Nach dem Raketenangriff auf Dnipro am 14. Januar 2023. (Bild: Dsns.gov.ua)

Hintergrundbericht

Jah­res­tag eines bar­ba­ri­schen Aggressionskrieges

Heute vor einem Jahr über­fie­len rus­si­sche Trup­pen die Ukraine. Seit­dem dau­ern die Kämpfe an; die genaue Zahl der Toten und Ver­let­zen ist unbe­kannt, Aber­tau­sende Men­schen flüch­te­ten vor den Kämp­fen in Nach­bar­län­der und auch in die Schweiz. Russ­land hält der­zeit etwa 18 Pro­zent des ukrai­ni­schen Staats­ge­bie­tes im Süden und Osten besetzt.

Zum Jahrestag des russischen Angriffskrieges rief der Kiewer Grosserzbischof Swjatoslaw Schewtschuk der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche zum Gebet für die Ukraine auf. «Es ist ein grosses Wunder, dass der Aggressor, der sich für allmächtig hielt, der die ganze Welt erpressen wollte, sich in der Ukraine die Zähne ausgebissen hat», sagte das Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in seiner täglichen Videobotschaft vom Donnerstag. Es sei ein grosses Wunder, dass sie noch am Leben seien. «Die Widerstandsfähigkeit und der Mut des ukrainischen Volkes haben sich als stärker erwiesen als der russische Stahl, seine Panzer, Raketen und Flugzeuge», so Schewtschuk. Allerdings gebe es Tausende Tote, Zehntausende Verwundete. Rund 700 medizinische Versorgungszentren, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen seien «von russischen Kriminellen angegriffen» worden. Etwa 500 Kirchengebäude, Moscheen und Synagogen seien zerstört. «Die Errungenschaften der Zivilisation, von Kultur, Bildung, Wissenschaft und geistigem Leben hätten »einen schweren Schlag erlitten«.

David gegen Goliath
Der römisch-katholische Bischof von Odessa, Stanislaw Szyrokoradiuk, erklärte, das gemeinsame Standhalten gegen Russlands Angriffskrieg habe der Ukraine Zusammenhalt und Selbstbewusstsein gegeben. «Wir sind zu einer Einheit geworden, wenngleich um einen sehr hohen Preis», sagte er im Telefoninterview der Presseagentur Kathpress. Dass die Ukraine nach einem Jahr Krieg weiter der Übermacht «wie David gegen Goliath» standhalte, nannte der Ordensmann der Franziskaner ein «Wunder».

«Trotz der vielen Kriegs-Traumata sind wir stärker geworden; nicht nur militärisch, sondern auch psychologisch und religiös. Wir fühlen uns heute selbstsicherer als früher, und viele Menschen wollen ihr Land weiter verteidigen», so der Bischof. Wesentlich dazu beigetragen hätten die weltweite Solidarität und Unterstützung für die Ukraine, aber auch der religiöse Glaube der Menschen.

Der erhoffte Frieden und Freiheit für die Ukraine sind aus Sicht des Bischofs aber nur durch einen Sieg über Russland möglich. Ein Verhandlungsfriede mit Gebietsabtritten wäre hingegen ein «falscher Friede», so Szyrokoradiuk: «Das wäre nur eine kurze Pause, nach der uns Wladimir Putin dann erneut angreifen wird.» Da Russlands Machthaber nur auf militärische Gewalt höre, sei die Ukraine bereit, «für einen echten Frieden bis zum Ende zu kämpfen».

Zum Jahrestag des Krieges hat die mit Rom verbundene Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche zu einem Tag von Gebet, Fasten und Almosen aufgerufen; der Pan-Ukrainische Kirchenrat schloss sich an. Mittags um zwölf Uhr Kiewer Zeit begann die Patriarchenkathedrale der Hauptstadt. Danach wird die Staffette über Charkiw, Saporischschja, Odessa, Cherson, Irpin, Melbourne in Australien, Przemysl in Polen, Rom in Italien, Winnipeg in Kanada, Philadelphia/USA bis Buenos Aires weitergegeben.

Der Grosserzbischof lud alle Gläubigen ein, sich dem Gebet anzuschliessen; «denn wir spüren, dass wir gewinnen, wenn wir uns in Gebet, Fasten und guten Taten zusammenschliessen».
 

Interview von swiss-cath.ch mit Pater Nazar Zatorsky, dem Bischöflichen Delegierten für die Ukrainer in der Schweiz

«Russland kennt nur ein Recht: das Recht des Stärkeren»

Anlässlich des Jahrestages des Überfalls auf die Ukraine durch Russland gab Pater Nazar Zatorsky von der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche swiss-cath.ch ein Interview. Pater Nazar Zatorskyy ist Doktorand an der Theologischen Fakultät in Fribourg. Als bischöflicher Delegierter ist er für die ukrainischen Christinnen und Christen in der Schweiz zuständig.

Papst Franziskus sagte wenige Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in einem Interview mit der italienischen Zeitung «Corriere de la Sera», die Nato habe Putin durch ihr Bellen vor der Tür Russlands provoziert. Dies Aussage löste vor allem auch in der ukrainischen Gemeinde in der Schweiz blankes Entsetzen aus. Sie selbst haben gegenüber dem «Blick» erklärt, die Ukrainer fühlten sich vom Papst nicht nur im Stich gelassen, sondern geradezu hintergangen. Hat sich nun der Papst eines Besseren belehren lassen?
Pater Nazar Zatorsky: Das ist schwierig einzuschätzen, weil der Vatikan ständig widersprüchliche Signale aussendet. Man wird den Eindruck nicht los, dass der Papst seine Meinung wechselt, je nachdem, wer seinem Ohr gerade am nächsten steht. Es fehlt da am kritischen Denken, an professionellen Beratern. Dies dürfte auch mit der Herkunft des Papstes zu tun haben. Viele seiner Berater stammen aus Lateinamerika, die gegenüber den USA beziehungsweise gegenüber dem, was man den «Westen» nennt, generell kritisch bis ablehnend gegenüber stehen.

A propos USA – Wie schätzen sie die Rolle ein, die die USA in diesem Krieg einnehmen?
Die Hilfe und Unterstützung der USA sind für die Ukraine unverzichtbar. Für viele im Westen ist der Begriff «USA» ein Reizwort. Sie gelten als imperialistische Macht schlechthin. Nach dieser Logik handelt es sich hier um einen Krieg zweier imperialistischer Mächte. Tatsächlich ist es jedoch so, dass die USA einem Opfer, nämlich der Ukraine, mit überlebenswichtiger militärischer Unterstützung zu Hilfe kommen, einem Land, das für seine Freiheit und Souveränität, für sein Überleben kämpft. Die USA sind gewiss kein Unschuldslamm, so sind ihre militärischen Eingriffe im Irak klar zu verurteilen. Aber in diesem Krieg stehen die USA unmissverständlich auf der Seite des Opfers, sprich der Ukraine. Es ist keine Frage: Russland ist der Aggressor, hat ein friedliebendes Land überfallen, hat völkerrechtliche Verträge gebrochen. Für Russland gibt es nur ein Recht: das Recht des Stärkeren.

Zur Schweiz: Wie beurteilen Sie das Verhalten der Schweiz in diesem Krieg?
Zunächst möchte ich der Schweiz für ihre humanitäre Hilfe ganz herzlich danken, insbesondere auch für die gastfreundliche Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen. Sehr zu schätzen weiss ich insbesondere auch die Tatsache, dass die Schweiz die Gelder russischer Oligarchen eingefroren hat.

Und was halten Sie von der gerade jetzt viel diskutierten und umstrittenen Neutralität der Schweiz?
Die schweizerische Neutralität hat sich zu einer Zeit entwickelt, als sich imperialistische Mächte in Europa gegenüber standen, welche diesen Erdteil in einen Weltkrieg gestürzt haben. Es war richtig, gegenüber solchen Mächten neutral zu bleiben, das Prinzip der Äquidistanz zu beachten. Beim russischen Überfall auf die Ukraine handelt es sich aber um einen Krieg, den ein imperialistischer Aggressor einem friedliebenden Land aufgezwungen hat. Wer in einem solchen Krieg neutral bleibt, unterstützt deshalb zumindest indirekt den Aggressor. Die Schweiz sollte deshalb ihre Neutralität zwar nicht aufgeben, aber neu justieren.

 

Die Ukrainische griechisch-katholische Kirche ist eine Teilkirche der Römisch-Katholischen Kirche und geht auf die Kirchenunion von Brest 1596 zurück. Sie folgt dem byzantinischen Ritus in der Liturgie und in der geistlichen Praxis. Weltweit gehören rund 4,3 Millionen Gläubige zur grössten mit Rom unierten Ostkirche.

 


KNA/Redaktion


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    Martin Meier 02.03.2023 um 10:38

    Ich kann die Ansicht von Pater Nazar nur unterstützen. Es erstaunt, ja entsetzt mich, wie viele treu gläubige Katholiken in der Schweiz sich von Putins Propaganda, er führe einen "heiligen Krieg" gegen den dekadenten Westen, haben vereinnahmen lassen. Dass unsere westliche Gesellschaft krank ist, ist e i n e Sache, die Aggression Moskaus gegen die Ukraine eine völlig andere. Man kann den Teufel nicht mit Beelzebul austreiben.