Die Niederlande gehören zu den am meisten säkularisierten Ländern der Welt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung versteht sich als atheistisch oder agnostisch. Aktuell liegt die Zahl der Kirchenbesucher bei rund 100 000, das sind etwa 2,5 Prozent aller Gläubigen.
Die Katholische Kirche in den Niederlanden beriet in einem Pastoralkonzil von 1966 bis 1970 darüber, wie Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) im Land umgesetzt werden konnten. «Das Pastoralkonzil begann mit grossem Enthusiasmus, aber schliesslich versandeten die Diskussionen und die Teilnehmer wurden müde. Auch gab es damals überzogene Erwartungen, beispielsweise hinsichtlich der Abschaffung des Zölibats.» Letztlich sei dabei aber nichts herausgekommen, so der Kardinal.
Kardinal Eijk sieht im gegenwärtigen deutschen Reformprozess des Synodalen Wegs grosse Ähnlichkeiten zu den Vorgängen in den Niederlanden Ende der 1960er-Jahre.
«Wer Verwirrung stiftet, entfremdet die Menschen von der Kirche. Auf diese Weise werden Sie niemanden zurückholen», so der Kardinal. «Ich möchte den Bischöfen anderer Länder sagen: Machen Sie nicht diesen Fehler, machen Sie nicht unseren Fehler.
Stattdessen solle die Kirche auf Verkündigung und Liturgie setzen, um zukunftsfähig zu sein: «In Pfarreien, in denen der Glaube gut verkündet und die Liturgie mit Würde gefeiert wird, sind die Kirchen voll. Es geht darum, Christus in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn die Menschen Christus entdeckt haben und die Heilige Schrift besser verstehen, werden sie auch die Lehren der Kirche besser verstehen.»
Im Umgang mit Reformen wie der Frage nach der Zulassung von Frauen zu Weiheämtern wandte sich Kardinal Eijk gegen regionale Lösungen: «Wir müssen einen gemeinsamen Weg gehen und dürfen nicht von der Weltkirche abweichen.» Wenn die Einheit in der Verkündigung verloren gehe, verliere die Kirche ihre Glaubwürdigkeit. Ohnehin sei die Mehrheit der Teilnehmer der noch bis Ende des Monats in Rom tagenden Weltsynode nicht begeistert von Genderthemen und der Frauenweihe.
«Wir müssen bedenken, dass Europa nur ein kleiner – und schrumpfender – Teil der weltweiten Kirche ist. Ausserdem denken auch in Europa und Nordamerika nicht alle Menschen in diesen Fragen gleich», sagte der Kardinal.
Kommentar von Niklaus Herzog
Als Zeitgenosse und mittelbar Beteiligter, sprich Student am Friedberg-Gymnasium der Pallottiner in Gossau SG, kann ich den Worten von Kardinal Eijk nur beipflichten. Die nach dem Zweiten Vatikanum in Kirche und Gesellschaft um sich greifenden Verwerfungen hatten im Verbund mit der 68er-Revolution auch vor den Klostermauern nicht Halt gemacht. Wer unter den Studenten etwas auf sich gab und zur Avantgarde gezählt werden wollte, fuchtelte mit dem roten Mao-Büchlein herum (ohne es gelesen zu haben) und skandierte Hồ Chí Minh-Parolen. Um diese Protestbewegung aufzufangen, verordnete die Schulleitung den «progressiven» holländischen Katechismus als Pflichtlektüre im Religionsunterricht. Die anfängliche Euphorie wich relativ rasch der allgemeinen Ernüchterung. Der Grund: Niemand begriff so recht, was der holländische Katechismus eigentlich sagen wollte, seine diffusen, dürftigen, Ecken und Kanten vermeidenden und darum langweiligen Ausführungen interessierten bald einmal niemanden mehr.
Wenige Jahre später begann ich in Münster (D) das Theologiestudium. Verblüfft nahm ich da vom einstweilen durchaus einträglichen Geschäftsmodell eines örtlichen Transportunternehmers Kenntnis. Er bot Busfahrten nach Holland an. Der Grund: Die holländischen Bischöfe erlaubten die Generalabsolution, die damals zu Beginn der 70er-Jahre in Deutschland noch untersagt war. «Wenigstens gehen sie noch zur Beichte», versuchten Geistliche andere und vor allem sich selbst zu beschwichtigen. Das Angebot wurde tatsächlich rege genutzt – allerdings nur kurzfristig. Der Reiz des Neuen verpuffte in kurzer Zeit mit dem Resultat, dass bereits zwei Jahre später weder von der Einzel- noch von der Generalbeichte viel übrig blieb.
Vollständiges Interview auf «Communio»
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Dennoch bin ich überzeugt, dass die Kirche auch ohne die Auswirkungen der 68er-Bewegung in eine tiefgehende Krise geraten wäre. Entwicklungen von Wissenschaft und Technik, der dadurch ermöglichte Wohlstand, aber auch der dadurch bedingte Einfluss auf gesellschaftspolitische Themen, waren wahrscheinlich letztlich viel einflussreicher als die eigentliche 68er-Bewegung. Die 68-er Bewegung hat diese unaufhaltbare Entwickung nur lauthals thematisiert. Und das damals noch nicht seltene autoritäre Gebaren seitens der Kirche, Anspruch auf absolute Wahrheiten zu besitzen und alles und jedes unter normativer Kontrolle zu halten und so das Leben der Menschen a priori prägend bestimmen zu wollen, vermochte solchen Voraussetzungen nicht mehr standzuhalten.
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