Der verlorene Sohn Nikolay Losev, 1882.

Kommentar

Jesus und die ver­lo­re­nen Geschwis­ter die­ser Zeit

Papst Fran­zis­kus sagte auf sei­nem Rück­flug vom Welt­ju­gend­tag im Juli 2013 zur Homo­se­xua­li­tät: «Wenn jemand homo­se­xu­ell ist und Gott sucht und guten Wil­len hat, wer bin ich, ihn zu verurteilen?»

Hilft dieser Satz einem ehrlich suchenden Sünder mit gutem Willen wirklich?

Jesus spricht in einem Gleichnis «vom verlorenen und dem daheim gebliebenen Sohn und ihrem gütigen Vater» (Lk 15,11–32).

Es beginnt mit den Worten: «Ein Mann hatte zwei Söhne.»

Dieser Vater, so stellt sich heraus, ist sehr grosszügig und gütig, indem er beiden Söhnen ihren freien Willen lässt. Denn als der jüngere von beiden seinen Vermögensanteil beansprucht, um in die Welt zu ziehen, gewährt ihm der Vater diese Bitte bedingungslos.

Er lässt also seinen Söhnen die Freiheit zu bleiben oder zu gehen, obwohl er weiss, wie jeder dieser Wege enden könnte und obwohl er weiss, dass beide Wege ihren Preis fordern werden.

Entweder gebunden in der Pflichterfüllung gegenüber dem Vater und gerade dadurch wirklich frei oder ungebunden im Vertrauen auf sich selbst und der Aneignung der «Fülle des Lebens» in einer scheinbaren grenzenlosen Freiheit, ohne zu bedenken, dass eine so verstandene Freiheit zwangsläufig in der «Knechtschaft» des eigenen Ichs enden muss.

Ein Sinnbild unserer Zeit?

Nur diejenigen, die sich für den zweiten Weg entscheiden und ihn gehen, machen die Erfahrung seiner Ausweglosigkeit und seiner Folgen, nämlich der allmählichen totalen Versklavung in der Sünde des Eigenwillens durch die Verdrängung der Stimme des stets rufenden Vaters in ihrem Gewissen.
Ein Weg, der zwangsläufig in einer Sackgasse endet, weil die daraus wachsende Sehnsucht nach dem «wirklichen zu Hause» nicht gestillt werden kann.

Die «Gerechten» können diesen schrecklichen Zustand zwar analysieren aber oft nicht empathisch nachvollziehen.

Als sich der jüngere Sohn im Gleichnis vom verlorenen Sohn in diese Ausweglosigkeit hineinmanövriert hatte, weist ihm die Realität seines Lebens, durch sein verbogenes Gewissen hindurch, den Weg zurück in sein eigentliches zu Hause.
Er erkennt, dass er ein Sünder ist. Er weiss, was er verloren hat. Er will es seinem Vater bekennen.
Das ist die Bedeutung von Umkehr.

Da hilft es nicht, wenn Papst Franziskus spezielle Sünden ins Verhältnis zu anderen Sünden stellt oder feststellt, wie sich ein Verbrechen gegenüber einer Sünde definiert.

Sicher ist jedoch, dass der reuige Sohn nicht damit gerechnet hat, was ihn zu Hause wirklich erwartete.

Sein Vater kommt ihm entgegen, Freude herrscht, ein Festmahl wird zubereitet, ein neues Gewand, Ring und Schuhe werden bereitgestellt.
Musik und Reigentanz begleiten das unerhörte Geschehen.

Hierfür hat der ältere Sohn überhaupt kein Verständnis.

Er findet das Verhalten seines Vaters als ihm gegenüber ungerecht.
Er wird zornig und verweigert seine Anwesenheit bei diesem Festmahl.
Er hatte sich mit der Abwesenheit seines Bruders abgefunden und arrangiert.

Diese Position können alle, welche sich unter Opfern entschieden haben, zu Hause beim Vater zu bleiben und ihm zu dienen, gut nachvollziehen, obwohl diese Entscheidung ja auch mit Vorteilen verbunden ist, denn alles, was des Vaters ist, wird mit ihnen geteilt.

Wie sieht es aber mit der anderen Seite aus?

Eine Umkehr setzt Schuldbewusstsein voraus.

Diese Umkehr ist zwangsläufig von viel Leiden und Tränen begleitet.
Es setzt ein grosses Vertrauen in den gütigen Vater voraus.
Es fordert die völlige Aufgabe des Eigenwillens und die Bereitschaft alles aus der Hand des Vaters kommende bedingungslos zu akzeptieren.
Es ist ein Weg durch die Hölle schon im Leben.
Ein Weg der durch Wüsten und Bedrängnisse führt.
Ein steiniger, durch die begangenen Sünden schwer zu gehender Weg.

Am Ende dieser Umkehr aber steht der gütige Vater, der dem Sünder entgegen geht, weil er weiss, welche Anstrengung es den «verloren Sohn» gekostet hatte, umzukehren.

Jesus beginnt ein anderes Gleichnis noch einmal mit den gleichen Worten: «Ein Mann hatte zwei Söhne» (Mt 21,28).

Der eine Sohn, scheinbar gehorsam, verspricht zu tun, was ihm vom Vater aufgetragen wurde, tut es aber schlussendlich nicht.

Der andere Sohn, scheinbar ungehorsam, verweigert seine Zustimmung und tut schlussendlich doch, was ihm aufgetragen wurde.

Jesus bevorzugt den zweiten Sohn und lobt ihn.

Beim «Gleichnis vom verlorenen Sohn» scheint es umgekehrt zu sein.
Und doch nicht ganz.

Denn der gehorsame, ältere Sohn, der auch tat was er gewählt hatte, besteht auf der Gerechtigkeit gegenüber des Tuns seines Bruders und schafft es nicht Barmherzigkeit vor Recht walten zu lassen.

Der zweite, gescheiterte Sohn, kann nur noch auf die Barmherzigkeit des Vaters vertrauen, im Wissen, dass er sich auch der Gerechtigkeit zu beugen hat.

Können wir in der Gestalt und im Handeln des gütigen Vaters in diesem Gleichnis auch Jesus Christus erkennen?
Ich denke ja, denn Jesus handelt in seinem Leben genau so, wie er es den Vater im Himmel tun sieht.

Es gibt Gesetze, die uns vorgegeben sind und wir tun gut daran, uns an ihnen zu orientieren.
Die katholische Kirche muss die vom Lehramt aufgestellten Wegweiser stehen lassen.
Sie dürfen nicht abmontiert werden.
Sie sollten restauriert werden, wenn ihre Schrift nicht mehr lesbar geworden ist.
Und sie sollten verkündet werden.

Das erwarte ich vom «Heiligen Vater» und das erwarte ich auch vom «Volk Gottes».

Es würde den verlorenen Geschwistern unserer Zeit mit Sicherheit auf ihrer Wegfindung mehr helfen als endlose Diskussionen um Gerechtigkeit vor Barmherzigkeit oder Barmherzigkeit vor Gerechtigkeit.

Dies dürfen wir getrost Gott überlassen.
 

Gastkommentare spiegeln die Auffassungen ihrer Autorinnen und Autoren wider.

 

 

 


Magdalena Veletta


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    Daniel Ric 17.04.2023 um 15:46
    Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist sicherlich eines der schönsten des Evangeliums. Frau Veletta macht richtig darauf aufmerksam, dass diese Stelle nicht die Sünde leugnet oder relativiert, sondern uns aufzeigen möchte, dass Gott jedem Menschen die Freiheit lässt, ER aber ständig auf uns wartet und uns ermutigt, unsere Irrwege zu verlassen. Barmherzigkeit macht nur deshalb Sinn, weil es eine Gerechtigkeit gibt. Die Frage, ob Papst Franziskus mit seiner Aussage, dass es nicht an ihm sei, Homosexuelle zu verurteilen, wenn diese Gott suchen, geschickt argumentiert hat oder nicht, ist hingegen nicht isoliert zu betrachten. Ein guter Artikel auf swiss-cath.ch hat vor einigen Wochen die pastoralen Bemühungen unter Johannes Paul II. beleuchtet, homosexuellen Menschen seelsorgerlich beizustehen (https://www.swiss-cath.ch/artikel/seelsorge-fuer-homosexuelle-personen). Papst Franziskus ist hier in einer Kontinuität mit seinen Vorgängern, wobei man die Worte des Heiligen Vaters in den Medien unbedingt so interpretieren möchte, als würde er die Haltung der Kirche zu diesem Thema aufweichen, was objektiv betrachtet nicht zutrifft.
    Eine Sache scheint mir bei diesem Gleichnis noch sehr wichtig: Die beiden Söhne stellen Extrembeispiele dar, die es wohl so in der Realität nicht gibt. Wenn Jesus sagt, dass er nicht gekommen sei, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder, dann meint er damit alle Menschen, da alle Menschen Sünder sind. Keiner von uns kann behaupten, dass er wie derjenige Sohn ist, der den Willen des Vaters ständig befolgt hat. Wir alle sind verlorene Söhne und Töchter, die ständig die Barmherzigkeit des Vaters benötigen, solange wir hier auf Erden sind. Glaubt jemand, praktizierende Homosexualität sei keine Sünde, liegt er falsch. Glaubt jemand aber, er wäre gerechter als ein Homosexueller, liegt er auch falsch, da er sich ein Urteil erlaubt, dass ihm objektiv nicht zusteht. Darum soll man die Worte des Papstes vor allem als Ausdruck seiner Demut verstehen und nicht als Relativierung der Sünde.
    • user
      Hansjörg 17.04.2023 um 16:46
      Wenn der allmächtige Gott nicht gewollt hätte, dass es Homosexualität gibt, würde es diese Lebensform nicht geben, weil Gott ja alles vorhersehen kann.
  • user
    Stefan Fleischer 17.04.2023 um 12:55
    @ Hansjörg
    Die Lehre der unserer Kirche unterschiedet sehr genau zwischen einer homosexuellen Veranlagung, und dem Ausleben dieser Veranlagung. Ersteres ist an sich keine Sünde. Ja, sie kann zu hoher Tugendhaftigkeit heranwachsen, wenn der Mensch diese Neigung beherrscht. Zu einer solchen Selbstbeherrschung ist jeder Mensch berufen, immer und überall, wo seine Neigungen dem Willen Gottes entgegenlaufen. Die Neigung zum Bösen steckt nun einmal - seit der Erbschuld - in jedem Menschen. Jeder von uns hat solche Punkte, die es - mit Gottes Hilfe - zu bekämpfen gilt, wobei m.E. das ehrliche Bemühen vor Gott mehr zählt als irgendwelche mühelose "Erfolge".
  • user
    Hansjörg 17.04.2023 um 11:50
    Hilft dieser Satz einem ehrlich suchenden Sünder mit gutem Willen wirklich?

    Mit dieser Eingangsfrage, und dem nachfolgenden Text, stempelt die Autorin des obigen Kommentares homosexuelle Menschen defacto zu Sündern. Sind wirklich alle lesbischen Frauen und homosexuellen Männer einfach so Sünderinnen und Sünder?
  • user
    Stefan Fleischer 17.04.2023 um 08:39
    Herzlichen Dank für diese treffliche Analyse der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes. Gott ist in der Lage und gewillt in jedem Fall Barmherzigkeit vor Recht walten zu lassen. Aber jene bedingungslose Barmherzigkeit Gottes - von der ich einmal in einer Predigt gehört habe - gibt es nicht. Bedingung ist immer die "bedingungslose" Umkehr, die Einsicht, die Reue und das Bekenntnis. "Vater, ich habe gesündigt!" Das ist zwar meist nicht leicht, aber jedem möglich, der guten Willens ist. Eine Sünder wider den Heiligen Geist wäre es, dieses Angebot der Liebe Gottes auszuschlagen.
  • user
    Claudio Tessari 17.04.2023 um 08:11
    Oder mit den Worten des Heiligen Augustinus: Liebe den Sünder, hasse die Sünde. Oder; liebe den Irrenden, hasse den Irrtum