Kardinal Gaspard Mermillod in einem Kalender aus dem Jahr 1873 (Ausschnitt).

Kirche Schweiz

Kar­di­nal Gas­pard Mer­mil­lod – ein uner­müd­li­cher Kämp­fer für die Frei­heit der Kirche

Als am 22. Sep­tem­ber 1824 – vor genau 200 Jah­ren – in Carouge GE ein Bube zur Welt kam, ahnte nie­mand, dass die­ses kleine und schwa­che Kind, das bei sei­ner Geburt fast gestor­ben wäre, ein uner­schro­cke­ner Kämp­fer wer­den sollte.

Das Bistum Genf hat eine lange Tradition: Der erste Bischof ist bereits um das Jahr 400 bezeugt. 1533, kurz bevor Genf calvinistisch wurde, verliess der damalige Bischof von Genf, Pierre de La Baume, die Bischofsstadt, um sich in seine Abteien in der Freigrafschaft Burgund zurückziehen. Seine Nachfolger konnten nicht mehr nach Genf zurückkehren; neuer Bischofssitz wurde Annecy (F). Das Konkordat vom 15. Juli 1801, mit dem der Friede zwischen der Kirche und dem französischen Staat wiederhergestellt wurde, ermöglichte die Errichtung des Suffraganbistums Chambéry und Genf, das dem Erzbistum Lyon unterstand, jedoch bereits 1817 in ein selbstständiges Erzbistum umgewandelt wurde. Aber nur zwei Jahre später trennte Papst Pius VII. die katholischen Pfarreien des Kantons Genf trotz des Widerstands des Erzbischofs und vor allem des Pfarrers von Genf vom Erzbistum Chambéry ab und verleibte sie der Diözese Lausanne ein. 1821 entzog der Papst auf Ansuchen der Genfer Regierung dem Erzbischof von Chambéry den Titel des Bischofs von Genf und übertrug diesen dem Bischof von Lausanne, der in Freiburg seinen Sitz hatte.[1]

Das war die Situation, als am 22. September 1824 Gaspard Mermillod in Carouge zur Welt kam. Er besuchte das «Kleine Seminar» in Chambéry (Savoyen) und studierte danach in Fribourg Theologie. Nach seiner Priesterweihe 1847 war er zunächst als Vikar in Genf tätig. Zusammen mit Pfarrer Dunvoyer baute er die Kirche «Notre-Dame» – die erste römisch-katholische Kirche seit der Reformation. Von 1851 bis 1857 reiste der talentierte Prediger Mermillod nach Paris, Rom und dann durch ganz Europa, um Geld für den Bau von «Notre-Dame» zu sammeln. Papst Pius IX. unterzeichnete als Erster die Liste der Spender und übergab 1000 Taler. Später schenkte er der Kirche die Statue «Unserer Lieben Frau», vor der er selbst immer gebetet hatte. Sie befindet sich heute noch in der Apsis der Basilika «Notre Dame». Am 4. Oktober 1857 wurde in der Kirche die erste Messe gefeiert. Im gleichen Jahr wurde Abbé Gaspard Mermillod zum ersten Rektor und später zum Administrator der neuen Pfarrei ernannt.

Im Kreuzfeuer des Kulturkampfes
Papst Pius IX. ernannte am 25. September 1864 Gaspard Mermillod zum Titularbischof von Hebron und Weihbischof von Genf und weihte ihn noch am gleichen Tag in Rom[2]. Im Anschluss soll der Papst zu ihm gesagt haben: «Und du, mein Sohn und nun mein Bruder, da ich dich geweiht habe, geh und gewinne mir dieses Genf, das es wagt, sich das protestantische Rom zu nennen; segne diese Völker, die undankbar sein mögen, aber meine Kinder sind. Unterstütze und tröste die grosse katholische Familie und bekehre die, welche die Ketzerei von der Herde Jesu Christi fernhält.»[3]

Nun residierte seit der Reformation zum ersten Mal wieder ein Bischof in Genf. Die Genfer Regierung ging zunächst davon aus, dass Weihbischof Mermillod die Funktion eines Generalvikars innehätte.

Im Zuge des Kulturkampfes verschlechterte sich die Situation. Ab 1870 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Bischof Mermillod und dem Politiker Antoine Carteret durch das Verbot des religiösen Schulunterrichts, der Einschränkung religiöser Orden, dem Verbot jeglicher religiösen Handlungen auf öffentlichen Plätzen und der Inhaftierung von Geistlichen, die sich diesen Anordnungen widersetzten.
 

 


Bischofs Mermillods entschiedenes Eintreten für die päpstliche Unfehlbarkeit auf dem Ersten Vatikanum verstärkte das Misstrauen der Genfer Regierung. 1871 forderte der Genfer Staatsrat von Étienne Marilley, dem Bischof von Lausanne-Genf, die Verantwortung für den genferischen Teil seiner Diözese selbst zu übernehmen. Als sich dieser weigerte, untersagte der Staatsrat Weihbischof Mermillod alle bischöflichen Funktionen. Als sich Mermillod weigerte, den Anordnungen des Staatsrates nachzukommen, setzte ihn der Staatsrat am 20. September 1872 als Pfarrer ab. Nun intervenierte Papst Pius IX. und ernannte Mermillod am 16. Januar 1873 zum apostolischen Vikar von Genf. Dies wiederum interpretierte der Genfer Staatsrat als Errichtung eines neuen Bistums. In der Folge erklärte der Schweizer Bundesrat am 11. Februar diese Ernennung für nichtig. Die Proteste von Mermillod sowie die Unterstützung durch die Genfer Katholiken und die anderen Schweizer Bischöfe nutzten nichts. Am 17. Februar 1873 wurde Bischof Mermillod in seiner Kirche verhaftet, aus dem Gebiet der Eidgenossenschaft ausgewiesen, an die französische Grenze gestellt und ins Exil gezwungen.

Exkurs: Folgen des Kulturkampfes für die Katholische Kirche
Im angespannten Klima des Kulturkampfes werteten die radikale Regierung des Kantons Genf und zahlreiche Protestanten in der Schweiz die Ernennung Mermillods zum apostolischen Vikar als Provokation. Sie setzten durch, dass in die Schweizer Bundesverfassung von 1874 der Artikel 50 eingefügt wurde. Dessen Absatz 4 untersagte die Errichtung von Bistümern auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft ohne eine ausdrückliche Genehmigung des Bundes.

Bereits die erste Bundesverfassung von 1848 enthielt einen konfessionellen Ausnahmeartikel, der den Jesuiten und ihren «affiliierten Gesellschaften» jegliches Wirken in Staat und Kirche verbot.

Die zweite Bundesverfassung von 1874 gewährte in einem grösseren Umfang Religionsfreiheit, verschärfte aber zugleich die gegen die Katholische Kirche gerichteten Verfassungsbestimmungen – offiziell zum Schutz des Religionsfriedens:

Die Artikel 51 und 52 der Bundesverfassung von 1874 verboten den Jesuitenorden sowie die Errichtung neuer und die Wiederherstellung aufgehobener Klöster. Dieses Doppel-Verbot wurde durch die Volksabstimmung vom 20. Mai 1973 aus der Verfassung gestrichen (54,9 Prozent für, 45,1 Prozent gegen die Aufhebung des Verbotes).

Artikel 75 besagte, dass nur stimmberechtigte Schweizer Bürger weltlichen Standes für den Nationalrat wählbar sind. Damit waren alle Geistlichen von der Wahl in den Nationalrat, und damit indirekt in den Bundesrat, ausgeschlossen. Der Artikel wurde bei der Neuausarbeitung der Bundesverfassung 1999 nicht mehr aufgenommen und stillschweigend abgeschafft.

Wie vorstehend dargelegt, verlangte Art. 50, Absatz 4 für die Errichtung von Bistümern auf schweizerischem Gebiet eine Genehmigung des Bundes.
Diese Regelung wurde 1999 gegen den Widerstand der Katholischen Kirche als Artikel 72 Absatz 3 auch in die neue Bundesverfassung übernommen.
Erst in der Volksabstimmung vom 10. Juni 2001 wurde der Absatz als letzter konfessioneller Ausnahmeartikel ersatzlos gestrichen (64,20 % Ja-Stimmen und 23 von 23 Standesstimmen).

Rückkehr aus dem Exil
Zurück zu Bischof Gaspard Mermillod. Genf erliess 1873 ein Gesetz, wonach alle Geistlichen einen Eid auf die Staatsgesetze leisten mussten; wer dies nicht tat, wurde abgesetzt. Die Pfarrer der von Rom getrennten Christkatholiken leisteten diesen Eid im Gegensatz zu den römisch-katholischen Priestern. Fast alle römisch-katholischen Kirchen wurden darauf zugunsten der Christkatholiken beschlagnahmt. Erst 1912 konnten die Katholiken die Kirche «Notre-Dame» für 200 000 Franken zurückkaufen.
 


Der aus der Schweiz ausgewiesene Bischof Mermillod leitete seinen Sprengel zunächst vom französischen Grenzort Ferney aus, ab 1880 von Monthoux (Hochsavoyen). Erst nach der Aufhebung des Apostolischen Vikariats Genf durch Papst Leo XIII. und einer Intervention von Joseph Déruaz, dem Pfarrer von Lausanne, bei Bundesrat Louis Ruchonnet konnte Gaspard Mermillod 1883 nach zehn Jahren im Exil in die Schweiz zurückkehren und den soeben frei gewordenen Sitz des Diözesanbischofs von Lausanne-Genf übernehmen.

Vorkämpfer der Sozialpolitik
Gaspard Mermillod hatte ein ausgeprägtes rhetorisches Talent und ein Gespür für soziale und gesellschaftliche Fragen; dies blieb auch Papst Leo XIII. nicht verborgen. Seit Februar 1882 war Bischof Mermillod Konsultor der «Kongregation für ausserordentliche Angelegenheiten». Später wurde er vom Papst zum Mitglied einer sozialpolitischen Studiengruppe ernannt, die den Auftrag hatte, «im Lichte der katholischen Lehre alle Fragen der Sozialwirtschaft, insbesondere diejenigen, die die Arbeitnehmer betreffen, zu untersuchen». Im März 1882 formulierte sie sieben Thesen gegen den Sozialismus.

Von 1884 bis 1889 präsidierte er die von ihm mitgegründete «Union catholique d'études sociales et économiques», besser bekannt unter dem Namen «Union de Fribourg», in der sich einige der grössten Namen des Sozialkatholizismus jener Zeit zusammenfanden und welche die die Soziallehre der Kirche begründende Enzyklika Leos XIII. «Rerum novarum» vorbereiten half. Auch erkannte Bischof Mermillod die Bedeutung der Presse, die er im Sinne des Ultramontanismus förderte. Er unterstützte 1889 die Gründung einer Fakultät für katholische Theologie in Freiburg, scheiterte jedoch daran, daraus eine «freie» katholische Universität unter bischöflicher Schirmherrschaft nach dem Vorbild der katholischen Institute in Frankreich zu machen.

«Cardinal» dank Kardinal
Am 23. Juni 1890 nahm ihn Leo XIII. als Kardinalpriester mit der Titelkirche «Santi Nereo ed Achilleo» ins Kardinalskollegium auf. Damit war er der zweite Schweizer Kardinal nach Matthäus Schiner (1465–1522). Aus Anlass der Kardinalserhebung brachte die lokale Brauerei Blancpain ein Festbier namens «Cardinal» auf den Markt. Dieses Produkt war so erfolgreich, dass der Besitzer beschloss, seiner Brauerei künftig «Cardinal» zu nennen.

Im März 1891 trat Mermillod als Bischof von Lausanne-Genf zurück und zog nach Rom. Dort starb Kardinal Gaspard Mermillod am 23. Februar 1892 im Alter von 67 Jahren an Krebs. Er wurde zunächst auf dem Friedhof Campo Verano beigesetzt; 1926 wurde sein Leichnam in die Pfarrkirche von Carouge überführt. In seinem Geburtsort wie auch in Fribourg ist eine Strasse nach ihm benannt.

 


[1] Vgl. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011399/2007-07-11/

[2] Nach anderen Quellen in Castel Gandolfo.

[3] Pfarrblatt der «Prieuré Saint François de Sales» in Genf, März 2024.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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