Beim Verhaltenskodex des Bistums Chur ist noch nicht alles wirklich klar. (Bild grafisch verändert.)

Kommentar

Kodex­schu­lung für Kir­chen­räte: Alles, nur nicht klar!

Die meis­ten kirch­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, die im Kan­ton Schwyz arbei­ten, wis­sen noch nicht, dass die Kan­to­nal­kir­che Schwyz zusam­men mit dem Gene­ral­vi­ka­riat Urschweiz ein Merk­blatt her­aus­ge­ge­ben hat. Die­ses will die Unter­zeich­nung des Ver­hal­tens­ko­dex des Bis­tums Chur in den Kirch­ge­mein­den regeln. Am 25. Februar 2023 fand dazu in Ein­sie­deln eine Schu­lung statt.

Dieser für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intransparente Vorgang nötigt mich, auf diesem Weg über diese Schulung zu berichten. Die Einladung erfolgte an die Kirchenräte, die Mitglieder des Kantonalkirchenparlamentes sowie an «interessierten Personen»: Ein Informationsschreiben zusammen mit dem «Merkblatt für die Kirchgemeinden zum Verhaltenskodex», mit einem höchst eigenartigen Verteiler, wurde kurz vor Weihnachten 2022 verschickt. Demnach scheint es wichtiger zu sein, die «Medien im Kanton Schwyz» mit dem Merkblatt zu versorgen, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu informieren, obwohl deren Arbeitsverhältnisse unter Umständen von der Auslegung dieses Merkblattes abhängen. Letzteres haben weder der Kantonalkirchenvorstand noch der Generalvikar eigenhändig unterzeichnet.

Versammlung hinters Licht geführt
Karin Iten und Stefan Loppacher haben als Präventionsbeauftragte des Bistums Chur den Verhaltenskodex verfasst, dessen Inhalt und Umsetzung sehr umstritten ist. Lorenz Bösch als Präsident des Kantonalkirchenvorstandes und Bruder Adrian Müller, verantwortlich für das Ressort Seelsorge, hatten die Schulung organisiert, die Karin Iten übernahm. Etliche Kirchenratspräsidenten nahmen daran teil. Verbunden mit einer Triggerwarnung (Auslösung von psychischen Problemen aufgrund erfahrener Traumata) las Karin Iten zu Beginn ein Beispiel vor, wonach ein junger Pfarrer das Vertrauensverhältnis zu einer 9-jährigen Ministrantin im Ministrantenlager ausnützte, um ein Sexualverbrechen zu begehen. Diese erschütternde und detaillierte Beschreibung samt den Dialogen zwischen Täter und Opfer präsentierte sie den Zuhörern so, als ob sich das real zugetragen hätte. Allerdings: In der anschliessenden Diskussion stellte sich dann heraus, dass die Referentin vor einigen Jahren genau das gleiche Beispiel in einer Fortbildung aufgetischt hatte, nur war es damals nicht ein junger Pfarrer, sondern ein Laie, konkret ein Lagerleiter. Die aufwühlende perverse Geschichte mit allen Dialogen zwischen Täter und Opfer hatte die Fachstelle Limita für ihre Präventionsarbeit vor Jahren zudem frei erfunden. Das Beispiel musste vordergründig herhalten, um diverse Perspektiven und Aspekte der Täter- und Opferrolle zu beleuchten. Tatsächlich ging es Iten aber darum, mit diesem fiktiv-manipulativen Exempel das Priestertum bzw. den Zölibat zu verteufeln. Sicher ändert dieses erfundene Beispiel nichts an der traurigen Tatsache von sexuellen Missbräuchen auch in kirchlichen Kreisen, hat aber mehr als einen fahlen Beigeschmack.

Seit der am 5. April 2022 publikumswirksam erfolgten Veröffentlichung sind nach wie vor etliche Anweisungen im Verhaltenskodex des Bistums Chur umstritten. Es betrifft hauptsächlich die sexuelle Selbstbestimmung (Qualitätsstandards: S. 14). So werden die Adressatinnen und Adressaten verpflichtet, «einem Outing zur sexuellen Orientierung» unterstützend zur Seite zu stehen. Im Verhaltenskodex des Bistums Freiburg, Lausanne und Genf, der am 1. Februar 2023 veröffentlicht wurde, existiert diese Handlungsanweisung bezeichnenderweise nicht, obwohl die Churer Version als Vorlage diente.
Zudem ist auf «pauschale negative Bewertungen von angeblich unbiblischem Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung» zu verzichten. Kurz: Die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen der LGBTQ-Ideologie unterworfen werden, obwohl diese im Widerspruch zum kirchlichen Lehramt steht. Stossend ist auch die pauschale Stigmatisierung jener, die deswegen Vorbehalte gegenüber dem Verhaltenskodex machen. Diesen wird unterstellt, «massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit» zu haben, zu «Pauschalurteilen» zu neigen und – der perfideste Vorwurf – das Anliegen der Prävention nicht genügend mitzutragen (Umsetzung: S. 6). Die Anweisung des Verhaltenskodex bei solchen Fällen lautet: «Von einer weiteren Zusammenarbeit ist abzuraten.» Wichtig ist, dass die Kritikerinnen und Kritiker des Verhaltenskodex die Notwendigkeit der Missbrauchsprävention im kirchlichen Umfeld betonen und daher mit 95 Prozent des Missbrauchskodex einverstanden sind.
Es gab nicht nur die zwei öffentlich bekannt gewordenen Gespräche zwischen dem «Churer Priesterkreis» und dem Bischof, die erfolglos verliefen, sondern auch mit anderen Gruppierungen und Personen. Bisher ist Bischof Bonnemain, verbissen seine Position verteidigend, kein Jota abgewichen und hat überhaupt kein Verständnis für die Gewissenskonflikte, die sich aus dem Verhaltenskodex in der pastoralen Arbeit ergeben.

Kantonalkirche hält stur am Verhaltenskodex fest
Wie sich an dieser Schulung zeigte, hält auch Lorenz Bösch, der Präsident des Kantonalkirchenvorstandes, stur an der Verbindlichkeit des Verhaltenskodex fest, trotz der oben genannten offensichtlich gravierenden Mängel. Der Hinweis, dass im Religionsunterricht auf die Frage, was die Kirche zur Homosexualität lehre, nicht mehr gemäss dem Lehramt der Kirche geantwortet werden könne, wurde damit abgetan, dass sich die staatskirchliche Körperschaft aus theologischen Fragestellungen heraushalte. Auf die dadurch provozierten Gewissenskonflikte bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angesprochen, wollten weder Lorenz Bösch noch Karin Iten eingehen. Diese Problematik wurde an dieser Schulung überhaupt nicht ernst genommen. Lorenz Bösch betonte, die Unterzeichnung werde verlangt, und allfällige Vorbehalte müssten transparent festgehalten werden. Die Frage, ob man den gesamten Abschnitt «sexuelle Selbstbestimmung» als Vorbehalt herausnehmen könne, verneinte er. Der betreffende Abschnitt enthält zwölf Punkte. Wenn jemand fünf von diesen Punkten ausnehmen würde, wäre das laut Lorenz Bösch hingegen akzeptabel – womit er seiner eigenen Behauptung, die staatskirchenrechtliche Körperschaft halte sich aus theologischen Fragen heraus, gleich selbst widersprach.
Gleichzeitig wird so auch klar, dass die vermeintliche Präzisierung des Bischofs Joseph Maria Bonnemain vom 15. Februar 2023 nichts zur Klärung beigetragen hat. Im Gegenteil: Beim jetzigen Stand der Dinge bliebe es den Kirchgemeinderäten überlassen, bei Vorbehalten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Massnahmen gegenüber den Betroffenen zu ergreifen oder nicht. Der Verhaltenskodex könnte dazu missbraucht werden, gegenüber dem Lehramt der Kirche treue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter loszuwerden. Als Erstes würde ein Gespräch anberaumt, danach eine Begleitung (Supervision), ferner werden der betreffenden Person Auflagen gemacht, in der Folge wird ihr Tätigkeitsgebiet eingeschränkt und schliesslich folgt die Kündigung bzw. wird ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Zudem könnten Kirchenräte bei geplanten Stellenwechseln eine Anstellung aufgrund von Vorbehalten gegenüber dem Verhaltenskodex ablehnen. Lorenz Bösch betonte mehrfach, der Verhaltenskodex sei ein Führungsinstrument, bei dem keine Abstriche gemacht werden können. Die völlig gegensätzliche Lesart umstrittener Textpassagen durch Bischof Bonnemain und der Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding legt hingegen offen, dass dieses «Führungsinstrument» gravierende Mängel hat. Wer an so einem «Führungsinstrument» trotz vernünftiger und begründeter Kritik stur festhält, setzt sich dem Vorwurf aus, selbst nicht über die besten Führungsqualitäten zu verfügen. Der Ball liegt nun beim Bischof. Den aufmerksamen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Schulung ist nicht entgangen, dass bei der Umsetzung des Verhaltenskodex noch lange nicht alles klar ist.


Roland Graf
swiss-cath.ch

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Dr. Roland Graf ist Pfarrer in Unteriberg und Studen (SZ). Er hat an der Universität Augsburg in Moraltheologie promoviert und war vor seinem Theologiestudium als Chemiker HTL tätig.


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    Bernadette 03.03.2023 um 17:46
    Das Dokument ist in keiner Weise mit Gottes Schöpfungsordnung zu vereinbaren.
    Die Verfasserin möchten jedoch alle Mitarbeiter damit Mundtot machen.
    So heisst es z.B. „Sexual anders orientierten stehe ich unterstützend zur Seite…“
    Wo steht in der Bibel, dass ein Pfarrer die LGBTQ unterstützen soll?
    Wohl genau das Gegenteil sollte geschehen.
    Jeder der dieses Dokument unterzeichnet arbeitet nicht für Gottes Kirche, sondern für
    aktuelle Modeströmungen unserer Gesellschaft. Einfach gesagt – sie schaffen sich selber ab.
    Nur Gottes Wort hat bestand, alles andere wird wieder zerfallen. Daher kann ich
    dem un göttlichen Treiben gelassen entgegen sehen. Für Herr Bonnemain können wir
    nur beten, dass er den Mut findet und klar Stellung nimmt. Er kennt seinen
    Auftrag. Doch wird er vor allem von Laien, welche nach mehr Macht streben,
    unter Druck gesetzt.
  • user
    Claudio Tessari 28.02.2023 um 16:21

    Ich als Kirchenpfleger im Kanton Zürich unterzeichne diese VK nicht ohne Vorbehalte. Er ist einfach Pervers! Auf der einen Seite will man die Homosexualität normalisieren und verpflichtet alle, Menschen mit homosexuellen Tendenzen zu ermutigen in der Sünde weiter zu leben. Die MHG-Studie hat aufgedeckt, dass 80 Prozent der Übergriffe an minderjährigen Jungen begangen wurden, davon der überwältigende Anteil an Pubertierenden und Heranwachsenden. Das heisst: Homosexuelle Geistliche sind für den grössten Teil der sexuellen Übergriffe verantwortlich.

    • user
      Hansjörg 01.03.2023 um 18:25
      Homosexuelle sind für den grössten Teil der sexuellen Übergriffe verantwortlich, sagt Herr Tessari.
      Und wie kann nun diese Problematik behoben werden?
  • user
    don Martino 28.02.2023 um 15:32
    Die Wahrheit kommt ans Licht.
    Das Fehlverhalten u. die Verfehlung der Befürworter des VK auch. Was nicht kirchlich wahr ist, währt nicht lange, geschweige auf ewig! Bischof Josef Maria soll sich von diesem staatskirchenrechtlichen Dokument endlich distanzieren als Oberhirt des wahren katholischen Volkes und wahren kath. Glaubens.