


Redaktion


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Bemerkungen :

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    Meier Pirmin 31.07.2024 um 08:57
    Zu den eindrücklichsten "Begegnungsmöglichkeiten" mit dem heiligen Ignatius gehört die Höhle in Manresa, heute eine Art Höhlenkirche wie Mariastein, am Fusse des Montserrat in Katalonien. In der Geschichte der Mystik liegt seine Bedeutung in der Systematisierung und, nicht zu unterschätzen, Disziplinierung der Meditation, wohingegen zu ehrgeizige Askese und letztlich auch die Unio in der Eckhartschen Tradition oder derjenigen des Juan de la Cruz eher unjesuitisch anmuten.

    Absolvierte bei den Benediktinern in Sarnen 1965 mit Exerzitienbüchlein und Biographie des Heiligen diese Art Exerzitien. Die ganz grosse Zeit der Jesuiten als Lehrer fand in den Jahrzehnten vor der Bundesstaatsgründung in Freiburg statt, zur Zeit der Gegenreformation schon unter Canisius, der aber die Scholastik an der Montanerburse in Köln lernte, wie vor ihm Glarean und der reformiert gewordene Systematiker Bullinger. In Frankreich haben sich die Jesuiten intensiv und massgeblich auch mit den Naturwissenschaften befasst, das Niveau der Nation massgeblich mitbefördert. Der grösste Gelehrte Kroatiens war der Jesuit Ruder Boskovic, der wohl bedeutendste katholische Interpret Newtons, auch eindrücklicher Theoretiker der Materie, der freilich in Rom und Mailand Karriere machte. Seine Werke las ich als Philosophielehrer mit Gewinn. Von grosser Bedeutung betr. die letzten 100 Jahre waren die jesuiten im Akademikerhaus der Uni ZH, von wo aus sie auch ein apologetisches Institut begründeten mit der Zeitschrift "Orientierung". Diese praktizierte mit der Zeit, wenngleich anregend, den "Vorauseilenden Gehorsam", da man es sowieso besser wusste als Rom. Wegen Nachwuchsmangel sank freilich das intellektuelle Niveau der Schweizer Jesuiten in den letzten Jahrzehnten deutlich. Es ist heute für einen interessierten Katholiken kein Problem mehr, gleich gescheit zu sein wie ein Jesuit. Satirisch nannte man SJ früher "Schlaue Jungen" im Gegensatz zu OSB "Ohne Sonstige Beschäftigung". Eine gewisse Neckerei gehörte schon immer zum Ordensleben. Selber engagierte ich mich 1973 für die Abschaffung der diskriminierenden Jesuiten- und Klosterartikel und staunte, wie diese besonders bei frommen Protestanten z.B. im Kanton Bern weiterhin verteidigt wurden, während Generationen früher Jeremias Gotthelf und Dürrenmatts Grossvater Uli Dürrenmatt den Vorurteils-Charakter der Politik des Kulturkampfes noch klar durchschauten.
  • user
    Stefan Fleischer 31.07.2024 um 08:33
    Sein Lebensziel
    «Gott finden in allen Dingen», die Hingabe im Dienste Gottes wie im Dienste an den Menschen («den Seelen helfen»).
    Diese Ziel des Lebens ist heute nur noch schwer zu finden. Heute wird Gott bis hinein in unsere Kirche oft viel zu wenig ernst genommen. Und der Dienst an den Menschen beschränkt sich vielerorts auf das irdische, physische wie psychische Heil des Menschen. Das Heil der Seelen wird sträflich vernachlässigt. So aber kann Neuevangelisation nie gelingen.