Podium der Gründungsversammlung: Erich Vontobel, Sarkis Shahinian, Vartan Oskanian und Joel_Veldkamp (v.l.). (Bild: «Christian Solidarity International»)

Hintergrundbericht

Komi­tee «Schwei­zer Frie­dens­in­itia­tive für Berg­ka­ra­bach» gegründet

Natio­nal– und Stän­de­rat ver­lan­gen mit einer Motion vom Bun­des­rat, zeit­nah ein inter­na­tio­na­les Frie­dens­fo­rum zum Bergkarabach-​Konflikt zu orga­ni­sie­ren, um über die Rück­kehr der Karabach-​Armenier in ihre Hei­mat zu ver­han­deln. Um die­sem Anlie­gen mehr Gewicht zu geben, wurde am 26. Mai 2025 in Bern das par­tei­über­grei­fende Komi­tee «Schwei­zer Frie­dens­in­itia­tive für Berg­ka­ra­bach» gegründet.

In Bergkarabach betrug der Bevölkerungsanteil der christlichen Armenier bei wechselnden Herrschaftsverhältnissen stets über 80 Prozent. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Aserbaidschan – unterstützt durch das Osmanische Reich und das Vereinigte Königreich – die Verwaltungsgewalt über Bergkarabach, doch konnten die Bevölkerung weitreichende Autonomierechte aushandeln. Stalin zementierte in der Folge die Zuweisung des christlichen Bergkarabach an das muslimische Aserbaidschan. Im Februar 1988 verabschiedete das Parlament des Autonomen Gebiets Bergkarabach eine Resolution zum Übertritt zur Armenischen Unionsrepublik. Mit der Auflösung der Sowjetunion folgte 1991 die Unabhängigkeitserklärung – Bergkarabach wurde aber nie staatlich anerkannt. Auf beiden Seiten kam es immer wieder zu Gewalt und Vertreibungen. Im Herbst 2020 eroberten die aserbaidschanischen Streitkräfte alle von Armeniern besetzten Gebiete zurück und zerschlugen die armenische Armee in Bergkarabach.

Am 12. Dezember 2022 blockierte Aserbaidschan den Latschin-Korridor und damit die einzige Strasse, die Bergkarabach mit Armenien verband. Eine regelmässige Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten oder Treibstoff war nicht mehr möglich, Hilfslieferungen wurden blockiert. Am 19. September 2023 startete Aserbaidschan eine gross angelegte Militäroffensive – die ausgehungerte Bevölkerung konnte dem nichts entgegensetzen: Die armenische Bevölkerung floh aus Bergkarabach; rund 120 000 Menschen mussten ihre Heimat verlassen. 23 Armenier aus Bergkarabach, darunter acht ehemalige politische und militärische Führer, wurden in aserbaidschanischen Gefängnissen inhaftiert. Die EU sprach von einer «ethnischen Säuberung» der armenischen Bevölkerung durch Aserbaidschan. Die internationale Staatengemeinschaft schaute untätig zu.
 


Unterstützungskomitee gegründet
Am 18. September 2024, dem Vorabend des ersten Jahrestages des vernichtenden Angriffs Aserbaidschans auf die De-facto-Republik Bergkarabach, forderte eine Allianz von 13 Menschenrechtsorganisationen und NGOs den Bundesrat auf, Aserbaidschan für die an den Armeniern begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen.

Am 17. Dezember 2024 nahm der Nationalrat eine Motion der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats an, die vom Bundesrat verlangt, zeitnah ein internationales Friedensforum zum Bergkarabach-Konflikt zu organisieren, um über die Rückkehr der Karabach-Armenier in ihre Heimat zu verhandeln. Am 18. März 20025 stimmte auch der Ständerat der Motion zu.

Um diesem Anliegen mehr Gewicht zu geben, wurde am 26. Mai 2025 in Bern das Komitee «Schweizer Friedensinitiative für Bergkarabach» gegründet. Ko-Präsidenten des parteiübergreifend breit abgestützten Komitees sind die Nationalräte Erich Vontobel (EDU, ZH) und Stefan Müller-Altermatt (Die Mitte, SO).[1]

Letzterer war per Livestream zugeschaltet. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass das, was in Bergkarabach geschah, im 21. Jahrhundert noch möglich ist. «Obwohl es sich hier um eine ethnische Säuberung handelte, schaute die Weltgemeinschaft einfach weg», so Nationalrat Stefan Müller-Altermatt weiter. Da das Geschehen als ethnische Säuberung anerkannt ist, gebe es ein Recht auf Rückkehr. Armenien sind aus politischen Gründen die Hände gebunden und Bergkarabach kann sich nicht selbst für eine mögliche Rückkehr einsetzen, da nicht als Staat anerkannt und zudem wirtschaftlich als auch politisch viel zu schwach. Hier komme jetzt die Schweiz ins Spiel.

Nationalrat Erich Vontobel war im Herbst 2024 in Armenien und traf dort Vertriebene. Diese baten um Hilfe, um wieder zu ihren Häusern und Friedhöfen zurückkehren zu können. Er versprach ihnen diese Hilfe und initiierte nach seiner Rückkehr in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats die oben erwähnte Motion. Die Stimmung im Südkaukasus ist explosiv: Es wird befürchtet, dass Aserbaidschan auch den Korridor im Süden und später das ganze Armenien erobern wird. Es gelte deshalb Wachsamkeit zu signalisieren und einen Schritt in Richtung Frieden und Dialog zu tun. «Das Friedensforum muss jetzt organisiert werden», forderte Erich Vontobel.

Vardan Tadevosyan, Gesundheitsminister von Bergkarabach und Leiter eines Rehazentrums, war während der Blockade in Bergkarabach. Er berichtet in einer Videoeinspielung eindrücklich, wie die Vertriebenen unter der gegenwärtigen Situation leiden. Auch er sprach davon, dass die Menschen nicht nur ihre Häuser, sondern auch ihre Gräber verloren hätten. Für die armenische Identität sind die Friedhöfe wichtig als Verbindung mit den früheren Generationen.

Der ehemalige armenische Aussenminister Vartan Oskanian verwies auf eine Anordnung des Internationalen Gerichtshof sowie zwei Resolutionen im Europäischen Parlament, die alle die Wahrung des Rückkehrrechts einfordern. Er stellte klar: «Es geht bei der Friedensinitiative nicht darum, einer Seite mehr Legitimität zuzusprechen als der anderen. Es geht darum, Raum zu schaffen – einen neutralen, prinzipientreuen Raum –, in dem auch die zum Schweigen gebrachten Stimmen Gehör finden.»

OSZE-Vorsitz der Schweiz als Hoffnungszeichen
Sarkis Shahinian, Generalsekretär der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Armenien, wie auch Ständerat Carlo Sommaruga (SP, GE) verwiesen auf den OSZE-Vorsitz der Schweiz 2026 und erinnerten an die Rolle der Schweiz als Hüterin des internationalen Völkerrechts. Sarkis Shahinian erwähnte den «Wiener Mechanismus» resp. «Moskauer Mechanismus» der OSZE. Der Wiener Mechanismus sieht Verfahren vor, die auf die Identifizierung, Diskussion und Lösung von Problemen im Umgang mit den Menschenrechten in den Teilnehmerstaaten zielen. Der Moskauer Mechanismus ermöglicht ergänzend die Entsendung von unabhängigen Experten, die vor Ort Probleme identifizieren und darüber berichten sollen.
Sarkis Shahinian forderte die Schweiz auf, die Aktivierung des «Moskauer Mechanismus» der OSZE zu unterstützen, damit eine internationale Untersuchung der ethnischen Säuberung von Bergkarabach und der rechtswidrigen Inhaftierung und Verurteilung von 23 Armeniern möglich wird. Dies könnte zu einem Präzedenzfall für zukünftige humanitäre Krisen werden. 
 


Die internationale Gemeinschaft sei bis jetzt nicht in der Lage oder nicht willens gewesen, wirksam auf die Eskalation der Gewalt in Bergkarabach zu reagieren, so Joel Veldkamp, Menschenrechtsexperte von «Christian Solidarity International» (CSI). «Es ist eine schwierige Lage, doch die internationale Lage ist heute besser als noch vor sechs Monaten: Es gibt einen neuen Willen zum Frieden.» Aserbaidschan ist abhängig von Russland (Waffen) sowie den Vereinigten Staaten und der EU (Öl, Stichwort SOCAR). Doch diese Abhängigkeit wurde noch nicht genutzt, um Druck auf Aserbaidschan auszuüben. Dies hängt auch mit der angespannten Beziehung zwischen Russland und den USA zusammen. Es gibt jedoch Anzeichen eines neuen Anlaufs für Frieden und Zusammenarbeit, so Joel Veldkamp: «Die Grossmächte USA, EU, Grossbritannien und Russland haben ein Interesse daran, einen weiteren Krieg im Kaukasus zu verhindern und einen dauerhaften Frieden zu schaffen.» Indem sie das Schweizer Friedensforum für Bergkarabach unterstützten, könnten sie den ins Stocken geratenen Friedensprozess im Kaukasus wieder in Gang bringen und die Weichen in Richtung eines echten, auf Gerechtigkeit beruhenden Friedens stellen, ist Veldkamp überzeugt.

Weltweite Aufmerksamkeit wichtig
In den beiden folgenden Tagen, am 27. und 28. Mai 2025, fand respektive findet in Bern die «Armenian Heritage Conference» statt. Sie befasst sich mit den Folgen des Konfliktes in Bergkarabach und dem Schutz des armenischen religiösen und kulturellen Erbes, den Menschenrechten der Bevölkerung und der zukünftigen Sicherheit der armenischen Nation und wird vom «Ökumenische Rat der Kirchen» (ÖRK) und der «Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz» organisiert wird. Joel Veldkamp freut sich über diese zusätzliche Initiative, denn die Motion und allgemein die Problematik um Bergkarabach braucht zur wirksamen Unterstützung eine breite Öffentlichkeit. «Das kulturelle Erbe Armeniens, das auch Welterbe ist, ist in Gefahr, durch Aserbaidschan zerstört zu werden.» Bereits wurden viele Kirchen und Friedhöfe vernichtet.

Die Römisch-katholische Kirche wurde eingeladen, an der Konferenz teilzunehmen. Arianna Estorelli, Leiterin Kommunikation ad interim der Schweizer Bischofskonferenz, machte fehlende Ressourcen als Grund für die Absage geltend. Immerhin werden Wolfgang Bürgstein, Generalsekretär von Justitia et Pax, und Bischof Felix Gmür, verantwortlicher Bischof für die Ökumene, anwesend sein.

Ebenfalls eingeladen war der Vatikan – sowohl als Kirche wie auch als Staat, doch beide haben abgelehnt. Die Situation ist vertrackt: Der Vatikan unterhält gute Beziehungen zu Aserbaidschan und wird von diesem auch finanziell unterstützt; er hält sich entsprechend in der Bergkarabach-Frage sehr zurück. Joel Veldkamp kennt die Problematik: «Der Vatikan ist eine komplexe Organisation und es gibt darin unterschiedliche Meinungen. Manche Mitarbeiter sind aufgrund der aktuellen Situation frustriert. Ich hoffe, dass der Vatikan unter dem neuen Papst Stellung zu Bergkarabach nehmen kann.» Der Vatikan wäre gut beraten, diesem Rat zu folgen, hat er doch diesbezüglich einiges gut zu machen: Als Aserbaidschan Bergkarabach überfallen und die gesamte christliche Bevölkerung vertrieben hatte, reagierte Papst Franziskus mit einem Aufruf zum «beiderseitigen Dialog» (sic).

Die mangelnde Unterstützung für die Bevölkerung von Bergkarabach ist ein grosses Problem. Gemäss Nationalrat Erich Vontobel sind das EDA und auch Bundesrat Cassis nicht sehr motiviert. Das Mandat des Bundesrates besteht gemäss Motion 24.4259 darin, «einen offenen Dialog zwischen Aserbaidschan und Volksvertretern der Bergkarabach-Armenier zu ermöglichen, der unter internationaler Aufsicht oder in Anwesenheit international relevanter Akteure geführt wird, um über die sichere und kollektive Rückkehr der historisch ansässigen armenischen Bevölkerung zu verhandeln.»

Erich Vontobel bekräftigt: «Es braucht internationalen Support. Wir müssen zusammenstehen.» Er kenne die Lösung auch nicht, aber «nichts zu tun, wäre noch schlimmer. Wir haben dieses Komitee gegründet und werden international aktiv, sonst läuft nichts.»

Auffallend ist das Schweigen der Medien. Ob es an SOCAR liegt? Der aserbaidschanische Ölkonzern hat einen Sitz in Genf und verdient Milliarden. Während des Krieges zwischen Aserbaidschan und Bergkarabach 2020 veröffentlichte SOCAR auf seiner Facebook-Seite Kriegspropaganda gegen das Nachbarland: «Glaubt nicht Armenien! Karabach ist aserbaidschanisch!» Aserbaidschan kommt dabei entgegen, dass die Europäische Union infolge des Krieges Russlands gegen die Ukraine vermehrt auf nicht russische Energiequellen angewiesen ist. So hat im Juli 2022 EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyew eine Vereinbarung über eine strategische Partnerschaft im Energiebereich unterzeichnet.

Es ist schwer verständlich, dass die Weltbevölkerung untätig zusah, als die armenische Bevölkerung über Monate ausgehungert und danach vertrieben wurde. Dass sie immer noch untätig bleibt, während die armenische Kultur in Bergkarabach systematisch zerstört wird. Umso wichtiger ist die Gründung des Komitees «Schweizer Friedensinitiative für Bergkarabach». Doch wie die Redner sagten: Es muss weitergehen. Es braucht Druck auf den Bundesrat, aber auch Druck auf die Grossmächte, damit Gespräche über die sichere Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung beginnen können.
 

Weitere Informationen auf der Webseite des Komitees Link

 

 


[1] Im Komitee sind weitere 17 Bundesparlamentarier vertreten.


Redaktion


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