Selbstmordkapsel «Sarco», 2019. (Bild: Ratel, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

In der Selbst­mord­kap­sel «Sarco» wird es zuerst kalt

Wenn man nur den Wer­be­ef­fekt betrach­tet, hat die Orga­ni­sa­tion «The Last Resort» in den letz­ten Tagen alles rich­tig gemacht. Die Bil­der der futu­ris­tisch design­ten Selbst­mord­kap­sel gin­gen um die Welt. Die ethi­sche Bewer­tung der Katho­li­schen Kir­che ist klar. Unab­hän­gig von der gewähl­ten Methode ist der Sui­zid abzulehnen.

Mit der Intention, sich selber das Leben zu nehmen, kann das «Vaterunser» nicht mehr ehrlich gebetet werden: «Vater unser im Himmel, ... dein Wille geschehe». Noch nie hat die Medizin so potente Schmerzmittel einsetzen können wie heute. Im Vergleich zu Morphium weist z. B. Fentanyl eine etwa 100-fache Wirkstärke auf. Palliative Care ist die ethisch angezeigte Alternative zum assistierten Suizid. Diesen Standpunkt vertritt die Lehre der Katholischen Kirche.

Die Organisation «The Last Resort» verspricht auf der Webseite «einen freiwilligen, friedlichen und zuverlässigen Tod» zu einem Zeitpunkt der eigenen Wahl. Da drängt sich die Frage auf, ob das bei der Einnahme der tödlichen Dosis des Schlafmittels Natrium-Pentobarbital, wie das die Organisationen Exit und Dignitas praktizieren, etwa nicht der Fall ist? Man erinnere sich an die Plastiksack-Affäre, als im Jahr 2000 ein Exit-Sterbehelfer zu sechs Monaten Gefängnis bedingt verurteilt wurde. Was war geschehen?
Im Dezember 1998 hatte er einer Frau assistierten Suizid geleistet. Nach der Einnahme des tödlichen Natrium-Pentobarbitals lebte diese aber stundenlang weiter. Der Exit-Sterbehelfer geriet in Panik und schickte die am Sterbebett anwesende Tochter auf einen Spaziergang. Als diese zurückkam, fand sie zu ihrem Entsetzen ihre Mutter mit einem Plastiksack über dem Kopf auf dem Bett liegend vor. Der «assistierte Suizid» ist in diesem Fall in die in der Schweiz verbotene Form der «Tötung auf Verlangen» umgekippt. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall.

Es gibt eine Studie aus den Niederlanden, die im selben Jahr im angesehenen «New England Journal of Medicine» erschienen ist. Dabei wurde u. a. der Verlauf von 114 assistierten Suiziden untersucht. In 21 Fällen (18 Prozent) entschied sich der Arzt aufgrund von Komplikationen schliesslich für die Verabreichung eines tödlichen Medikamentes. Bei 19 Prozent betrug die Zeit bis zum Tod nach assistiertem Suizid zwischen 45 Minuten und 7 Tagen. Aktuelle Studien zu diesem Thema habe ich auf Anhieb nicht gefunden.
Heute verabreicht man vor der Einnahme der tödlichen Dosis einen sogenannten Magenschoner, ein Medikament, das die Gefahr des Erbrechens und daraus folgende Komplikationen nach der Einnahme der tödlichen Dosis verringert.

Jedenfalls ist mit der Aussage der Organisation «The Last Resort», wonach es Sterbehilfeorganisationen gäbe, die für den assistierten Suizid über 10 000 Franken verlangen, eindeutig «Dignitas» gemeint. Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz nur legal, wenn keine selbstsüchtigen Motive vorliegen. Darauf wurde in den aktuellen Medienberichten hingewiesen, allerdings ohne auf die hohen Tarife von «Dignitas» einzugehen. Denn diese sind Grund für erhebliche Zweifel an der Uneigennützigkeit von «Dignitas».

Die Entwicklung der Selbstmordkapsel «Sarco» hat über 650 000 Euro gekostet. Der Einzelpreis soll rund 15 000 Euro betragen, wobei keine Selbsttötungskapseln verkauft werden. Nur der dazu benötigte flüssige Stickstoff, welche die Suizidwilligen selber berappen sollen, kostet 18 Franken. Damit wäre es die «kostengünstigste» Methode, wenn da nicht medizinische und juristische Vorbehalte vorhanden wären. Wenn die Selbsttötungskapsel als medizinisches Gerät betrachtet wird, müsste sie durch «Swissmedic» bewilligt werden. Fraglich ist, ob die Organisation «The Last Resort» die Urteilsfähigkeit der Sterbewilligen und die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches abklärt bzw. eine Abklärung verlangt. Mit der Selbstmordkapsel ist sicher die Tatherrschaft gegeben, denn der Tod muss selbst und freiwillig herbeigeführt werden. Da die Selbsttötung mit «Sarco» ein aussergewöhnlicher Todesfall ist, müsste der leichenbeschauende Arzt unverzüglich die zuständige Strafuntersuchungsbehörde (Polizei oder Untersuchungsrichter) beiziehen.

Wie kalt wird es in der Selbstmordkapsel?
Nachdem der Knopf für die Selbsttötung gedrückt wurde, so erklärte Fiona Stewart bei der Medienkonferenz vom 17. Juli 2024, höre man nach ein paar Sekunden ein Klicken in der Basis des Gerätes. «Dann werden Sie eine Kühle an den Füssen spüren, weil der flüssige Stickstoff aus den Entlüftungsöffnungen bei ihren Füssen kommt.» Das Niveau des kalten Stickstoffs steigt somit sukzessive nach oben und verdrängt die Luft. Würde man den Stickstoff einfärben, gäbe es eine klare Scheidung zwischen dem Stickstoff und der Luft. Die Frage ist, wie kalt dieser Stickstoff ist. Der Siedepunkt von flüssigem Stickstoff beträgt -196 °C. Das heisst, bei der Expansion müsste er schon noch etwas aufgewärmt werden. Jedenfalls – man möge mir die Bemerkung angesichts des makabren Themas verzeihen – wäre es für Frauen wohl angezeigt, vor dem Einsteigen in die Selbstmordkapsel Winterstiefel anzuziehen.
 

Quellen:
Michael Meier, «Sterbehilfe via Plastiksack verurteilt», Tages-Anzeiger, 29. Dezember 2000, S. 7.
Groenewoud J. H., Van Der Heide A., Onwuteaka B. D., Willems D. L., Van Der Maas P. J., Van Der Wal A. G., Clinical Problems With the Performance of Euthanasia and Physician-assisted Suicide in the Netherlands. N Engl J Med 342, 24. Feb. (2000) 551-556.


Roland Graf
swiss-cath.ch

E-Mail

Dr. Roland Graf ist Pfarrer in Unteriberg und Studen (SZ). Er hat an der Universität Augsburg in Moraltheologie promoviert und war vor seinem Theologiestudium als Chemiker HTL tätig.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

Captcha Code Kann das Bild nicht gelesen werden? Klicken Sie hier, um zu aktualisieren

Captcha ist erforderlich!

Code stimmt nicht überein!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Bemerkungen :

  • user
    Roland Graf 20.07.2024 um 11:55

    Es ist zu beachten, dass die erwähnte Studie aus den Niederlanden stammt und über 20 Jahre alt ist. Jene Verhältnisse können nicht ohne weiteres auf den heutigen Ist-Zustand in der Schweiz übertragen werden. Im Gegensatz zu den Niederlanden ist in der Schweiz Tötung auf Verlangen verboten. Die Komplikationen nach der Einnahme des Natrium-Pentobarbitals dürften heute weniger häufig vorkommen als damals, insbesondere wenn der Suizid mit einer Infusion durchgeführt wird, bei der die Person selber den Zulauf öffnet. Das ändert selbstverständlich an der moralischen Verwerflichkeit des assistierten Suizids nichts. Offenbar besteht kein Interesse daran, Studien über Komplikationen zur aktuellen Praxis durchzuführen.


    Palliative Sedierung, die dann meistens vorübergehend ist, kann in manchen Fällen angezeigt sein. Entscheidend ist die Intention, die Schmerzen der Patienten zu lindern. Als zweite nicht intendierte Wirkung wird eine Verkürzung des Lebens in Kauf genommen. Das ist eine sogenannte Handlung mit doppelter Wirkung, die moralisch erlaubt ist. Das gilt auch beim Einsatz von Morphium. Entscheidend ist die Dosis. Je nachdem ist es Schmerzlinderung; bei einer zu grossen Dosis kann das in "Tötung auf Verlangen" oder sogar "Tötung ohne Verlangen" umkippen. Da gibt es eine Grauzone.


    Palliative Care hat per Definition nichts mit assistiertem Suizid zu tun. Allerdings wird das mehr und mehr trotzdem kombiniert. Die Frage ist berechtigt, ob das manchmal sogar in „Tötung auf Verlangen“ mündet. Jedenfalls berichtete die sog. Sterbehelferin Dr. Erika Preisig von einem Workshop im Jahr 2013, in dem ein Fallbeispiel geschildert wurde. Assistierter Suizid wurde durch den Patienten gewünscht, aber von den Angehörigen abgelehnt. Da wurde zusammen mit dem Betreuungsteam entschieden, eine terminale Sedierung durchzuführen. Durchgeführt hat diese terminale Sedierung das Betreuungsteam. Ob das letztlich „Tötung auf Verlangen“ war, lässt sich aufgrund der Kürze des Berichtes nicht mit Sicherheit sagen.


    Vgl. Preisig Erika, Palliativmedizin und Sterbehilfe: Bericht vom Workshop am Ärztekongress Arosa 2013. PrimaryCare 13 (2013) 397-398, siehe Fall 2: https://smf.swisshealthweb.ch/fileadmin/assets/PHC/2013/pc-d.2013.00342/pc-d-00342.pdf

  • user
    Anita 20.07.2024 um 06:03
    Dieser Beitrag bestätigt mir meine bisherige Vorstellung, dass es nicht gegeben ist, nach der Einnahme von Natrium-Pentobarbital innert wenigen Minuten tot zu sein. Wie schrecklich...denn gerade das wünscht man sich ja so sehnlichst und dafür bezahlt man ja auch.

    19 % der Exit-"Teilnehmern" wird nachgeholfen... ob die Sterbehilfeorganisationen kommunizieren?

    Die Aufzeichnung von Dr. Roland Graf zeigt mir einmal mehr, Gott allein ist der Herrscher über Tod und Leben. IHN kann man auch nicht mit Exit oder Dignitas "ausschalten" oder dieses "U-Bootes".

    Die Idee mit den Winterstiefeln ist wirklich ratsam... denn es könnte in der Ewigkeit kalt resp. sehr warm werden.

    Eine offene Frage bleibt für mich an den Autor, was er über die palliative Sedation denkt?
  • user
    Kurt Vogt 19.07.2024 um 23:03
    Darf mal kritisch nachgefragt werden: Wieviel Werbung wird durch alle Medien für diese Kapsel gemacht - auch wenn sie in den Artkeln abgelehnt wird? - und wo wird wirklich über die Würde des menschlichen Lebens berichtet?
  • user
    ser AD 19.07.2024 um 11:15
    VAter im Himmel, Dein Wille geschehe ... auf Erden.

    Das ist wohl die Grundlage der katholischen Moral - nicht der "Ethik" - ein philosophisch-wokes Modefach für Leute die von Gott nicht sprechen und trotzdem auf Erden als gerecht erscheinen wollen.

    Linderungspflege ("palliative" care) ist also die MORALISCHE Alternative zum Suizid, nicht die "ethische" (ethos = Gewohnheit, mos = Ziel, Herrlichkeit Gottes).

    im übrigen: warum sollen nur Frauen Winterstiefel montieren, und die Männer? vollabschliessende Schweissbrillen?
    • user
      Meier Pirmin 23.07.2024 um 10:42
      Was Sïe über Ethik als Ersatzreligion ohne Wertmassstäbe in Richtung letzten Grund ausführen, ist bestenfalls Zivilreligion und müsste dann dispensierbar sein, wenn man sich über einen vertrauenswürdigen alternativen Unterricht ausweisen kann. der allerdings durch ein qualifiziertes Literaturverzeichnis, die Bibel inbegriffen, ausgewiesen sein müsste. Eine Lehrperson Ethik, die zum Beispiel eine Ideologie in Richtung "woke" unterrichtet, ist dazu nicht berechtigter als sagen wir mal ein Mitglied von Scientology mit ihrer Sektenreligion.
  • user
    Claudio Tessari 19.07.2024 um 10:48
    Die zentrale Frage ist doch auch, wer steckt dahinter? Eine Tötungsmaschine kostet 15'000.00. Jemand muss diese bedienen, die Leiche herausnehmen, aber der Selbstmörder zahlt nur die Kosten für den Stickstoff. Irgendwie geht diese Rechnung nicht auf. Dahinter stecken sicherlich die gleichen grossen Player welche Milliarden in die Abtreibung investieren. Es ist und bleibt einfach dämonisch.