«Ein Gastronom beklagt sich über die Strategie des Kantons» heisst der Titel eines Artikels in der Tageszeitung «Der Landbote». Darin ist die Rede von Begriffen wie «Vermarktungsstrategie», «Nutzungskonzept» und «Consultingfirma». Erinnert irgendwie an eine notleidende Tourismusregion mit in die Jahre gekommenen Hotelkomplexen und technisch veralteten Sesselliften.
Doch nichts von alledem. Gemeint ist vielmehr die Klosteranlage auf der Insel Rheinau. Von Gläubigen und Pilgern ist im ganzen Artikel nicht die Rede, was vieles aussagt über den Säkularisierungspegel unserer Gesellschaft, dient doch die Klosterkirche heute als Pfarrkirche von Rheinau und wird oft von Pilgerinnen und Pilgern wegen des dort befindlichen Reliquienschreins des irischen Wandermönchs Fintan aufgesucht.
Gegründet wurde das Kloster Rheinau im Jahre 778. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erlebte das Kloster eine erste Blütezeit in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, insbesondere dank der tatkräftigen Förderung durch die Konstanzer Bischöfe Salomon II. und Konradius. Im Spätmittelalter nahmen die Übergriffe der umliegenden Adelsfamilien auf die wohlhabend gewordene Abtei zu, weshalb sie einen Schutzvertrag mit der Eidgenossenschaft abschloss. Im Gefolge des 2. Kappelerkrieges wurde das kurzzeitig aufgehobene Kloster wiederhergestellt und erlebte während der Barockzeit eine zweite Blüte. Berühmte Baumeister wie Caspar Moosbrugger gaben dem Kloster die noch heute bestehende Gestalt.
Die 1862 vom Kanton Zürich dekretierte Aufhebung des Klosters Rheinau war ausgesprochen hinterhältig. Das Kloster wurde nicht einfach aufgehoben, ihm wurde vielmehr ein Tod auf Raten aufgezwungen: Bereits ab 1838 durften keine Novizen mehr aufgenommen werden. Ebenso wurde es ihm verboten, Mönche aus anderen Klöstern aufzunehmen. Warum diese Salamitaktik? Umfangreiche Güter und Nutzungsrechte (die Vermögensverwaltung hatte der Kanton lange vor der Klosteraufhebung an sich gerissen) befanden sich auf deutschem Boden, genauerhin im Grossherzogtum Baden, und wären bei einer sofortigen Aufhebung gemäss Territorialprinzip an letzteres gefallen.
Von 1867 bis 2000 wurde in den Klostergebäuden eine psychiatrische Klinik untergebracht, der bekannte Psychiatrie-Pioniere wie Eugen Bleuler vorstanden.
Der Kanton Zürich als heutiger Eigentümer entschied sich nach der Auslagerung der psychiatrischen Klinik für ein Mischkonzept: Es sollten eine Musikakademie (von alt Bundesrat Blocher mit 20 Millionen alimentiert), eine Hauswirtschaftsschule, ein Museum und ein Restaurantbetrieb eingerichtet werden.
Museum noch nicht zugänglich – Restaurant bereits wieder geschlossen
Die Bilanz heute: Das Museum steht noch nicht, das Restaurant ist bereits wieder geschlossen. Dessen Pächter Marc Wegenstein macht geltend, dass ein Betrieb unter den aktuellen Voraussetzungen nicht realisierbar sei. Tatsächlich war ihm in Aussicht gestellt worden, das kulturhistorische Museum würde 2021 seine Pforten öffnen, was gemäss Berechnungen des Kantons Zürich jährlich zusätzliche 15 000 Besucher generieren würde. Diese sind infolge der noch nicht realisierten Museumseröffnung bis dato ausgeblieben.
Pächter Marc Wegenstein hätte deshalb vom Kanton Zürich erwartet, dass dieser ihm mit einer 50-prozentigen Pachtzinsreduktion aus der Klemme helfen würde, weil er infolge der ausgebliebenen Gäste in der Winterzeit das Restaurant schliessen musste. Es wäre dem Kanton Zürich gerade infolge seiner skrupellosen Rolle bei der Klosteraufhebung gut angestanden, im Sinne einer symbolischen Wiedergutmachung dem Antrag des Wirtes zu entsprechen. Doch der Kanton Zürich blieb bei seinem schäbigen Nein.
«Gratia non destruit, sed perficit naturam» (Die Gnade zerstört die Natur nicht, sondern vollendet sie) heisst ein bekanntes Dictum der scholastischen Theologie. Das Klosterensemble der Insel Rheinau ist eine geradezu idealtypische Verkörperung dieser Aussage. Dieses benediktinische Erbe, gleichsam die Krönung der sie umgebenden Panoramalandschaft, verdient es, ihm wieder neues Leben einzuhauchen.
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