Kaum jemand mit gesundem Menschenverstand sehnt sich nach der unseligen Corona-Zeit zurück, als sich in der Kirche während Monaten – unabhängig von ihrer Grösse – maximal fünf Personen aufhalten durften. Man pflegte sich mit Livestreams notdürftig zu behelfen und hoffte, die Mitglieder der Pfarreigemeinde würden sich vor dem Computer oder dem Tablet versammeln und andächtig die heilige Liturgie verfolgen – ohne Ablenkungen, Griff zu Popcorn oder Chips, Gang zum Kühlschrank für ein Getränk, WC-Pause, zappen im Internet. So wenigstens dachten die (naiven?) Macher und Macherinnen digitalisierter Liturgie.
Gott allein weiss, welche Gnaden er den Leidgeprüften trotz allem vermittelte und was die Auftraggeber übertriebener Massnahmen sowie die Denunzianten aufrechter Befehlsverweigerer beim Jüngsten Gericht erwarten wird. Jedenfalls wäre eine Vergebungsbitte für diese «Coronasünde», die vielen Gläubigen ein eucharistisches Zwangsfasten aufbrummte, beim Bussakt im Vorfeld der eben begonnenen Bischofssynode ganz passend gewesen.
Disclaimer: Zartbesaitete Leserinnen und Leser mögen den folgenden Textabschnitt überspringen! Für die anderen sei festgehalten, dass es sich um einen Tatsachenbericht handelt.
Während sich die einen nach der durchgestandenen digitalen Liturgie wieder nach einer echten Heiligen Messe in der Kirche sehnten und sich darüber freuten, träumten die anderen von einem neuen digitalen Kirchenzeitalter. Das ging sogar so weit, dass sich Liturgieprofessoren und -innen ernsthaft folgendes Szenario überlegten: Wenn die fromme Frau X im Altersheim einen Livestream einer Heiligen Messe ihrer Pfarrei verfolgt und auf ihrem Tisch vor sich etwas Wein und Brot hat, ob dann die Wandlungsworte vom Altar in der Kirche auch in das Zimmer von Frau X reichten. Demnach hätte sie dann nicht mehr Wein und Brot auf ihrem Tisch, sondern den Leib und das Blut Christi und könnte anstelle einer geistlichen Kommunion, die in dieser Zeit allgemein empfohlen wurde, tatsächlich kommunizieren.
Im Rahmen einer Weiterbildung – da könnte man das W auch weglassen – wurde tatsächlich von einer Inhaber:in eines Liturgielehrstuhles allen Ernstes behauptet, man könne diese Frage noch nicht entscheiden, momentan befinde sich alles noch im Fluss. Mit Verweis auf Weltjugendtage und grosse Papstmessen wurde diese irrige Sicht gerechtfertigt, denn da sei die Distanz zwischen dem Papst als Hauptzelebranten und den bereitgestellten Hostienschalen teilweise über 100 Meter gewesen.
Da war aber im Gegensatz zur Situation von Frau X im Altersheim Sichtkontakt. Die Intention des Zelebranten ist entscheidend und die beschränkt sich in der Regel auf alles, was sich auf dem Korporale befindet. Doch von derlei «Spitzfindigkeiten» liessen sich die Liturgieprofessorin nicht anfechten. Zu allem Überfluss fanden einige Teilnehmer:innen jener (W)eiterbildung die Idee höchst willkommen, würde sie doch das Feld für liturgische Experimente noch wesentlich erweitern.
Gesang im digitalen Zeitalter – unbedingt Umfrage ausfüllen!
Ein Bekannter pflegt zu sagen, dass es sich bei der Kirchenmusik genau gleich verhalte wie bei der kulinarischen Verpflegung: Konserven sind verpönt, so auch Tonkonserven in der Kirche. Leider geht es manchmal nicht anders. Doch nun erfolgt ein regelrechter Angriff auf unser Liedgut und die Art und Weise, wie wir die Noten in Töne ummünzen. Das «Kirchengesangbuch 1998» wurde nämlich einer Evaluation unterzogen. Die Evaluierenden sind offenbar mehrheitlich der Überzeugung, dass die noch treu gebliebenen Pfarreigläubigen auf die nächste digitale Stufe katapultiert werden müssen. Hinter vorgehaltener Hand heisst es, da sei ein digitaler Gottesdienstplaner in Arbeit. Das neue Gesangbuch umfasse lediglich noch etwa 200 Seiten, dafür werde dann ab Beamer, Smartphone oder Tablet gesungen.
Man kann sich vorstellen, wie das in der Kirche zu- und hergehen würde. Die älteren Leute mit Sehschwäche verabschieden sich, weil sie Noten und Text auf der Leinwand beim besten Willen nicht entziffern können. Ganz Hartnäckige werden einen Feldstecher mitbringen, um im neuen Gesangszeitalter nicht abgehängt zu werden. Die digital versierten Gläubigen werden während der Predigt ihre Mails und sozialen Konten checken und ihre Eingebungen posten. Wenn es gut kommt, machen sie noch ein Selfie, um ihren Daheimgebliebenen zu zeigen, was sie gerade verpassen. Das neue Gesangbuch mit digitalen Möglichkeiten eröffnet ungeahnte Möglichkeiten für Zerstreuungen.
Dazu sei auch gesagt, dass dieses Projekt hohe Kosten verursacht. Günstiger käme es – wenn schon ein neues Kirchgesangbuch her muss – das «Gotteslob» von Deutschland zu übernehmen und einen «Schweizer Anhang» zu integrieren. Das wäre die günstigste Lösung.
Nun haben die Evaluierenden eine Umfrage lanciert und kirchliche Mitarbeiter per Mail dazu eingeladen. Weshalb diese nur auf diözesane Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnen beschränkt sein soll, ist nicht einsichtig. Schliesslich sollte doch das davon unmittelbar betroffene Kirchenvolk, das die Lieder in den Gottesdiensten singen soll, auch beteiligt werden. Wenn irgendwo Synodalität zum Zug kommen soll, dann sicher hier. Also auf gehts! Nehmen Sie teil an dieser Umfrage!
Die Umfrage findet sich auf der Webseite https://jubilate.ch/mitwirkung
Es ist ratsam, sich vorher ein «Kirchengesangbuch 1998» zu besorgen, da man über konkrete Lieder entscheiden soll.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
100 000 mal NEIN 👍
Zum Glück muss ich das nicht mehr lange erleben...
Und wo bleibt Gott in diesem Projekt?
Es ist wohltuend, auch eine kritische Stimme zu hören.
Entschieden wird am Ende mit den Stimmbändern vielleicht eines Königs David, der die meiste Zeit ganz alleine singt.