Im Februar 2024 veröffentlichte das Bistum Chur eine Medienmitteilung mit dem Titel «Bistum Chur stellt Weichen für die Zukunft». Darin war zu lesen, dass sich die Bistumsleitung, sprich der Bischofsrat, mit «Experten der pastoralen und personellen Ressortleitungen des ganzen Bistums zu einem zukunftsweisenden Strategietag in Chur getroffen» habe. Dabei hätten «die wesentlichen Beschlüsse für einen nachhaltigen und gelingenden Kulturwandel verabschiedet werden» können. Weiter war zu lesen: «Ziel ist es, unter den voraussehbaren Rahmenbedingungen wie Mitgliederschwund, Personalmangel und sinkende Ressourcen, die Vision einer lebensfähigen Kirche mit all ihren für die Menschen befreienden, biblischen Botschaften zu erhalten.» Es geht also nicht um die eine Botschaft Jesu Christi, sondern um «die Menschen befreienden, biblischen Botschaften». Welche das im Einzelnen sind, wird nicht ausgeführt. Der Fantasie der Exponenten einer «offenen Kirche» scheinen da keine Grenzen gesetzt.
An diesem Strategietag wurden auch drei Grundsatzkriterien für einen gelingenden Kulturwandel verabschiedet: Innovation trotz Reduktion; Reichtum der Vielfalt; Vernetzung nach innen und aussen. Die Medienmitteilung schliesst mit dem Wunsch von Bischof Joseph Maria Bonnemain, dass möglichst viele Protagonistinnen und Protagonisten diese Neuorientierung mittragen. So weit die Theorie.
Unbekannte Webseite
Vor Kurzem erfuhr die Autorin von der Webseite https://www.kirchenentwicklung-chur.ch/. Obwohl das Bistum Chur als Auftraggeber der Webseite angegeben wird, hat das Bistum weder über die Webseite informiert noch Informationen dazu auf der eigenen Webseite veröffentlicht. Wenn Bischof Bonnemain möchte, dass sich möglichst viele Menschen an der Kirchenentwicklung im Bistum Chur beteiligen, müsste man diesen auch die notwendigen Informationen dazu geben.
Die Projektleitung liegt übrigens bei Urs Länzlinger, Co-Leiter der Stabsstelle Personal des Bistums Chur und Bereichsleiter Personal für die Bistumsregion Zürich-Glarus, und Guido Estermann, Beauftragter des Generalvikars Zürich-Glarus für die Pastoral. Ob das der Grund ist, dass auf vielen präsentierten Folien oben rechts das Signet der «Katholischen Kirche im Kanton Zürich» aufscheint?
«Herzlich willkommen: Kirchenentwicklung im Bistum Chur. Für die Menschen da sein», so begrüsst die Homepage ihre Besucher. Unter «Unsere Vision» ist zu lesen: «Die Kirche ist mehr als Gebäude und Strukturen. Kirche zeigt sich dort, wo die Dynamik des Lebens wirkt. Dazu braucht es dich – heute, konkret, modern, fantasievoll.» Die Kirchenentwicklung im Bistum Chur setze sich zum Ziel, die Botschaft Jesu wach und attraktiv zu gestalten: durch Vernetzung und Vielfalt, durch Tradition und Neues, durch Veränderung mit Spirit. «Dazu braucht es Mut, Freude und Ausdauer. Die Bedürfnisse der Menschen stehen im Mittelpunkt – sie sind es, die das Kirchlich-Lebensbejahende ermöglichen. Und damit diese Botschaft selbst verlebendigen.»
Seltsam, in der Kirche sollte eigentlich Jesus Christus im Mittelpunkt stehen und nicht die Bedürfnisse der Menschen. Jesus hat sich vor seiner Verkündigung auch nicht mit den Menschen zusammengesetzt und sie gefragt, was sie denn gern hätten, das er predigen solle – zumindest steht davon nichts in der Bibel.
Kirche soll ihre Rolle in der Welt spielen
Der angestrebte «Kulturwandel» in der Kirche soll über die Pastoral- und Personalentwicklung geschehen. «Die Kirche von morgen gestalten – das machen wir synodal. Grundlagen dazu bilden auf Bistumsebene der Verhaltenskodex und die Handreichung für eine synodale Kirche.» Da kann der Laie nur staunen. Dieser Prozess soll synodal geschehen, doch die Grundlage dafür bilden zwei Dokumente, die nicht synodal, sondern von oben herab verordnet wurden? Zur Erinnerung: Der «Verhaltenskodex» wurde ohne Konsultation des Priesterrates oder des sogenannten Laienrates[1] eingeführt. Darf man Insiderinformationen glauben, durfte sich nicht einmal der Bischofsrat dazu äussern. Die «Handreichung für eine synodale Kirche» wird zwar als «Ergebnis des synodalen Austauschs der ganzen Diözese während der letzten zwei Jahre» dargestellt, doch die Kirchenbasis war daran nicht beteiligt.
«Die Prozesse sind davon geprägt, in welcher Kultur und mit welchen Werten sie umgesetzt werden», weiss die Webseite. Die drei Paradigmen Vielfalt als Reichtum, Innovation trotz Reduktion und «Vernetzung nach innen und aussen», bestimmen die Kultur und die Werthaltungen, in denen die Veränderungsprozesse gestaltet werden. Interessantes Detail: Auf einer Darstellung werden diese drei Paradigmen mit Bildern untermalt. Bei «Innovation trotz Reduktion» steht der Satz: «future is in our hands» (Die Zukunft liegt in unseren Händen.) Bisher wusste die Kirche, dass die Zukunft allein in Gottes Hand liegt. Doch diese Aussage scheint im Bistum Chur als veraltet zu gelten. Damit sind wir bereits bei der nächsten Aussage der Webseite.
«Wer stehen bleibt oder die Herausforderungen mit Methoden der Vergangenheit annimmt, wird kaum mehr wirksam sein. Wir aber wollen eine Kirche, die auch in der Vielgestaltigkeit der Welt ihre Rolle in der Welt spielt.» Was genau mit «Methoden der Vergangenheit» gemeint ist, wird nicht ausgeführt. Aber aufgrund der Tatsache, dass die Kirche seit 2000 Jahren nach dem Prinzip handelt, Traditionen zu bewahren und Neues erst nach der Überprüfung an der Tradition zu übernehmen, scheint dieser Satz zumindest fragwürdig. Ebenso seltsam ist das für die Kirche im Bistum Chur formulierte Ziel, in der Welt ihre Rolle zu spielen.
Warum überhaupt Kirchenentwicklung?
Die Webseite gibt auch Auskunft darüber, warum diese Entwicklung wichtig ist. Man lese und staune: «Die Kirche steht vor grossen Herausforderungen, wie viele andere Systeme (sic) unserer Zeit. […] Wir wollen die Zeit nutzen, in denen wir die Ressourcen haben, um uns den kommenden Veränderungen anzupassen.» Die Kirche als ein System, das sich den Menschen anpassen muss, um weiterhin bestehen zu können … Ist das wirklich der Weg zum Reich Gottes?
Ähnlich klingt es bei Urs Länzlinger in seinem Blogbeitrag «Erfolgreich mit einer klaren Vision»: «Wir als sinnstiftende weltweit tätige kirchliche «Nonprofitorganisation» dürfen unseren besonderen Beitrag, unseren Erfahrungsschatz, auch unser liturgisch-rituelles Knowhow durchaus selbstbewusst in die moderne Welt einbringen.»
Wer angesichts solcher wirtschaftlichen Sprache und Worthülsen das Interesse an der Kirchenentwicklung im Bistum Chur verliert, wird gewarnt: «Was wird sein, wenn wir nichts tun? Dann stirbt diese Kirche oder wird – zumindest hierzulande – in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit abrutschen. Die selbst gemachte Krise würde so stark, dass wir selbst nur noch in Resignation verfallen könnten.» «Vogel friss oder stirb» lauten die Drohworte dieser Kirchenreformer.
Die Kirche kann nicht sterben, da ihr Fundament Jesus Christus ist. Wenn die Kirche in die Bedeutungslosigkeit abrutscht, kein Problem! Jesus hat auch klein angefangen und seine grösste Tat – sein Sterben und seine Auferstehung – haben nur gerade einmal die Einwohner von Jerusalem mitbekommen. Die grössere Gefahr dürfte darin bestehen, dass die Christen wieder der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt sind – die subtil bereits begonnen hat.
Und wer in der selbst gemachten Krise (von wem gemacht?) in Resignation verfällt, dem fehlt das Vertrauen in Gottes Vorsehung.
Trotzdem mitmachen?
Vielleicht hat es doch Gläubige, die sich gerne an der Kirchenentwicklung im Bistum Chur beteiligen möchten. Dies müsste ja eigentlich ganz im Sinn von Bischof Bonnemain sein. Auch auf der Webseite heisst es: «Die Kirche von heute und morgen braucht mich. Mein Charisma, meine Motivation, meine Zuversicht. Mit meinem Engagement kann ich, ob als Profi oder als Freiwillige, die Kirchenentwicklung Chur mittragen und mitgestalten.» Nur, wie kann man sich beteiligen?
Die Webseite verweist auf vorgesehene Tagungen und Workshops zum Thema Kirchenentwicklung. Doch da gibt es ein kleineres Problem. Unter dem Stichwort «Zielpublikum» heisst es: «Kirchliche Mitarbeitende mit Verkündigungs-,Bildungs- und sozialer Funktion; Mitarbeitende der Fach- und Dienststellen der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.»
Die Beteiligung der Kirchenbasis ist an diesen Tagungen nicht vorgesehen. Und warum nur Mitarbeiter des Kantons Zürich zugelassen sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht werden in Zukunft auch noch Angebote aus anderen Kantonen aufgeschaltet? Und vielleicht sind bei einem dieser Anlässe auch ganz gewöhnliche Gläubige erwünscht?
Bezeichnend für diese ganze «Kirchenentwicklung im Bistum Chur» ist das Bild, das sowohl für die Tagung wie auch den Workshop gewählt wurde.
Es zeigt elf Astronauten, die um einen an einem Tisch sitzenden Astronauten gruppiert sind. Vor dem Astronauten in der Mitte steht eine Schale mit frischem Obst, seine Augen sind nach oben gerichtet. Wer jetzt intuitiv an das «Letzte Abendmahl» von Leonardo da Vinci denkt, täuscht sich nicht. «Last supper in space» (Letztes Abendmahl im All), so lautet der Titel des Fotos. Interessant auch der Untertitel des Fotos: «3D-Illustration einer lustigen surrealen Science-Fiction-Szene mit Astronauten, die sich um einen Esstisch versammelt haben»[2]. Was die Verantwortlichen uns wohl damit sagen möchten? Ist das wirklich ihre Vision der künftigen Kirche im Bistum Chur? Anonyme Menschen in Schutzanzügen, ohne die sie in dieser lebensfeindlichen Atmosphäre nicht überleben könnten und ohne die Möglichkeit eines direkten Kontakts. (Letzteres ist vielleicht schlicht die Umsetzung des Verhaltenskodex, der ja eine Grundlage der Kirchenentwicklung bilden soll.) Warum Brot und Wein durch Obst ersetzt wird, ist nicht klar. Eine Anpassung an die veränderte Gesellschaft kann es nicht sein, schliesslich ist auch Obst nicht immer vegan. Und erst jüngst meldeten die Medien, dass auch hierzulande die Äpfel mit wahrscheinlich gesundheitsschädlichen Hormonen, sogenannten «kosmetischen Pestiziden», behandelt werden …
Wenn das Bistum Chur die geplante Kirchenentwicklung wirklich mit den Menschen – synodal, auf gleicher Augenhöhe, geschwisterlich – umsetzen möchte, ist diese Webseite definitiv der falsche Weg. Bischof Bonnemain hatte gegenüber «swiss-cath.ch» klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Gläubigen nicht am synodalen Weg im Bistum Chur beteiligen will («Wollten wir die Gläubigen beteiligen, wären wir wieder am Anfang. Das will ich nicht. Ich will vorwärtsmachen»). Bleibt nur noch die Hoffnung, dass Bischof Bonnemain seine Meinung doch noch ändern wird – ganz im Sinne der niemanden ausschliessen wollenden Synodalität. Aufgrund bisheriger Erfahrungen bleibt dabei wohl nur – aber immerhin – der Rekurs auf die gut biblische «Hoffnung wider alle Hoffnung».
Vielleicht haben wir das Ganze auch völlig falsch verstanden und die «Kirchenentwicklung im Bistum Chur» soll bewusst nur Sache der kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein? Schliesslich geht es um die Pastoral- und Personalentwicklung. Doch eine Kirche, die nur von «Auserwählten» erneuert wird, verliert den Kontakt zum Kirchenvolk und somit im wahrsten Sinn des Wortes den Kontakt mit der Kirche selbst.
[1] Diözesaner Rat der Religionspädagoginnen, Religionspädagogen, Theologinnen, Theologen und Ständigen Diakone (RRTD).
[2] «3D illustration of funny surreal science fiction scene with astronauts gathered around dining table.». Vgl. https://www.istockphoto.com/en/photo/last-supper-in-space-gm1216572468-354799071?searchscope=image%2Cfilm
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Der Synodale Prozess ändert nichts an der Struktur der Kirche, sondern soll sie festigen.
Die Kirche ist monarchisch, die Kirchgemeinden sind kooptativ-oligarchisch konstituiert.
Der Synodale Prozess soll gnenau diese monarchisch-oligarchisch-kooptative Struktur widerspiegeln und nicht konterkarieren. Alle sind sich darin einig, dass Demokratie in der Kirche die jetzigen Machtkartelle nicht tangieren darf!
Änderungen will so oder so NIEMAND, es geht nur darum den Mitglieder-Schrumpfungsprozess mit Glimpf zu verlangsamen.
Mission wird kein Thema des Synodalen Prozesses sein!
Dem möchte ich entgegensetzen, was der griechisch-orthodoxe Bischof Meletios Kalamaras erklärte, nämlich, dass «Anthropozentrismus die Kirche tötet». Diese Aufforderung zu einem kollektiven sursum corda, welche der Vorsitzende der Nordischen Bischofskonferenz Bischof Erik Varden OCSO, in einem Gespräch zitierte, dürfte viel effizienter sein, als all der verweltlichte Aktivismus aus Chur (oder müsste man sagen aus Zürich?).