Ihr Leserbrief betreffend Churer Verhaltenskodex im «Bote der Urschweiz» hat zu einem von kath.ch inszenierten Shitstorm geführt. Haben Sie die polemischen Reaktionen überrascht? Wo sehen Sie die Gründe für diese Hetzkampagne?
Pfr. Ruedi Nussbaumer: Mir gingen die ewigen Missbrauchsartikel langsam auf den Wecker, auch der von der Kantonalkirche Schwyz und Generalvikar-Bote-Artikel vom 2. Februar, dass der Verhaltenskodex angeblich in den nächsten Monaten unterschrieben werde. Dabei erfuhr man erst kürzlich im Dekanat von der Personalverantwortlichen des Bistums, dass die Unterschrift nicht das Primäre sei, sondern die Schulungen und Besprechungen mit Mitarbeiter- und Jugendteams. Dann, im letzten Absatz des Boten, tönte es wieder ganz harmlos: «Zurzeit seien keine spezifischen Fälle bekannt» – «Kein akutes Problem». Und ich fragte mich: Warum dann ständig diese Schlagzeilen? Wir sind doch dran! Deshalb schrieb ich einen Leserbrief, der dann scheinbar schon am Vorabend zu kath.ch kam und zerrissen wurde. Und im Nachhinein schrieb dann ein Redaktor, dass ich Unruhe in die Kirche brächte. Hallo, wer hat da Unruhe produziert mit täglich neuen menschenverachtenden Hetzartikeln?
Der von Ihnen kritisierte, mit einem Wust von Grafiken zugemüllte Churer Verhaltenskodex enthält mehrere theologische Schwachstellen. Welche?
Es geht vor allem um jene Passagen, in welchen die Unterzeichnenden dazu verpflichtet werden, in ihrem Verhalten der LGBTQ-Ideologie nachzufolgen. Beispielsweise muss man ein Outing von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorbehaltlos unterstützen. Im Grunde müssen Bibelstellen, z .B. einschlägige Stellen (Röm 1, 26-27; 1 Kor 6,9; Eph 5,3) implizit gemieden werden wie der Teufel das Weihwasser. Unbiblisches Verhalten, gemeint ist die ausgelebte Sexualität aufgrund der sexuellen Orientierung, dürfte nicht mehr kritisiert werden. Der Verhaltenskodex mischt sich mit den LGBTQ-Passagen in die Verkündigung, in die Katechese und auch in die Ehevorbereitung ein, allenfalls auch in Beichtgespräche.
Ein gravierender Punkt ist zweifelsohne der in Punkt 2 (Umsetzung) enthaltene Passus: «Eine Verweigerung der Unterschrift zeigt massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit, da die Person zu Pauschalurteilen neigt oder das Anliegen der Prävention nicht genügend mitträgt. Von einer weiteren Zusammenarbeit ist abzuraten.» Ist nicht gerade diese Andersdenkenden die Eignung für die Seelsorge absprechende Arroganz ihrerseits ein Paradebeispiel von (spirituellem) Machtmissbrauch?
So ist es leider. Diese Frage enthält bereits die Antworten. Ich füge hinzu: Das ist die viel gepriesene Liberalität: Andere nach der eigenen Ideologie zu trimmen. Die paulinische Freiheit des Christenmenschen wird mit Füssen getreten.
In den Medien war davon die Rede, dass im Kanton Schwyz die Möglichkeit geschaffen wurde, den Verhaltenskodex mit einem Vorbehalt unterzeichnen zu können (z. B. Vorbehalt der Treue zum kirchlichen Lehramt). Wie verhält es sich damit konkret? Und warum nicht auch in anderen Teilen der Diözese Chur?
Letzteres frage ich mich auch. Ich denke – und hoffe –, dass jene, die vom Glauben her Bedenken haben, einfach mit Zusatz unterschreiben. Bei jedem Vertrag kann ich doch auch eine aus meiner Sicht zusätzliche Präzisierung anbringen.
Sie haben inzwischen mit Bischof Bonnemain ein Gespräch unter vier Augen geführt. Hat Bischof Bonnemain Verständnis für Ihren Standpunkt gezeigt. Ist er bereit, lehramtswidrige Aussagen im Verhaltenskodex zurückzunehmen?
Das Gespräch verlief sehr mitbrüderlich. Er zeigte die Kodex-Entstehung seit 2019 auf. Und ich verdeutlichte, dass ich mich von Anfang an eingesetzt hätte, dass eine Unterschrift mit Hinweis auf Heilige Schrift und Lehramt der Katholischen Kirche, im Bemühen, Missbrauch zu unterbinden, möglich sein sollte, und ich versuchen würde, alle Mitbrüder und Mitarbeitenden dafür zu gewinnen. Die Präzisierungen unseres Bischofs zum Verhaltenskodex, die heute an die Seelsorgerinnen und Seelsorger geschickt und veröffentlicht wurden, waren für einzelne Mitbrüder ein eher positives Aufhorchen, andere bemängeln, er vertrete weiterhin den Standpunkt, «dass unser Verhaltenskodex (d. h. die Churer oder besser Zürcher Version) im Einklang mit unserem katholischen Glauben stehe». Und sie sehen dies anders.
Die Agnostikerin Karin Iten hat im Migros-Magazin zum Rundumschlag gegen die Katholische Kirche ausgeholt, markiert aber bei der leisesten Kritik an ihrer Person die Mimose («Bischof Bonnemain ist mir in den Rücken gefallen»). Ihre überfällige Forderung nach ihrer Entlassung hat zu einer reflexartigen Solidaritätsbekundung insbesondere unter männlichen Exponenten der «Kirche Schweiz» geführt. Paradebeispiel ist der von kath.ch bestellte «Gastkommentar» von Thomas Boutellier, in welcher er Karin Iten in einem hagiografischen Absturz sondergleichen zur Präventions-Ikone verklärt. Führt der von Iten selbst geschürte Appell an männliche Schutzinstinkte («Bischof Bonnemain muss mir den Rücken stärken») nicht gerade dazu, dass damit ein antiquiertes Frauenbild zementiert wird?
Dazu sage ich nur allgemein: Ich habe bereits unter Bischof Vonderach angefangen, immer meine Eindrücke ehrlich mitzuteilen. Das verstand ich immer so: In einer gerechten Kirche darf jede/jeder sich äussern. Grotesk eigentlich, dass in einer synodal werdenden Kirche von heute die andere Meinung verteufelt und nicht einfach mal stehen gelassen und ehrlich überdacht wird. Natürlich habe ich im Nachhinein manchmal selber gedacht: Da bist du über das Ziel hinaus geschossen! So habe ich schrittweise gelernt, so schnell wie ich mit Worten ausgerutscht bin, auch mich zu entschuldigen. Und wenn zwischendurch das Feiern dazukommt, dann erträgt es auch kritisch-lächelnde Äusserungen, weil man sich inzwischen mag. Ist es nicht das, was unsere Kirche bräuchte, um wieder ins Miteinander zu kommen, aber von beiden Seiten her? Aber der Bischof hat Recht: Das wird wohl nicht gelingen, wenn wir uns nur über Medien austauschen, sondern nur von du zu du und im Gebet für- und miteinander!
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