Von Rosa Luxemburg stammt der berühmt gewordene Satz: «Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden». Damit hat die im Januar 1919 ermordete und in den Berliner Landwehr-Kanal geworfene Frau das, was Demokratie in ihrem Wesen ausmacht, exakt beschrieben: das Ja zur Existenzberechtigung für einen politischen Standpunkt, welcher der eigenen Überzeugung nicht entspricht, ja gegebenenfalls gar widerspricht. Damit scheinen nicht wenige Deutsche ihre liebe Mühe zu haben. Oft scheint dabei die Konzeption einer Demokratie vorherrschend zu sein, die zwar sozusagen definitionsgemäss Änderungen zulässt, ja beabsichtigt («Demokratie braucht Wechsel»). Über die Inhalte solcher Änderungen befinden aber ausschliesslich jene, welche sozusagen exklusiv über die Erkenntnisse zu verfügen meinen, was der Menschheit zum zukünftigen Wohle gereicht – und in eben diese Erkenntnisse und deren staatliche Implementierung haben sich alsdann die Rechtsunterworfenen widerstandslos zu fügen.
«Der katholischen Kirche das Recht auf Stellungnahme grundsätzlich absprechen»
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den beinhart geführten Abstimmungskampf im Vorfeld der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative. Besonders in Wallung geriet dabei der deutsche Andreas Glaser, Professor und Direktionsmitglied des in Aarau ansässigen «Zentrums für Demokratie». Hervorgerufen hatten den unheiligen Zorn des Professors die beiden Landeskirchen, welche die Konzernverantwortungsinitiative befürworteten. In einem Gastkommentar der NZZ vom 12. Oktober 2020 stellte Andreas Glaser die Frage: «Sollte man der katholischen Kirche ein Recht auf Stellungnahme nicht grundsätzlich absprechen?» Die Frage war rhetorisch gemeint.
Diese Geisteshaltung – so bedenklich sie ist – beschränkt sich nun aber keineswegs auf den säkularen Bereich, sondern hat vielmehr auch auf den Binnenraum der katholischen Kirche übergegriffen, wie sich am Prozedere des von der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam aufgegleisten sog. «Synodalen Weges» exemplarisch ablesen lässt: Im September 2022 wurde über den Grundtext «Leben in gelingenden Beziehungen», in welchem u.a. die Homosexualität thematisiert wurde, abgestimmt. Da die Vorlage nicht das notwendige Quorum der Bischöfe erreichte, wurde – inmitten des laufenden Verfahrens – von der «Rennleitung» das zuvor festgelegte Abstimmungsprozedere kurzerhand abgeändert: Für die auf dem Grundtext fussenden sog. «Handlungstexte» wurde entgegen dem zuvor festgelegten Abstimmungsmodus plötzlich eine Abstimmung unter Namensaufruf verfügt, was zum grotesken Ergebnis führte, dass nun Handlungstexte gelten sollen, deren Grundtext zuvor abgelehnt worden war. Undemokratischer könnte ein solcher Eingriff in ein laufendes Verfahren kaum sein, zumal das das Stimmverhalten schützende Abstimmungsgeheimnis geradezu zur DNA einer Demokratie gehört, die diesen Namen verdient.
Es zeugt nun von schier unüberbietbarer Arroganz, wenn die an diesem Manöver an verantwortlicher Stelle beteiligte Irme Stettler-Karp in ihrer Eigenschaft als Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken dem Vatikan, wie unlängst geschehen in einem Interview mit dem Münsteranerportal «Kirche und Leben», einen Mangel an Demokratie vorwirft: «Ich halte es für einen eklatanten politischen Fehler, dass auch der Vatikan demokratische Kernprinzipien für die Klärung innerkirchlicher Fragen nicht gelten lässt, ja wiederholt abgelehnt hat und damit die Demokratie abwertet.» Besonders stossend dabei: die Dame verfügt als Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken über keinerlei demokratische Legitimation. Wer selbst mit demokratischen Grundprinzipien auf Kriegsfuss steht, ist nun wirklich zuallerletzt befugt, andernorts ebensolche Prinzipien einzufordern. Oder vielleicht doch? Benedict Neff von der NZZ hat es auf den Punkt gebracht: Nach den singulären Verheerungen des Nationalsozialismus wollen die Deutschen zeigen, dass sie ihre Lektion ganz besonders gut gelernt haben ... indem sie andere penetrant belehren, was es in Sachen Menschenrechte auf sich hat.
Künstliche Empörung produzieren
Konform mit dieser Geisteshaltung, nur den eigenen Standpunkt gelten zu lassen, ist auch die gerade bei links-progressiven Exponenten oft feststellbare Intransigenz, Andersdenkende, die eine abweichende Auffassung vertreten, pauschal der «Hetze» zu bezichtigen. Ein besonders eifriger Exponent dieser Spezies ist der Bio-Deutsche Simon Spengler, Leiter Kommunikation der römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich. Kurz vor den Sommerferien bezichtigte er in der Kolumne «Grüss Gott Zürich» unser Portal swiss-cath.ch faktenfrei der «Hetze». Zuvor hatte er das Portal kath.net mit demselben infamen Attribut eingedeckt.
Arthur Rutishauser, Chefredaktor der SonntagsZeitung, hat in seinem Editorial vom 6. August 2023 diese Geisteshaltung wie folgt umschrieben: «Den politischen Gegner an irgendeinem Wort aufhängen und dann eine künstliche Empörung produzieren, das ist dermassen einfach geworden, dass die Beteiligten sich nicht davor scheuen, Absurditäten zu verbreiten, an die sie wohl selber nicht glauben. Zum Beispiel dort, wo Widerspruch zur ‹Hetze› wird oder ein nicht genehmer Standpunkt ‹faschistisch›.»
Bei dieser obligaten Empörungsbewirtschaftung muss selbstredend auch die deutsche Journalistin Magdalena Müller mit von der Partie sein: «Traditionalisten hetzen auf ‹X› gegen Helena Jeppesen-Spuhler» titelte sie unlängst auf kath.ch. Immerhin: Aussicht auf Besserung ist in Sicht: Kaum hatte swiss-cath.ch einen Beitrag mit der Überschrift «Kambotscha: Zwei Nonnen und eine neugeborene Kirche» aufgeschaltet, reagierte kath.ch postwendend mit einen «Herz-Emoji». Wenn das kein gutes Omen ist!
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Abgesehen davon hat der Autor in ein paar Punkten nicht unrecht, der Synodale Weg ist sicherlich kein Beispiel von Demokratie (wie erwähnt hat das ZDK nur mangelnde Legitimation) - umgekehrt gilt das für die katholische Kirche an sich ja auch. Trotzdem sollte man bei einer Überschrift wie "Kann Deutschland Demokratie" nicht ein Gremium der dt. Kirche mit dem Land an sich verwechseln.